Berlin. Berlin wechselt den Kurs bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Die Unterkünfte sollen künftig allen Gruppen offenstehen.

Der Streit über die Standorte der dauerhaften Wohnhäuser für Flüchtlinge beschäftigt Senat und Bezirke schon seit etlichen Monaten. Doch nun hat die rot-rot-grüne Koalition ihre bisherige Position verändert. Statt nur für Asylsuchende sollen die geplanten „Modularen Unterkünfte für Flüchtlinge“ (MUFs) auch für andere Bevölkerungsgruppen geöffnet werden, um Integration zu ermöglichen und die Neiddebatte zu verhindern, dass Flüchtlinge gegenüber anderen Wohnungslosen bevorzugt würden.

Außerdem wollen einige Bezirke lieber mehrere kleinere Standorte für die Flüchtlingsunterkünfte schaffen anstatt nur zwei große Gebäude mit jeweils bis zu 500 Menschen. „Es gibt einen Kurswechsel“, sagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) der Berliner Morgenpost. Die neuen MUFs würden wie Wohnungen gebaut und sollten, wenn möglich, „offen sein für alle anderen wohnungslosen Menschen“. Schon jetzt würden Bezirksämter auch andere bedürftige Menschen in bestehenden Flüchtlingsheimen unterbringen.

Einige Bezirke verfolgen konkrete Pläne. So möchte Mitte am Augustenburger Platz ein 14-stöckiges Hochhaus errichten, in dem Flüchtlinge und Studenten gemeinsam leben können. Das Bezirksamt schlägt vor, die vom Senat geforderten 1000 Plätze auf sechs Grundstücke zu verteilen. In Friedrichshain-Kreuzberg werden 13 Standorte diskutiert, wo jeweils nur ein Drittel Flüchtlinge leben sollen. Die Sozialsenatorin unterstützt solche dezentralen Lösungen. Gleichzeitig möchte die Linke-Politikerin aber sicherstellen, dass die Bezirke nicht wieder die vereinbarten Standorte infrage stellen und am Ende die ihnen auferlegten 1000 Plätze nicht realisieren.

Ein Hindernis, um Studenten in die MUFs aufzunehmen, liegt im „Flüchtlingsbaurecht“. Dieses wird angewandt, um schneller bauen zu können und Unterkünfte auch in reinen Gewerbegebieten genehmigen zu können. In solchen Fällen dürfen dort Nicht-Flüchtlinge erst einziehen, wenn die Bezirke die Bebauungspläne ändern. Aber das betrifft nur wenige der dauerhaften Unterkünfte. Von den 24 MUFs, die zuerst in Berlin errichtet wurden, sind elf mit 4300 Plätzen ohne Flüchtlingsbaurecht genehmigt, könnten also auch von anderen Wohnungslosen bezogen werden. Die Grünen-Fraktion hat bereits die Abkehr von reinen Flüchtlingshäusern beschlossen. „Wir haben kein Flüchtlingsproblem, wir haben ein Wohnungsproblem“, sagte die Abgeordnete Bettina Jarasch. Deshalb solle der Senat aufs Flüchtlingsbaurecht verzichten und die neuen Unterkünfte möglichst von Anfang an für gemeinsames Wohnen öffnen. Flüchtlinge und alteingesessene Berliner sollten als Nachbarn leben können.

Bezirke wollen kleinere Flüchtlingshäuser

In Berlins Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge sind derzeit mehr als 2000 Plätze frei. Aber immer noch 19.000 Menschen leben in diesen Wohnheimen oder Containern, wo sie nicht dauerhaft bleiben sollen.

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Bisher baut Berlin bevorzugt große Gebäude aus vorgefertigten Teilen für bis zu 500 Menschen. Und stellt sie oft gegen den Widerstand vieler Anwohner in den Außenbezirken auf, wo sich leichter freie Grundstücke finden als in der Innenstadt. In einigen Regionen leben in MUFs und anderen Gemeinschaftsunterkünften in Relation zur Gesamtbevölkerung erheblich mehr Flüchtlinge als anderswo. In Marzahn-Hellersdorf kommt ein Wohnheimplatz auf 59 Einwohner, in Spandau sind es 68 und in Lichtenberg 72. Der Berliner Durchschnitt liegt bei 131. Außenbezirke wie Steglitz-Zehlendorf oder Reinickendorf kommen auf mehr als 200. Um dieses Ungleichgewicht nicht weiter wachsen zu lassen, will Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) nun in jedem Bezirk 1000 Plätze in der nächsten MUF-Generation schaffen lassen. Jeder Bezirk muss mindestens zwei Standorte dafür einrichten.

In Friedrichshain-Kreuzberg und in Mitte, wo derzeit am wenigsten Flüchtlinge leben, wollen die Bezirksämter aber lieber mehrere kleine Unterkünfte schaffen und dort auch andere Bevölkerungsgruppen wohnen lassen. Für Friedrichshain-Kreuzberg schwebt Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) ein Verhältnis von einem Drittel Geflüchteter in den Häusern vor. Sein Kollege aus Mitte, Ephraim Gothe (SPD), hält Unterkünfte mit über 200 Personen für anonym und integrationsfeindlich.

Die Integrations-Expertin der Grünen, Bettina Jarasch, unterstützt diese Pläne: „Ich erwarte vom Senat, dass er diese Vorschläge sehr ernsthaft prüft und offen für die besseren Lösungen ist.“ Sie hoffe, dass auch in den Außenbezirken die Chance genutzt werde, jetzt so zu bauen, dass alle Menschen im Bezirk etwas davon haben. Ein Beispiel dafür ist der Plan von Charlottenburg-Wilmersdorf, auf dem Dach eines MUFs an der Quedlinburger Straße eine normale Kita einzurichten.

Hinter all diesen Überlegungen steht die Frage, wie lange die 2015/16 in großer Zahl eingewanderten Menschen unter dem Begriff „Flüchtlinge“ firmieren sollten. Schon heute leben in den Gemeinschaftsunterkünften Tausende Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht, viele arbeiten auch. Diese „Statusgewandelten“ gelten offiziell wie andere Menschen auch als Wohnungslose und müssen von den Bezirksämtern und nicht länger vom Flüchtlings-Landesamt untergebracht werden. „Ich möchte nicht, dass Geflüchtete für den Rest ihres Lebens Geflüchtete sind und von Sozialarbeitern betreut werden“, sagte Senatorin Breitenbach. Auch deshalb unterstützt sie Modelle, Flüchtlings-MUFs auch von Studenten, Familien oder Senioren nutzen zu lassen.

Dass Berlin angesichts des zurückgehenden Flüchtlingszuzugs auf den Bau dieser preiswerten Unterkünfte verzichten könnte, glaubt niemand. „Wir brauchen diese Häuser auf jeden Fall“, sagte Stadtrat Gothe, der in Wedding einen Wohnturm für Studenten und Geflüchtete plant. Wenn es um günstigen Wohnraum gehe, könne man „gar nicht am Bedarf vorbeiplanen“. Nach seinen Vorstellungen sollten solche Häuser auch an prominenter Stelle entstehen. Unter Mittes Vorschlägen für neue MUFs ist die Breite Straße. „Mit Blick zum Humboldt Forum“, so Gothe.