Berlin. Jeder Bezirk sanktioniert das Wegwerfen von Zigaretten anders – wenn überhaupt, denn die Einnahmen sinken.
Kippe an, Kippe aus, Stummel auf den Boden: Tausende Berliner verdrecken täglich die Hauptstadt durch weggeworfene Zigaretten. Die Überreste landen auf dem Bürgersteig, in Rinnsteinen, in Gullis, Parks, schlimmstenfalls in Sandkästen von Spielplätzen. Eine Ordnungswidrigkeit – die in jedem Bezirk unterschiedlich hart bestraft wird.
Das geht aus einer Senatsantwort auf eine schriftliche Anfrage des FDP-Abgeordneten Florian Kluckert hervor. Wer etwa auf dem nördlichen Gehweg der Kurfürstenstraße in Mitte eine Kippe zu Boden wirft, müsste mindestens 40 Euro bezahlen. Auf der anderen Straßenseite in Schöneberg wäre es billiger, dort liegt das Minimumbußgeld bei 25 Euro. In Pankow beträgt das Mindestbußgeld 50 Euro, der Regelsatz sind 100 Euro. Und in Friedrichshain-Kreuzberg verhängt das Ordnungsamt lediglich ein Verwarnungsgeld zwischen 20 und 30 Euro.
Raucher haben meist nichts zu befürchten
Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Denn die meisten Ordnungsämter kapitulieren vor der Ahndung, vielerorts kommen Kippensünder ohne Bußgeld davon. In Charlottenburg-Wilmersdorf etwa wurden im laufenden Jahr erst sechs Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen weggeworfener Zigaretten eingeleitet, in Neukölln nur eins – und in Friedrichshain-Kreuzberg nicht ein einziges. Viele andere Bezirke machten gar keine statistischen Angaben. Auch an den eingenommenen Bußgeldern lässt sich ablesen, wie wenig sich die Bezirke um das Problem kümmern und dass der Stellenwert einer Verfolgung offenbar immer weiter sinkt. In allen Bezirken sind die Bußgeldeingänge rückläufig, Beispiel Lichtenberg: Während das Ordnungsamt 2016 noch 2140 Euro einnahm, waren es im vergangenen Jahr nur noch 620 Euro. In Neukölln schrumpfte die Summe im selben Zeitraum von 4215 Euro auf 560 Euro.
Wie viele Tonnen Zigarettenstummel jährlich in Berlin anfallen, lässt sich laut Senat zwar nicht beziffern. Fest steht aber: Die Folgen für Umwelt und Gesundheit, die sich aus Kippen auf dem Boden ergeben, sind enorm. „Die Filter sind mit giftigen und Krebs erzeugenden Substanzen in hoher Konzentration angereichert“, heißt es in der Antwort der Umweltverwaltung. Neben Nikotin fänden sich etwa Arsen, Blei, Kupfer und andere Schwermetalle in den Filtern. Regnet es, werden die Stoffe ausgewaschen, können sogar im Grundwasser landen. „Aktuell stellen wir dort zwar keine Abbaustoffe fest, die allein auf Zigaretten zurückzuführen sind“, sagt Stefan Natz von den Berliner Wasserbetrieben. „In der Spree und den Kanälen Berlins finden wir durchaus Nikotin.“
Schlimmer noch sind die Gefahren für Kinder: Ein verschluckter Kippenstummel reicht aus für eine Vergiftung, die anschließend im Krankenhaus behandelt werden muss. „Essen Kleinkinder etwa auf einem Spielplatz einen Zigarettenfilter, erleiden sie in der Regel Übelkeit und Erbrechen“, sagt Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). „Je nach Größe des Kindes ist bei mehreren verschluckten Filtern eine Todesfolge nicht auszuschließen.“ Der Berliner Giftnotruf hat allein im vergangenen Jahr 860 Fälle registriert, in denen Kinder Tabak oder Zigarettenfilter gegessen hatten, meist mit einem harmlosen Verlauf. Viele Unfälle ereigneten sich zu Hause, jedoch oft auch auf Straßen und Spielplätzen.
23.000 Papierkörbe mit Aschenbecher in Berlin
Besonders drastisch stellt sich die Situation in Friedrichshain-Kreuzberg dar. Hier gibt das Bezirksamt zu, dass seit 2015 kein einziges Bußgeldverfahren wegen weggeworfener Kippen durchgeführt wurde. Ordnungsstadtrat Andy Hehmke (SPD): „Wir haben andere Prioritäten. Das Ordnungsamt muss sich um Wildgriller kümmern, um Ruhestörungen, um Falschparker. Bei uns geht niemand aktiv auf die Pirsch, um Zigarettensünder aufzuspüren.“ Grund dafür sei Personalmangel. „Hätten wir genug Leute, um auch Raucher zu suchen, die ihre Kippen nicht in den Müll werfen, wäre ich froh“, sagt er.
Für Kluckert ist das ein Unding. „Die Ordnungsämter müssen Raucher viel stärker sanktionieren“, sagt er. Auch müssten die Bußgelder vereinheitlicht werden. „Es ist doch absurd, dass man in jedem Bezirk etwas anderes bezahlt“, sagt Kluckert. Zudem seien der Senat und die Berliner Stadtreinigung (BSR) in der Pflicht. Der Senatsantwort zufolge sind in ganz Berlin rund 23.000 orangefarbene Papierkörbe mit eigenem Aschenbecher aufgestellt. „Viel zu wenig“, findet Kluckert. „Wir müssen den Menschen ja auch die Chance geben, ihre Zigaretten wegzuwerfen.“
Zigarettenreste gehören in den Müll, liebe Berliner Raucher!