Extremismus

Islamisten hetzen trotz Verbots in Berlin

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Im Festaal "Queen Event"  in der Colditzstraße 29 in Tempelhof sollen sich Islamisten getroffen haben.

Im Festaal "Queen Event"  in der Colditzstraße 29 in Tempelhof sollen sich Islamisten getroffen haben.

Foto: Reto Klar

Mitglieder der Gruppe Hizb ut-Tahrir dürfen seit 2003 nicht mehr aktiv sein. Ihre Propagandisten treten trotzdem in Berlin auf.

Berlin. Sie hetzen gegen die Demokratie und sind für ausgeprägten Antisemitismus berüchtigt. Laut Verfassungsschutz befürworten die Anhänger der islamistischen Hizb ut-Tahrir, zu Deutsch „Befreiungspartei“, zudem die Anwendung von Gewalt. In Deutschland ist die Gruppierung, wie in vielen anderen Staaten, daher bereits seit 2003 verboten. Recherchen der Berliner Morgenpost zeigen jedoch, dass wichtige Vertreter der Hizb ut-Tahrir bis heute ungehindert ihre Propaganda verbreiten können – und zwar in Berlin.

Einträge im Internet dokumentieren, dass führende Propagandisten der verbotenen Islamisten-Truppe in der Hauptstadt seit 2017 mindestens drei Mal vor mehr als hundert Anhängern auftraten. „Die Veranstaltungen sind dem Berliner Verfassungsschutz bekannt“, bestätigte ein Sprecher des Verfassungsschutzes die Recherchen.

"Die Lösung ist das Kalifat"

Die Hizb ut-Tahrir gilt neben der Muslimbruderschaft und der Bewegung des Salafismus als eine der bedeutendsten islamistischen Bewegungen des 20. und 21. Jahrhunderts. 1953 gegründet, kämpfte die Organisation ursprünglich vor allem gegen die israelische Besetzung der Palästinensergebiete. Später fokussierten sie sich stärker auf das Ziel eines weltumspannenden islamischen Staates („Kalifat“) – auf Grundlage der Scharia.

Abdullah İmamoğlu ist einer der wichtigsten Propagandisten der Hizb ut-Tahrir. Ein Internetvideo zeigt den vielleicht Ende 30 Jahre alten Islamisten vor etlichen Tausend Zuhörern bei einem Aufritt in Ankara – bei einer „Kalifatskonferenz“. İmamoğlu schimpft über die Juden und schwärmt von den Zeiten, als die islamische Welt noch von Kalifen beherrscht worden sei. Dann formuliert er die antidemokratische Ideologie der Hizb ut-Tahrir in einem Satz: „Die Lösung ist das Kalifat.“ Über seinen Schultern hat İmamoğlu einen schwarzen Schal gehängt. Der Schriftzug darauf ist deutlich erkennbar: „Hizb ut-Tahrir“.

Anhänger hat İmamoğlu, der auch vom Verfassungsschutz als „bekannter Vertreter der Hizb ut-Tahrir“ bezeichnet wird, auch in Berlin. Am 2. Juni dieses Jahres trat er vor mehreren Hundert Zuhörern im „Queen Event“ in der Tempelhofer Colditzstraße auf. 2017 verbreitete er seine Thesen bei zwei weiteren Auftritten in einem Saal in der Markgrafenstraße in Mitte. Neben İmamoğlu sprach dort auch ein weiterer führender Propagandist der Hizb ut-Tahrir: Abdurrahim Şen. Auch er veröffentlichte Beiträge in Publikationen der Hizb ut-Tahrir.

In Berlin gibt es 35 Mitglieder

In Berlin wurden die Treffen mit den Hizb ut-Tahrir-Größen von einer Gruppe mit dem Namen Nebevi Çözüm Cemiyeti (NÇC) organisiert. Laut Verfassungsschutz ist NÇC weniger eine Organisation, sondern eher eine Art „Forum“ für Tagungen und Konferenzen. Nach eigenen Angaben setze sich die Gruppe „aus Akademikern, Geschäftsleuten und Politikern zusammen und vermittelt so das Bild eines elitären, ausschließlich türkischsprachigen Netzwerkes“. Hinweise, dass es sich um eine Tarnorganisation der Hizb ut-Tahrir handeln könnte, lägen nicht vor. Es gebe aber ideologische „Schnittmengen“.

Laut Verfassungsschutzbericht gehören der Hizb ut-Tahrir in Berlin nur etwa 35 Mitglieder an. „Unter Islamisten sind sie eine kleine, sektiererische Gruppe“, bestätigt der Islamwissenschaftler Patrick Möller, der sich als Mitarbeiter des Präventions- und Deradikalisierungsvereins „Violence Prevention Network“ mit den Strukturen der Hizb ut-Tahrir befasst. Propagandisten wie Abdullah İmamoğlu würden sich bei ihren Auftritten in Deutschland zwar zurückhalten, weil sie wüssten, dass die Behörden sonst gegen sie vorgehen könnten. Die Veranstaltungen dienten aber auch der Rekrutierung.

Der Weg zur Gewalt ist nicht weit

„Interessierte werden mit den Referenten und dem ideologischen Gedankengut bekannt gemacht und in einschlägige Personenkreise eingeführt“, sagt Möller. „Der Weg von radikaler Ablehnung eines Systems bis zum Wunsch, dieses mit Gewalt zu entfernen, ist nicht weit – und letztlich strebt die Hizb ut-Tahrir dieses auch an“, sagt Patrick Möller. „Dass hochrangige Vertreter einer bei uns verbotenen Organisation aus einem Land außerhalb des Schengen-Raumes ungehindert nach Deutschland einreisen und hier als Redner auftreten, finde ich sehr bedenklich“, sagt Möller.

Der Verfassungsschutz sieht für ein Einschreiten keine Handhabe. Der türkische Hizb ut-Tahrir-Propagandist İmamoğlu verhalte sich bei seinen Auftritten in Berlin „betont zurückhaltend“. Die Treffen wiesen auch „keine direkten Bezüge zur Hizb ut-Tahrir auf“. Zu dem Betätigungsverbot gegen die Hizb ut-Tahrir stünden sie somit „nicht im Widerspruch“.