Berlin. Die Affäre um einen Vertrauensmann, den der Verfassungsschutz im Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri führte, ist nicht die erste Panne. Der Einsatz von V-Männern ist für den Verfassungsschutz auch eine Geschichte der Pannen und Versäumnisse. Zu den größten V-Mann-Pleiten des Verfassungsschutzes in der jüngeren Vergangenheit gehörten das geplatzte NPD-Verbotsverfahren und die Ermittlungspannen rund um die rechtsextreme Terrorgruppe des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).
Das erste NPD-Verbotsverfahren war Anfang 2001 unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eingeleitet worden. Auch Bundestag und Bundesrat folgten mit eigenen Anträgen. Der große Knall kam zwei Jahre später. Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren ein. Der Grund: In der Führungsebene der Partei waren laut Gericht zu viele V-Leute tätig. Denn der Verbotsantrag war mit zahlreichen Zitaten von V-Männern gespickt.
Auch im Umfeld des NSU waren gleich mehrere V-Leute platziert. Diese Geschichte ist noch immer nicht aufgearbeitet. Eine abschließende Erkenntnislage gibt es nicht – und wird es vielleicht auch nie geben, weil ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz die V-Mann-Akten, die einen NSU-Zusammenhang hatten, schredderte.
Als eine der wichtigsten Quellen des Bundesamtes galt Thomas Richter alias Corelli, der 2014 an einer unerkannten Diabetes-Erkrankung gestorben sein soll. Richter war in der rechtsextremen Szene bestens vernetzt und kannte alle wichtigen Protagonisten, vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Er soll dem Verfassungsschutz erste Hinweise auf den NSU geliefert haben. Bemerkenswert ist, dass Corelli bereits im Jahr 2005 seinem V-Mann-Führer eine DVD mit dem Titel „NSU/NSDAP“ übergab. Auf der CD waren zahlreiche rechtsextreme Inhalte. Für seine Spitzeltätigkeiten soll Richter knapp 300.000 Euro erhalten haben. Die vielen Informationen, die Richter lieferte, sollen beim Bundesamt aber nur unzureichend ausgewertet worden sein. Der Rechtsextremist lebte nach seiner Enttarnung durch einen Medienbericht und seinem Ausstieg unter falschem Namen in einem Zeugenschutzprogramm im Raum Paderborn (Nordrhein-Westfalen).
Ein zweiter V-Mann im Umfeld des NSU war der Neuköllner NPD-Funktionär Carsten Szczepanski alias Piatto. Der Berliner vertrieb rechtsextreme Musik-CDs und galt als Verbindungsglied der rechtsextremen Szenen von Brandenburg und Sachsen. Heute befindet sich Piatto ebenfalls in einem Zeugenschutzprogramm. In Kontakt mit dem Verfassungsschutz kam Szczepanski im Jahr 1995, als er in U-Haft wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer saß. Einem Vermerk zufolge soll Piatto bereits 1998 berichtet haben, dass drei Skinheads – zwei Männer und eine Frau – auf der Flucht seien und sich nach Südafrika absetzen wollten. Mit den Informationen passierte allerdings mutmaßlich nichts.
Und dennoch sagen Verfassungsschützer, dass sie auf die Arbeit, die diese Quellen leisten, nicht verzichten können. Denn V-Leute geben Einblicke in verschlossene Szenen. Und: Von deren Arbeit bekomme man nur etwas mit, wenn etwas schiefgehe. Die vielen wertvollen Informationen, die V-Leute liefern, landen selten in der Öffentlichkeit, so das Argument.
V-Männer sind allerdings auch sehr häufig Spitzel mit kriminellem Hintergrund. V-Leute liefern Informationen gegen Geld. Auch aus diesem Grund gelten sie für Kritiker als problematisch. Zum einen müssen V-Mann-Führer immer damit rechnen, dass sie betrogen werden, und zum anderen haben sich gerade Neonazis immer wieder damit gebrüstet, dass sie Geld vom Verfassungsschutz für die rechtsextreme Szene verwendet haben. Allein der kleine Thüringer Verfassungsschutz zahlte zwischen 1994 und 2000 für „nachrichtendienstliche Zwecke“ drei Millionen D-Mark.