Berlin. Bei der Abgeordnetenhaus-Wahl 2016 kam die NPD auf gerade mal 0,6 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 waren es nur noch 0,4 Prozent. Und ebenfalls im Jahr 2017 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die NPD sei zwar verfassungswidrig. Den Verbotsantrag des Bundesrats wiesen die Richter dennoch zurück. Die Begründung: Für die freiheitlich-demokratische Grundordnung stelle die NPD keine Gefahr dar. Sie sei zu bedeutungslos.
Nun sorgt die Splitter-Partei dennoch für Empörung – mit einem dreiminütigen Video einer „Bürgerwehr“ in der S-Bahn. Tom Schreiber, Innenexperte der SPD, forderte ein Einschreiten der Ordnungsbehörden. Sogenannte „Bürgerwehren“ müssten frühzeitig unterbunden werden, damit andere das Vorhaben nicht kopieren könnten. Man dürfe der NPD aber nicht auf den Leim gehen. Die Partei habe keine Bedeutung mehr und sei „ein politischer Koma-Patient“.
Politiker üben scharfe Kritik an NPD-Aktion
Der Linke-Abgeordnete Niklas Schrader bezeichnete den NPD-Aufruf als „Angriff auf den Rechtsstaat und das Gewaltmonopol des Staates“. Die Polizei solle alle Möglichkeiten nutzen, dagegen straf- oder ordnungsrechtlich vorzugehen. Er sei sich sicher, dass auch die Berlinerinnen und Berliner „couragiert“ vorgingen. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, sagte zu „Bürgerwehren“ und der NPD: „Die braucht kein Mensch.“ Die Polizei müsse einschreiten, sobald die „Bürgerwehren“ auch nur einen „Hauch von Aggression“ verbreiteten.
Der AfD-Innenpolitiker Karsten Woldeit bezeichnete die NPD-Initiative als zwecklos und kontraproduktiv. Die Innenverwaltung und das Sicherheitspersonal der Deutschen Bahn müssten das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste steigern. Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe nannte den NPD-Vorstoß einen provozierenden PR-Gag. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger sagte, die NPD sei irrelevant. Er wolle sie nicht durch eine Stellungnahme aufwerten.
Auch der Verfassungsschutz verwies darauf, dass Einfluss und Bedeutung der NPD in Berlin in den vergangenen Jahren „spürbar“ zurückgegangen seien. Die Partei habe „aktionsorientierten“ Rechtsextremisten eine „organisatorische Heimat“ geboten. An öffentlichen NPD-Veranstaltungen hätten in Berlin zuletzt selten mehr als zehn Personen teilgenommen. Mit der „Bürgerwehr“-Kampagne wolle die NPD, „in rassistischer Manier“ eine von Flüchtlingen und Migranten ausgehende generelle Gefahr für die öffentliche Sicherheit beschwören. Zum anderen wolle die Partei Aufmerksamkeit. Ihren bisherigen Aufrufen für Bürgerwehren seien kaum nennenswerte Aktivitäten gefolgt.
NPD-Beschützer mit Vorstrafen
Ein Blick auf die Parteikader in dem NPD-Video ist dennoch interessant: Denn einige Kader, die vorgeben, ihre „Landsleute“ beschützen zu wollen, sind der Justiz gut bekannt Der einstige Berliner NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke etwa wurde wegen Volksverhetzung verurteilt. Zuletzt musste er sich wegen des Vorwurfs der Körperverletzung verantworten. Der Vorwurf ließ sich allerdings nicht beweisen, weil die Polizei Zeugenaussagen fehlerhaft protokolliert hatte.
Ein Sprecher der für den Bahnverkehr zuständigen Bundespolizei hatte bereits am Montag erklärt, man prüfe, ob es durch den Film strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße gebe. Die Berliner Landespolizei erklärte, „Zivilcourage und aufmerksame Bürger“ zu unterstützen. „Bürgerwehrartige Strukturen lehnen wir strikt ab“, hieß es per Twitter. Die Reaktion der Polizei hänge davon ab, von Gefahren vorlägen oder Straftaten begangen würden. Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, sagte: „Wir brauchen keinen Haufen von Rechtsextremen, die die durchaus berechtigten Ängste der Menschen für ihre perfide Ideologie missbrauchen.“
Bisher wurde die Bürgerwehr nicht gesichtet
Die S-Bahn erklärte, gegen das bloße Mitfahren gebe es keine Handhabe. Das Video sei aber ohne Genehmigung gedreht worden. Man sei wegen dieses Verstoßes gegen die Hausordnung aber bisher nicht aktiv geworden, „um der NPD keine zusätzliche Bühne zu geben“, sagte ein Sprecher des Mutterkonzerns Deutsche Bahn. Sollte das Video „aktiv genutzt werden“, behalte man sich rechtliche Schritte vor. Ob in der S-Bahn tatsächlich NPD-„Bürgerwehren“ mitfahren, ist unklar. Bundespolizei und S-Bahn erklärten, bisher keine gesichtet zu haben.
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