Berlin. Sie sollen Neonazis und Linksmilitante stoppen, islamistische Terroristen aus dem Verkehr ziehen und Anschläge verhindern: Polizisten der Abteilung für Staatsschutz gelten als Elite-Kriminalisten. „Wir sind die Guten“: Das ist das Selbstverständnis der Beamten, das ist ihr Auftrag. Ihre charakterliche Eignung und demokratische Gesinnung – sie standen bisher außer Frage. Recherchen der Berliner Morgenpost, des ARD-Magazins „Kontraste“ und des Norddeutschen Rundfunks (NDR) nähren daran nun ernsthafte Zweifel. Denn einer der Extremisten-Jäger soll selbst in einem Jargon kommuniziert haben, den sonst nur Extremisten nutzen. Genauer: Rechtsextremisten.
Berlin, 31. Dezember 2016: Der bis dahin verheerendste islamistische Terroranschlag der Bundesrepublik, die Todesfahrt des Attentäters Anis Amri auf dem Breitscheidplatz, ist keine zwei Wochen her. Doch schon jetzt ist klar, dass die Anti-Terror-Fahnder des Landeskriminalamtes (LKA), Abteilung Staatsschutz, Kommissariat 541, sich etliche Versäumnisse vorwerfen lassen müssen. Sie ließen Amri observieren und hörten seine Telekommunikation ab – erkannten aber nicht, dass eine Katastrophe drohte. Sie wussten, dass er mit Drogen dealte und an einer Schlägerei beteiligt war – versäumten es aber, einen Haftbefehl zu erwirken.
Silvester wollten die Beamten sich nicht vermiesen lassen
Ein Kriminalhauptkommissar und ein Polizeioberkommissar des Kommissariats, das für Amri zuständig war, wollen sich jenen Silvestertag 2016 dennoch nicht vermiesen lassen. „Kommt jut rinn“, lautet die SMS, die um kurz nach 13 Uhr vom Handy des Polizeioberkommissars versendet wird. Dann folgt der Satz, den man zweimal lesen muss, um zu glauben, dass ihn ein Staatsschützer geschrieben haben soll: „haltet euch von Merkel & Co und ihren scheiß Gut-Menschen fern“, heißt es. „Ich erwarte euch im nächsten Jahr. Bis denne“
Keine drei Wochen später, am 20. Januar 2017 folgt eine noch deutlichere SMS. „Haltet die Ohren steif“, heißt es zunächst. Später wird in das Handy des Polizeioberkommissars die Ziffernkombination „88“ eingetippt. Für Außenstehende mag das unverfänglich erscheinen. Doch für Experten – und Staatsschützer sind Experten – ist die Bedeutung klar: Die "8" steht für den achten Buchstaben des Alphabets, also für das H. Es ist ein szeneüblicher Code für den verbotenen Gruß der Nationalsozialisten: „Heil Hitler!“
Der Empfänger der SMS ist ausgerechnet der Vorgesetzte des Polizeioberkommissars. Doch der Kriminalhauptkommissar weist den Beamten nicht etwa in die Schranken. Er schweigt – zumindest in der SMS-Unterhaltung.
Normalerweise hätte niemand von den SMS erfahren. Sie wurden zufällig entdeckt – bei Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in anderer Sache. Sie hatte gegen den Kriminalhauptkommissar und einen weiteren mit dem Fall Amri betrauten Beamten im Mai 2017 ein Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt und der Fälschung beweiserheblicher Daten eingeleitet. Die Staatsschützer wurden verdächtigt, einen Vermerk über Amris Drogengeschäfte im Nachhinein manipuliert zu haben – um ihre vorherige Untätigkeit zu kaschieren. Das Verfahren wurde im April eingestellt, weil kein Vorsatz belegt werden konnte. Die Staatsanwälte machten aber deutlich, dass der Verdacht der Aktenmanipulation nicht ausgeräumt werden konnte.
Bereits im Juni 2017 Disziplinarverfahren eingeleitet
Bei den Ermittlungen wurde auch das Handy des Kriminalhauptkommissars ausgewertet. Dabei entdeckten die Ermittler die in Rede stehenden SMS – und leiten sie an den Stab des LKA weiter. Dort, in der Dienststelle 324, erstellte ein Beamter einen Vermerk. Das Dokument vom 6. Juli 2017 liegt der Morgenpost, „Kontraste“ und NDR vor. Der Polizist kam darin zu einem klaren Ergebnis: Bei der Ziffernfolge „88“ handele es sich „um den rechtsextremistisch-szenetypischen Code für ,Heil Hitler‘.“ Dies müsse jeder Dienstkraft im Staatsschutz „hinlänglich bekannt“ sein. Auch die Forderung, „sich von Merkel & Co und ihren scheiß Gut-Menschen fernzuhalten“, entspreche dem „gebräuchlichen Tenor rechtsextremistischer Gesinnung“.
Der Kriminalhauptkommissar habe die SMS, zumindest in dem Chat, dennoch „nicht kritisch hinterfragt“. Er habe auch nicht die „erforderlichen dienstrechtlichen Maßnahmen“ in die Wege geleitet. Als Vorgesetzter wäre er laut Dienstvorschrift aber verpflichtet gewesen, „Nachlässigkeiten, Disziplinlosigkeiten und sprachliche Auswüchse unmittelbar zu unterbinden“.
Die Polizei bestätigte auf Anfrage, dass bereits im Juni 2017 Disziplinarverfahren eingeleitet worden seien. Der Polizeioberkommissar („88“) habe einen „Verweis“ erhalten. Es ist die mildeste Sanktion im Disziplinarrecht. Das Verfahren gegen den Kriminalhauptkommissar sei noch offen. Es erfordere „umfangreiche Ermittlungen“. Mit den SMS stünden diese nicht im Zusammenhang. Einer der Beamten arbeite nicht mehr im Staatsschutz, der andere schon. Außerdem schreibt Polizeisprecher Thomas Neuendorf: „Bei den betroffenen Beamten wurde keine extremistische Gesinnung festgestellt.“ Welche anderen Gründe den Polizeioberkommissar veranlasst haben könnten, eine Grußformel im Stile von Neonazis zu nutzen, sagt Neuendorf nicht.
Für ehemalige Polizisten bricht eine Welt zusammen
Michael Knape war selbst bei der Berliner Polizei. Er war Direktionsleiter und führte Einsätze gegen Rechtsextremisten, hinderte sie daran, Propaganda zu verbreiten. Nun schult er an Hochschulen den Polizistennachwuchs. Wenn Knape über die rechtsradikalen Verbalausfälle in den SMS spricht, sagt er Wörter wie „unerträglich“ und „unvorstellbar“. Staatsschützer hätten eine herausgehobene Funktion. „Wenn ich höre, dass sie wie Rechtsextremisten sprechen, bricht für mich eine Welt zusammen“, so Knape. Und: „Der Mann muss aus dem Polizeidienst entfernt werden.“
Auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) kritisiert das Vorgehen der Polizeiführung. Der Absender der SMS und sein Vorgesetzter hätten „im Polizeidienst nichts mehr verloren“. Die Innenexpertin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, will den Fall im Amri-Untersuchungsausschuss prüfen. Auch für den innenpolitischen Sprecher der Berliner FDP, Marcel Luthe, ist der „Verweis“ zu milde. Ein Beamter, der sich so verhalte, sei „weder für den Staatsschutz geeignet noch für die Berliner Polizei, weil er ganz offensichtlich weder die Treue zum Rechtsstaat noch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“ habe, so Luthe.
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