Berlin. Der Konzern gibt den Start-up-Campus in Kreuzberg auf - doch Regierungschef Michael Müller schweigt. Das sorgt für viel Kritik.
Nach dem Rückzug des Internetriesen Google aus Kreuzberg wächst der Druck auf den Senat. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Christian Gräff, forderte Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Donnerstag auf, in wirtschaftspolitischen Fragen stärker als bislang Stellung zu beziehen. „Ich frage mich, warum sich der Regierende Bürgermeister bei wichtigen Themen wie Wirtschaftswachstum und Ansiedlungen nicht zu Wort meldet. Dass er sich nicht äußert und somit auch seinem grünen Koalitionspartner nicht Einhalt gebietet, spricht dafür, dass er seinen Gestaltungswillen komplett aufgegeben hat“, sagte Gräff der Berliner Morgenpost.
Google hatte am Mittwoch verkündet, den geplanten Campus für Start-ups in Kreuzberg auf Eis zu legen. Stattdessen solle in dem ehemaligen Umspannwerk an der Ohlauer Straße ein Haus für soziale, nicht gewinnorientierte Unternehmen und Projekte entstehen. Google will nach eigenen Angaben in den kommenden fünf Jahren rund 14 Millionen Euro in den Umbau, die Ausstattung und für die Miete für das Haus stecken. Google hatte das Gebäude erworben und Ende 2016 angekündigt, dort einen Campus für junge Firmen zu etablieren. Kritiker protestierten dagegen, weil der Campus nach ihrer Ansicht die Gegend stark verändert und teurer gemacht hätte.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hatte die neuen Pläne Googles als „interessant“ bezeichnet und die wachsende Bedeutung von sozial und ökologisch orientierten Unternehmen und der nicht-gewinnorientierten Ökonomie in Berlin betont. Berlins Regierender Bürgermeister wollte sich auch am Donnerstag nicht zum Rückzug von Google äußern. Man sei mit Google weiter im Gespräch, hieß es aus der Senatskanzlei. Ein Sprecher des Konzerns sagte hingegen, ein Campus an anderer Stelle in der Stadt sei zunächst keine Option.
Start-up-Verband befürchtet Verlust von Arbeitsplätzen
Auch internationale Medien wie die britische BBC hatten über den Verzicht Googles auf den Kreuzberger Start-up-Campus berichtet. Die Gründer würden mit ihren Start-ups nach München, London oder Paris weiterziehen, sagte der Vorsitzende des Deutschen Start-ups-Verbands, Florian Nöll. „Mit ihnen werden nicht nur Tausende Arbeitsplätze aus der Stadt verschwinden, sondern auch die Weltoffenheit und Technologiebegeisterung dieser Menschen. Am Ende ist Berlin wieder ein bisschen wie früher: arm, aber längst nicht mehr sexy! Der Senat trägt dann eine Mitschuld“, so Nöll weiter.
Das Agieren des Senats kritisierten auch die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Jeder Investor, aber vor allem Unternehmen aus dem Hightech-Bereich, müssen sich in Berlin willkommen fühlen, sagte Andreas Fleischer, stellvertretender UVB-Hauptgeschäftsführer. „Wenn Berlin DigitalHauptstadt sein will, muss es auch alles für eine erfolgreiche Ansiedlung solcher Firmen tun. Gerade hier liegen die großen Chancen, das zeigt die Entwicklung der letzten Jahre: Die Digitalwirtschaft ist einer der stärksten Wachstumsmotoren in der Stadt, jeder siebte neue Job entsteht hier“, erklärte Fleischer.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Jahnke, sagte, es sei höchst bedauerlich, dass der Google-Campus nicht in Kreuzberg realisiert werde. „Wirtschaftssenatorin Pop hätte die Chance gehabt, politisch auf ihre Parteifreunde in Kreuzberg einzuwirken. Das hat sie leider nicht gemacht“, erklärte Jahnke. Ob es einen wirtschaftlichen Schaden für Berlin gebe, bliebe aber abzuwarten, so der SPD-Politiker.
Aktivisten wollen weitere Start-up-Projekte verhindern
Der zuständige Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) sprach am Mittwoch von einem „Wendepunkt in der kontroversen Debatte“. Google sei auf die Forderungen von Politik und Nachbarschaft eingegangen. Sehr viel drastischer formulierte es Ulrike Schneider, Aktivistin beim Initiativkreis „Google-Campus & Co verhindern“, die den Konzern beschimpfte: „Google ist und bleibt ein Scheiß-Konzern, der seine Gewinne mit Überwachung, Ausschnüffelei, Zusammenarbeit mit Militär und Geheimdiensten sowie Steuertricks macht.“ Sie kündigte an, mit der Initiative weitere Start-up-Projekte verhindern zu wollen, etwa das neue Start-up-Zentrum am Oranienplatz und das „the shelf“ an der Prinzenstraße. Gebäude wie das Luxushotel „Orania“ ebenfalls am Oranienplatz oder die „Factory Berlin“ am Görlitzer Park wolle die Initiative zudem „sobald wie möglich einer sinnvollen, gemeinnützigen Nutzung zuführen“, so Schneider.