Münzgeld ist von gestern. Aber ist Berlin schon von morgen? Drei Tage bargeldlos in Berlin. Ein Selbstversuch.

Man traut sich ja kaum, die Frage auszusprechen – hier unten, im Pendlerstrom zwischen Dönertheke und Rolltreppen, in den U-Bahnkatakomben unter dem Hardenbergplatz. Der Dönerspieß tropft, die Münzen klappern in der Kasse. Dann kommt die Reihe an mich. Hinter der Theke ein fordernder Blick. Einmal Halloumi im Brot. Das geht noch laut und deutlich über meine Lippen. Den nächsten Satz murmele ich lieber: Geht das auch mit Karte?

Berlin ist – ja das kann man so sagen – eine Weltstadt. Junge, Kreative, Rauschebärtige aus allen Kontinenten zieht es her. Wegen der Klubs, der Galerien, der Vielfalt. Aber auch wegen der vielen Tech- und Internetfirmen. In Berlins Hinterhöfen tüfteln Start-ups an der digitalen Zukunft des Landes. Aber was das bargeldlose Zahlen angeht, hinkt Berlin hinterher, ist mehr Kaff als Metropole. Drei Tage bargeldlos in Berlin leben, das klingt nach einem Wagnis. So denkt man.

Aber stimmt das wirklich noch? Immerhin hat der Senat kürzlich – könnte man diesen Artikel hören, erklänge jetzt ein Trommelwirbel – die Kreditkartengebühr in Taxis abgeschafft. Beim Lollapalooza Anfang September war ein ganzes Festival bargeldlos – von der Wurst bis zum Bier, alles per Chip bezahlbar. Und die digitale Revolution der kirchlichen Kollekte, sie rollt von Berlin aus durch das Land. Die evangelische Kirche in Berlin hat vor einigen Monaten einen digitalen Klingelbeutel beim Patentamt angemeldet. So geht jetzt beim Gottesdienst in der Gedächtniskirche ein Münzbeutel durch die Reihen, in dem auch ein Kartenlesegerät eingebaut ist. Gläubige können ihren Zehnten per Giro- oder Kreditkarte entrichten, kontaktlos. 21. Jahrhundert, du bist also auch schon zugezogen? Oder endet das Experiment „Bargeldlos in Berlin“ schon beim erstbesten Dönerladen?

Bargeldloser Döner – aber nur mit Getränk

Nicht unbedingt. Der Verkäufer nimmt meine Frage offenbar ernst. Er nickt – stellt aber eine merkwürdige Bedingung. Ich müsse noch ein Getränk dazukaufen. Warum? „Is so.“ Ich bestelle Ayran. „Und dann nehmen Sie wirklich Kreditkarte?“ Der Verkäufer legt das elektrische Dönermesser beiseite, macht ein paar Schritte zum Nachbarstand mit den Asia-Boxen, kramt ein Kartenlesegerät hervor. Digital Döner. Unfassbar.

Salat? Ohne Zwiebeln. Soße? Kräuter und scharf. Zum Mitnehmen? Bitte. Dann reiche ich die Karte über den Tresen – und bekomme einen wehleidigen Blick zurück. Das Kartengerät ist nicht aufgeladen. Sorry. Ich leihe mir Geld von meinem Kollegen. Nicht zum letzten Mal in dieser Woche.

Erste Lektion: Wenn man das mit dem Bargeldfasten wirklich durchziehen will, sollte man am besten immer jemanden zur Seite haben, der einem im Notfall mit gutem alten Münzgeld aushilft. Lektion zwei ist deutlich angenehmer: Manchmal macht Verlegenheit Freunde.

Im Café unter dem S-Bahnbogen zum Beispiel. Das Mittagessen wiegt schwer im Magen, ohne Espresso geht jetzt am Schreibtisch gar nichts mehr. Die Verkäuferin kennt mich, ich bringe regelmäßig das Trinkgeldglas zum Ertönen. Ohne Kleingeld ist der Kaffeekauf nur halb so charmant. Das ist sowieso klar. Aber er scheint auch noch unmöglich. Denn den Espresso gibt es nur gegen Bares.

Aber selbst in der anonymen Großstadt, wo Fernzüge über den Köpfen von Kaffeebesuchern rattern, da gibt es sie noch: die Institution des Anschreibens. Wer braucht schon Kreditkarten. Vertrauen ist eindeutig die schönere Währung.

Studie: Bargeld kostet den Verbraucher 150 Euro jährlich

Aber sprechen wir mal darüber, worum es hier eigentlich geht: Geld. Eine Studie der privaten Berliner Steinbeis-Hochschule besagt: Cash kostet. Und zwar ordentlich. Die Privatwirtschaft in Deutschland gebe jährlich rund 12,5 Milliarden Euro für Bargeld aus. Also fürs Zählen, Auf-Fälschungen-Prüfen oder um die Scheine zur Bank zu bringen. 12,5 Milliarden Euro! Etwa 150 Euro pro Kopf. Und den einzelnen Verbraucher koste Bargeldzahlen rund 100 Euro im Jahr, heißt es. Gute Gründe also, um Kartenlesegeräte an jedem Imbiss und in jedem Restaurant zu in­stallieren.

Wie angenehm das ist, das weiß jeder, der mal über die nördliche Bundesgrenze gereist ist. Wo ist hier der nächste Geldautomat? Was muss ich alles kaufen, um auf den Mindestpreis für die Kartenzahlung zu kommen? In Dänemark beispielsweise muss sich diese Fragen keiner mehr stellen. Sogar ein Bier im Plastikbecher an einem Kopenhagener Kanal lässt sich mit Kreditkarte zahlen. In Berlin dagegen kann keiner im voraus ahnen, so die Testerfahrung, was und warum mit Plastikgeld bezahlbar ist. Lektion Nummer drei also lautet: flexibel bleiben.

Taxifahrt? Schön, dass die Gebühren in Berlin endlich abgeschafft sind. Aber eines bleibt: Es ist absolute Glücksache, ob der Taxifahrer sein Kartengerät gerade für kaputt erklärt. Im Späti? In einem gibt es gegen Kreditkarten nur Schulterzucken. Der andere erhebt auf Tabak 50 Cent Kartengebühr. Wenn ein Getränk dazukommt, ist bargeldlos gratis. Flohmarkt? Da habe ich während der Testphase lieber gar nichts gekauft. Das Nudelrestaurant in Kreuzberg nimmt Kreditkarten, das japanische Sushirestaurant in Charlottenburg nicht. Wieder zahlt ein Kollege mit. Woanders zahlt man einer unfreundlichen Bedienung ungewollt viel Trinkgeld. Kartenzahlung erst ab zehn Euro. Und mit einem Loch im Bauch in Reinickendorf irre ich vom Falafelstand zum Bäcker. Bargeldloses Mittagessen am U-Bahnhof Wittenau? Das geht höchstens bei McDonald’s.

Fazit: Wer in Berlin ohne Bargeld überleben will, wird von der Fortschrittlichkeit an ungeahnten Orten überrascht – und verliert am Ende den Überblick darüber, wem er wie viel Bargeld schuldet.

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