Berlin. Im Fall der getöteten Susanne Fontaine hat das Gericht ein Urteil gesprochen - und von der Anwendung des Jugendstrafrechts abgesehen.
Ein Sensation ist es nicht, eine Überraschung aber schon: Die von Richter Ralf Vogl geleitete Moabiter Jugendkammer verhängte am Montag gegen den Angeklagten Ilyas A. wegen Mordes und Raubes mit Todesfolge eine lebenslange Freiheitsstrafe. Und das, obwohl der gebürtige Tschetschene mit russischer Staatsbürgerschaft zur Tatzeit erst 18 Jahre und drei Monate alt war – in einem Alter also, bei dem Angeklagte als Heranwachsende gelten und Jugendkammern ansonsten fast immer eine Jugendstrafe verhängen; also maximal 15 Jahre.
Richter Vogl sagte bei der Urteilsbegründung, die Kammer sei überzeugt, dass Ilyas A. die Kunsthistorikerin Susanne Fontaine ermordete. Sie kam am Tattag von einem geselligen Treffen mit ehemaligen Kommilitoninnen aus der Gaststätte „Schleusenkrug“ im Tiergarten. Sie lief zum Bus und benutzte den Weg zwischen Bahndamm und Zoo. Etwa 20 Meter vor dem Hardenbergplatz habe der Angeklagte dann zugeschlagen, so der Richter.
Ilyas A. habe die 60-Jährige nicht gekannt. Sie sei von ihm „völlig willkürlich“ ausgesucht wurden. „Es kam ihm auch nicht darauf an, sie zu töten. Er wollte Beute machen“, sagte Vogl. Der Angeklagte habe sie den Ermittlungen zufolge von hinten überfallen und bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt, „um ihre Hilfeschreie zu ersticken“. Anschließend habe er Susanne Fontaine in ein Gebüsch gezogen, sich auf ihren Rücken gekniet und sie erdrosselt. Dieses Drosseln soll nach Schätzungen eines Gerichtsmediziners drei bis vier Minuten gedauert haben. Vogl sprach von einem „absoluten Vernichtungswillen“. Die zierliche, nur 1,60 Meter große Frau habe gegen den großen, kräftigen Angeklagten, der Kampfsport betrieb, „keinerlei Chancen“ gehabt. Ihr Leichnam wurde erst drei Tage später von Passanten in einem Gebüsch gefunden. Das Gericht ging wie zuvor schon die Staatsanwaltschaft von drei Mordmerkmalen aus: Habgier, Heimtücke und Ermöglichung einer anderen Straftat.
Angeklagter will Leichnam zufällig entdeckt haben
Ilyas A. hatte vor Gericht nicht ausgesagt und von seinen Verteidigerin nur eine Erklärung verlesen lassen, die er so auch schon am 7. März bei einem Haftprüfungstermin abgegeben hatte. Also erst ein halbes Jahr nach seiner Festnahme – zu einem Zeitpunkt, als ihm die Akte mit allen aufgelisteten Indizien zugänglich war und er darauf detailliert reagieren konnte.
Ilyas R. gab darin zu Protokoll, dass er den Leichnam der Frau angeblich am Morgen des 6. September in dem Gebüsch beim Wasserlassen entdeckt habe, nachdem er die Stunden zuvor in einem Moabiter Internetcafé verbracht und dabei auch sehr viel Alkohol getrunken habe. Anfangs habe er gedacht, dass es sich bei der Frau im Busch um eine stark Betrunkene handele. Ihm sei sofort die Idee gekommen, sie nach Wertsachen zu durchsuchen. Als er damit begann, habe er festgestellt, dass die Frau schon tot war. Obwohl er angesichts des Leichnams in Panik geraten sei, habe er die Frau weiter durchsucht. Es könne sein, dass er dabei auch die Lage des Leichnams verändert und die tote Frau mit den Händen berührt habe. In einer Handtasche habe er ein Handy und etwas Kleingeld gefunden.
Vogl kritisierte bei seiner Urteilsbegründung, dass Ilyas A. auf Nachfragen des Gerichtes nicht geantwortet habe. Das sei zwar sein gutes Recht als Angeklagter, es habe jedoch den „Wert der Einlassung beträchtlich gemindert“.
DNA-Spuren an der Leiche als Indizien für die schuld
Als Indizien für die Schuld des Angeklagten wertete der Richter unter anderen die DNA-Spuren, die am Leichnam gefunden wurden. Ebenso seine Flucht nach Polen und die Tatsache, dass Ilyas A. mit dem geraubten Handy bei Google unter den Stichworten „Frau Mord Tiergarten“ suchte, zu einem Zeitpunkt, als noch gar nicht klar war, dass die tote Frau, die er gefunden haben will, tatsächlich ermordet wurde. Ein weiteres Indiz sei seine Vorstrafe, so der Richter. Ilyas A. hatte in Berlin vier hochbetagte Frauen brutal ausgeraubt; die älteste war 98 Jahre alt. Dafür wurde er von einem Jugendgericht zu anderthalb Jahren Haft verurteilt, die er auch voll absaß.
Knackpunkt des Prozesses war die Einschätzung, ob für Ilyas A. das Erwachsenenstrafrecht gilt. Die Kammer befürwortete das und bezog sich dabei auf die Einschätzungen eines psychiatrischen Gutachters und einer Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe, die übereinstimmend erklärten, dass bei Ilyas A. „keine Nachreife zu erwarten“ sei. „Er hat seit Jahren antisozial gelebt und ist auch nicht bereit, seinen Lebensstil zu ändern“, sagte Vogl.
Der Witwer der ermordeten Susanne Fontaine versuchte nach der Urteilsverkündung, noch einmal einen Blick des Angeklagten zu erhaschen. „Ich habe in all den Wochen keine Gefühlsregung bei ihm gesehen“, sagte der 67-jährige Klaus Rasch. Mit dem Urteil sei er „nicht ganz zufrieden“. Er befürworte natürlich, dass Ilyas A. nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden sei, habe sich aber auch erhofft, dass der Angeklagte nach verbüßter Haft in Sicherungsverwahrung verbleiben muss. Das sei rechtlich aber nicht möglich gewesen, hatte Richter Vogl zuvor erklärt. Auch die Einschätzung der „besonderen Schwere der Schuld“ sei nicht heranzuziehen. Es handele sich um keine Tat mit besonders ausschweifender Grausamkeit. „Es war ein Raubmord. Nicht weniger, aber auch nicht mehr“, sagte Vogl.
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