Leerstand in Berlin

Das sagt Justizsenator Dirk Behrendt zu Hausbesetzungen

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Isabell Jürgens und Lorenz Vossen
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Roten Rathaus

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Roten Rathaus

Foto: Reto Klar / reto Klar

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) spricht im Interview über den Umgang mit illegalen Besetzungen.

Berlin.  Mehr als die Hälfte der Berliner halten einer aktuellen Umfrage zufolge Hausbesetzungen für ein legitimes Mittel, um auf Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Bei den Wählern der Linken und der Grünen sind es sogar 83, beziehungsweise 77 Prozent. Seit Aktivisten am Pfingstsonntag mehrere Häuser besetzten, ringt die rot-rot-grüne Landesregierung um eine gemeinsame Haltung gegenüber dieser Aktion – zumal weitere Besetzungen angekündigt wurden. Nur einer blieb in der Diskussion bislang auffällig zurückhaltend: Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Ein Gespräch.

Hausbesetzungen sind in jedem Fall eine Straftat. Sieht das auch der Justizsenator so?

Dirk Behrendt: Paragraf 123 des Strafgesetzbuches wertet Hausbesetzungen als Hausfriedensbruch. Hausfriedensbruch ist eine Straftat, die jedoch erst verfolgt wird, wenn ein Betroffener das beantragt. Das Gesetz gilt bundesweit und damit auch in Berlin.

Politiker der Grünen wie Katrin Schmidberger und Monika Herrmann haben Hausbesetzungen als legitime Mittel des zivilen Ungehorsams bezeichnet und die Räumung als politisch falsches Signal. Geben Sie ihnen jetzt Nachhilfe in Rechtsfragen?

Ich verweise gerne auf eine Rechtsprechung aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt. Da hat erst das Amtsgericht und dann auch das Oberlandesgericht in Naumburg entschieden, dass Tierschützer, die in einen Stall eingebrochen sind, um die Haltungsbedingungen der Tiere zu dokumentieren, sich nicht des Hausfriedensbruchs strafbar gemacht haben. Das Gericht hat eine Abwägung vorgenommen zwischen dem, was die Tierschützer motiviert, nämlich das Tierwohl, und wie stark dies gegenüber den Eigentumsrechten des Stallbesitzers wiegt.

Und?

Das Gericht kam zu dem Entschluss, dass das Tierwohl überwiegt.

Das erzählen Sie uns, weil Sie der Meinung sind, dass man eine solche Abwägung bei Hausbesetzungen auch vornehmen sollte?

Nein. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem der Justizsenator seiner Staatsanwaltschaft die Ermittlungsergebnisse durch die Zeitung vorgibt.

Dann andersherum gefragt: Finden Sie die von Mitgliedern Ihrer Fraktion und Partei geäußerte Haltung zu Hausbesetzungen problematisch?

Bei dieser Frage geht es nicht um die Legalität, sondern um die Legitimität. Und da habe ich als Grüner die Auffassung: Wenn wir die Hausbesetzungen in den 80er-Jahren nicht gehabt hätten, würde es ganze Wohnquartiere gar nicht mehr geben. Dann wären etwa an der Oranienstraße Häuser abgerissen und an ihrer Stelle Autobahntrassen gebaut worden. Wir sind heute alle froh und dankbar, dass das nicht passiert ist. Und das ist unter anderem auf die Hausbesetzungen zurückzuführen. Politisch ist das damals eine wichtige Bewegung gewesen, die ja auch zur Gründung der Alternativen Liste geführt hat.

Und Sie sehen da Parallelen zu heute?

Heute plant keiner Häuser abzureißen, um eine Autobahn zu bauen. Wir haben allerdings Wohnungsleerstand in einem Umfang, der problematisch ist. Um gegen den spekulativen Leerstand vorzugehen, hat das Abgeordnetenhaus den Behörden durch das Zweckentfremdungsverbotsgesetz in diesem Jahr dazu die Handhabe gegeben. Und ich erwarte durchaus, dass die Bezirksämter das auch tun. Und ich erwarte auch, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften alles daran setzen, ihre 5500 leer stehenden Wohnungen wieder zu vermieten. Die Berliner haben kein Verständnis dafür, dass Häuser drei, fünf oder acht Jahre leer stehen. Das ist nicht in Ordnung. Leerstand kann mit bis zu 500.000 Euro Bußgeld geahndet werden.

Sind Sie denn der Auffassung, dass die „Berliner Linie“, wonach ein besetztes Haus binnen 24 Stunden geräumt werden muss, nicht mehr zeitgemäß ist?

Mir ist nicht bekannt, dass es Bestrebungen gibt, von der Berliner Linie abzuweichen. Aber sie besagt ja nicht nur, dass innerhalb eines Tages geräumt werden soll, sondern auch, dass die Häuser nach Räumung umgehend saniert und wieder bewohnbar gemacht werden müssen. Und das fordern wir jetzt ein. Bei den Hausbesetzungen in der Reichenberger Straße in Kreuzberg und auch in Neukölln ist mir nicht bekannt, dass das passiert.

Der Chef eines kommunalen Wohnungsunternehmens hat den Hausbesetzern versprochen, dass sie nach der Sanierung bevorzugt berücksichtigt werden sollen. Ist das nicht ein falsches Signal?

Momentan steht das Haus leer, niemand kann es nutzen. Die Aufgabe unserer städtischen Wohnungsbaugesellschaften ist aber, den Berlinern bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen und nicht Leerstand zu verwalten.

Mit solchen Aussagen distanzieren Sie sich doch von der gängigen Rechtsprechung.

Durchaus nicht. Ein Rechtsbruch kann nicht mit einem Rechtsbruch beantwortet werden. Ich habe lediglich an die zuständigen Bezirke appelliert, gegen Leerstand vorzugehen. Die rechtlichen Mittel dafür haben sie.

Was halten Sie von der Forderung von Linken und Grünen, in den vorgenannten Fällen auf Strafverfolgung zu verzichten?

Die Hausinhaber der beiden tatsächlich besetzten Häuser haben sich entschieden, Strafantrag zu stellen. Diese Strafverfahren laufen nun.

Und das finden Sie auch richtig so?

Das gibt uns das Gesetz so vor. Es wäre ja noch schöner, wenn der Justizsenator befinden könnte, welche Straftaten er verfolgt und welche nicht.

Aber ist es nicht problematisch, wenn andere aus Ihrer Partei genau das fordern?

Ich kenne nicht alle Forderungen im Einzelnen, die es in den letzten Tagen gab. Und die Unterscheidung zwischen Legitimität und Legalität haben wir ja bereits erörtert. Wir haben es hier mit der politischen Aktionsform des zivilen Ungehorsams zu tun. Etwa so wie damals, als Raketentransporte von Demonstranten blockiert wurden. Da weiß ich als Demonstrant, dass ich etwas Ungesetzliches tue, und nehme die Sanktionen hin. Als Justizsenator fordere ich natürlich dazu auf, sich an die Gesetze zu halten. Das mache ich im Übrigen auch bei Autofahrern, die die Radwege zuparken.

Wir merken, dass Sie aufrechnen wollen, was gute und was schlechte Straftaten sind.

Nein. Ich nehme aber im Straßenverkehr ein schwindendes Rechtsbewusstsein wahr. Regelverstöße sind nicht in Ordnung, mehr will ich damit nicht sagen. Es ist doch so, dass sich gerade diejenigen jetzt über Hausbesetzungen besonders aufregen, für die Falschparken oder Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt darstellen.

Und Hausbesetzungen?

Solange sie im Strafgesetzbuch stehen, werden sie auch verfolgt. Bisher ist mir im Bundestag keine Initiative bekannt, das zu ändern.

Berlins Linke-Chefin Katina Schubert fordert, dass „es keine Straftat mehr sein darf, spekulativen Leerstand zu besetzen“. Was sagen Sie dazu?

Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz verbietet doch bereits heute spekulativen Leerstand. Es ist eine Aufgabe der Bezirke, das auch durchzusetzen. Auch die Linke stellt hier zuständige Stadträte.

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