Berlin. Ein internes Papier belegt, dass der Verfassungsschutz einen Informanten im Umfeld von Anis Amri hatte – und dies verschwieg.

Wer wusste was über Anis Amri? Welche Behörde war dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz auf der Spur? Gab es Spitzel, die den Sicherheitsbehörden über Amri berichtet hatten? Die Frage nach der Rolle der Geheimdienste und der nachrichtendienstlichen Mittel, die sie im Fall Amri bemühten, wurde schon wenige Tage nach dem Anschlag gestellt. Das Erstaunliche: Ausgerechnet der wichtigste deutsche Inlandsgeheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), spielte im Fall Amri keine nennenswerte Rolle. Das versicherten zumindest die Bundesregierung und der Präsident des BfV, Hans-Georg Maaßen. V-Leute, die im Umfeld von Amri agierten und den späteren Massenmörder womöglich persönlich kannten? Hatten wir nicht! Leider. Aber so sei es gewesen. So die offizielle Lesart.

Das Interesse fokussierte sich angesichts der Beteuerungen des BfV, mit Amri kaum befasst gewesen zu sein, auf die Polizei. Das war verständlich. Denn vor allem das Berliner Landeskriminalamt (LKA) musste sich etliche Versäumnisse vorwerfen lassen. Die Beamten hatten Amris Gefährlichkeit falsch eingeschätzt und Hinweise auf mögliche Terrorpläne nicht ernst genug genommen. Sie versäumten es auch, Amri zumindest wegen seiner Drogen­geschäfte und einer Prügelei in einer Shisha-Bar ins Visier zu nehmen.

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    Bundesregierung hatte Einsatz von V-Leuten bestritten

    Die Geheimdienste und vor allem das BfV schienen im Fall Amri dagegen keine Fehler gemacht zu haben. Weil sie ja fast nichts damit zu tun gehabt hatten. So schrieb die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen bereits im Januar 2017: „Im Umfeld des Amri wurden keine V-Leute des BfV eingesetzt.“

    Behördeninterne Dokumente lassen an dieser Aussage nun Zweifel aufkommen. Und das ist vorsichtig formuliert. Denn das BfV war eben doch in den Fall Amri involviert. Nicht nur „koordinierend“, wie es hieß. Sondern mit einem eigenen V-Mann.

    Über die Akten zur Existenz des V-Mannes hatte zunächst die Zeitung „Die Welt“ berichtet. Reporter der Berliner Morgenpost, des Rundfunk Berlin-Brandenburg und des ARD-Magazins „Kontraste“ konnten nun ein bisher unbekanntes behördeninternes Dokument des BfV einsehen, das sämtliche Zweifel ausräumt. Es diente der Vorbereitung von BfV-Chef Maaßen für ein Treffen mit Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und dessen Staatssekretär Torsten Akmann am 24. März 2017. In dem Dokument ist von einer Quelle die Rede, die „für das BfV nachrichtendienstliche Aufklärung hinsichtlich eines Teils des den Berliner Moscheeverein Fus­silet33 e. V. frequentierenden salafistisch-jihadistischen Personenpotentials“ betreibe.

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      Ein V-Mann des BfV in der Berliner Fussilet-Moschee. In jener Moschee also, in der auch Anis Amri immer wieder verkehrte. In jener Moschee, in der Amri mindestens einmal sogar als Vorbeter auftrat. In jener Moschee, in der der spätere Attentäter gelegentlich übernachtete und die er auch am Tag seiner Todesfahrt mit dem Lkw, am 19. Dezember 2016, nur wenige Stunden vor dem Anschlag, noch einmal besuchte.

      Dass das BfV ausgerechnet in dem längst als „Amri-Moschee“ bezeichneten Dschihadisten-Treff in Berlin-Moabit einen V-Mann platziert hatte, erwähnt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Frage der Grünen mit keinem Wort. Auch BfV-Chef Maaßen betonte im Innenausschuss des Bundestages, das BfV habe zu Anis Amri keine Erkenntnisse aus eigenen Quellen gehabt.

      Versuchten die Bundesregierung und das BfV also, den Parlamentariern und der Öffentlichkeit die Existenz des V-Mannes zu verheimlichen? Das behördeninterne Dokument des BfV scheint diesen Verdacht zu bestätigen. In Teilen liest sich das Schriftstück wie ein Offenbarungseid. Wie ein Eingeständnis, dass man etwas zu verheimlichen hat. Und dass man alles tun sollte, damit dieses Geheimnis auch geheim bleibt.

      Maaßen steht ohnehin schon unter Druck

      So heißt es darin, dass Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamtes die operative Tätigkeit des BfV in einem Gespräch mit BfV-Mitarbeitern bereits im Februar 2017 problematisiert hätten. „Vor dem Hintergrund der parlamentarischen und medialen Aufarbeitung mutmaßlichen Behördenversagens im Fall des Anis Amri“ hätten die LKA-Beamten darin eine „besondere politische Tragweite“ erkannt, schreiben die BfV-Mitarbeiter. Innerhalb der Berliner Polizei werde nun die Strategie verfolgt, ein Kennverhältnis des V-Mannes zu Amri zu unterstellen.

      Die Angst, die Informationen zu dem V-Mann könnten an die Öffentlichkeit gelangen, ist aus dem Dokument förmlich herauszulesen. Und tatsächlich hätte die Öffentlichkeit wohl ein Interesse daran gehabt, mehr zu erfahren. Hatte der V-Mann Informationen über Amri? Hat das BfV diese Informationen für sich behalten? Oder kannte der V-Mann Amri – wie nun vom BfV behauptet – tatsächlich kaum?

      Doch statt auf Transparenz zu setzen, bevorzugten die Mitarbeiter des BfV, die Methode anzuwenden, auf die Geheimdienstler sich am besten verstehen: absolute Geheimhaltung. „Ein Öffentlichwerden des Quelleneinsatzes gilt es schon aus Quellenschutzgründen zu vermeiden“, heißt es in dem Vorbereitungsmemo für das Treffen mit der Führungsspitze der Berliner Innenverwaltung. Und: „Ein weiteres Hochkochen der Thematik muss unterbunden werden.“ Als Vorschlag für die Gesprächsführung gaben die BfV-Mitarbeiter ihrem Präsidenten auch folgenden Ratschlag mit auf den Weg: „Dringender Hinweis, dass im Polizeisektor ein weiteres Hochschaukeln des Sachverhalts vermieden werden muss.“

      Die Behörden äußern sich ausweichend

      Ob der Geheimdienstchef den Empfehlungen seiner Mitarbeiter bei dem Treffen mit Geisel und Akmann folgte und Innensenator Geisel tatsächlich drängte, dafür zu sorgen, dass die Existenz des V-Mannes geheim bleibt, ist unklar. Geisels Sprecher, Martin Pallgen, bestätigte auf Anfrage lediglich, dass es im März 2017 tatsächlich einen „Kennenlern-Termin“ zwischen Maaßen, Geisel und Akmann gegeben habe. Gespräche innerhalb des Verfassungsschutzverbundes unterlägen aber „grundsätzlich der Vertraulichkeit“. Noch kürzer fällt die Antwort des BfV aus. Zu einzelnen Terminen der Amtsleitung erteile die Behörde keine Auskunft. Man bitte um Verständnis. Auch die Frage, warum Präsident Maaßen den Einsatz des V-Mannes in der Fussilet-Moschee trotz vieler Nachfragen verschwiegen habe, belässt der Nachrichtendienst unbeantwortet. Zu „operativen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten“ äußere sich das Amt ausschließlich gegenüber den dafür vorgesehenen parlamentarischen Gremien.

      Andreas Geisel (SPD), Innensenator
      Andreas Geisel (SPD), Innensenator © dpa

      Bisher mussten die Parlamentarier auf erhellende Aussagen zum Fussilet-V-Mann allerdings verzichten. Nun ist die Geduld der Mitglieder des Untersuchungsausschusses des Bundestages mit dem BfV am Ende. Die These, dass der Fall Amri nur ein Polizeifall sei, breche „wie ein Kartenhaus“ zusammen, sagt der Obmann der FDP im Untersuchungssausschuss, Benjamin Strasser. Im U-Ausschuss müsse nun der Führer des V-Mannes als Zeuge vernommen werden. „Sollte die Bundesregierung hier weiter mauern und ihre schützende Hand über den BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen halten, dann werden wir unser Recht vor Gericht einklagen“, sagte Strasser.

      Auch die Linke-Politikerin Martina Renner kritisiert, dass das BfV seine Rolle im Fall Amri bisher „kleingeredet“ habe. „Wenn der Präsident einer Bundesbehörde darüber hinaus versucht, die parlamentarische Aufklärung zu behindern, hat das eine ganz besondere Qualität“, sagte Renner. Die Abgeordnete der Grünen, Irene Mihalic, hatte Maaßen angesichts der Enthüllungen über den BfV-V-Mann in der Fussilet-Moschee bereits am Montag in „erheblicher Erklärungsnot“ gesehen. Wenn sich die Berichte bestätigten, habe Maaßen das Parlament falsch informiert. Mihalic: „Sollte sich das so herausstellen, steht die weitere Amtsausübung des BfV-Präsidenten erheblich infrage.“

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