Berlin. Im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Fall des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri wird am heutigen Freitag die Führungsspitze der Berliner Polizei vernommen. Die Befragung könnte für Ex-Polizeipräsident Klaus Kandt und den noch amtierenden Leiter des Landeskriminalamtes (LKA), Christian Steiof, unangenehm werden, denn den Anti-Terror-Ermittlern werden erhebliche Versäumnisse vorgeworfen. Kandt und Steiof wird zudem vorgehalten, den Dienststellen zu wenig Personal zugewiesen zu haben.
Womöglich sehen sich Kandt und Steiof aber noch einem schwerwiegenderen Vorwurf ausgesetzt. Denn Recherchen der Berliner Morgenpost und des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) haben ergeben, dass das LKA im Umfeld des späteren Attentäters eine V-Person platziert hatte. Damit steht die Frage im Raum, ob das LKA die Gefährlichkeit des späteren zwölffachen Mörders womöglich besser hätte erkennen können. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses dürften sich zudem fragen, warum sie bis zum heutigen Tage nicht über die Existenz des Zuträgers unterrichtet wurden.
Die Existenz der V-Person ergibt sich aus einem Schreiben, das bereits am 9. Januar 2017, also wenige Wochen nach dem Anschlag, erstellt wurde. Die Polizei informierte die Innenverwaltung darin unter anderem über Erkenntnisse zu einem sogenannten „Islamseminar“, das Anfang Oktober 2016 in der mittlerweile geschlossenen dschihadistischen Fussilet-Moschee stattfinden sollte. Der Autor des Schreibens beruft sich dabei auf Informationen eines Fachkommissariats des LKA für „Informationsgewinnung“ in der Abteilung für politisch motivierte Kriminalität. Demnach habe „eine dort geführte Informationsquelle“ angegeben, dass das Islamseminar ausgefallen sei. Nach Informationen von Morgenpost und RBB wurde der Begriff „Informationsquelle“ als Umschreibung für eine V-Person genutzt.
Zu den regelmäßigen Besuchern der Fussilet-Moschee gehörte auch Anis Amri. Der Tunesier verkehrte dort auch am Tag des Islamseminars, über dessen Absage die V-Person das LKA informierte. Die Fussilet-Moschee war klein, der Kreis der regelmäßigen Besucher mit rund 50 Islamisten überschaubar. Damit steht der Verdacht im Raum, dass die „Informationsquelle“ des LKA Amri gekannt und das LKA womöglich über Aktivitäten des späteren zwölffachen Mörders unterrichtet haben könnte. Die Ermittler müssen womöglich auch die Frage beantworten, ob sie die Möglichkeiten, mithilfe des V-Mannes Erkenntnisse über Amri zu erlangen, voll ausschöpften.
„Das wirft kein gutes Licht auf die Aufklärung“
Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses wurden über die Existenz der „Informationsquelle“ des LKA bisher nicht informiert. „Das wäre aber eine wichtige Information gewesen“, kritisiert das Ausschussmitglied Benedikt Lux (Grüne). „Wenn man V-Leute einsetzt, sollte man sie auch auf einen bekannten Gefährder wie Amri ansetzen“. Es müsse aufgeklärt werden, ob dies geschehen sei. Die Abgeordneten hätten viel zu spät erfahren, dass die Sicherheitsbehörden den Einsatz von V-Leuten bei regelmäßigen Treffen in einer Gruppe mit dem Namen „SPOC“ abstimmten. Genauso werde offenbar auch der Einsatz von V-Personen so lange verheimlicht, bis es nicht mehr gehe. „Das wirft kein gutes Licht auf die Aufklärung“, sagt Lux.
Auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Staatssekretär Torsten Akmann hätten über die Existenz der V-Person informieren können. Denn laut Betreffzeile geht das Schreiben der Polizei, in dem diese über die „Informationsquelle“ unterrichtete, auf einen „Informationsbedarf der Hausleitung“ zurück. Das legt die Vermutung nahe, dass Geisel und Akmann sich über die Erkenntnisse informieren ließen.
Die Polizei ließ eine bereits am Dienstagmorgen übermittelte Anfrage bis zum Donnerstagabend unbeantwortet. Ein Sprecher der Innenverwaltung sagte: „Ich bitte um Verständnis, dass sich weder die Innenverwaltung noch die Polizei zu möglichen Vertrauenspersonen öffentlich äußern können.“ Die Existenz des V-Mannes dementierten weder Polizei noch Innenverwaltung.
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