. Glamouröse Galerien in Mitte & Kunst-Dschungel in Weissensee: Branchenkenner und Schaulustige genossen das 14. Gallery Weekend.
In den Bars rund um die Auguststraße in Mitte war schon am Donnerstagabend klar: Dieses Wochenende steht Berlin im Zeichen der Kunst. In einer Ecke unterhält man sich beim Bourbon mit der iranischen Künstlerin aus Teheran über den Einfluss von Ahnenforschung auf das neue Werk. In der anderen philosophiert das belgische Kreativquartett über den Charme der deutschen Hauptstadt - und der Berlin-Kenner aus der Runde will so schnell wie möglich nach Neukölln weiterziehen.

Sie alle reisten an, um ein Wochenende lang die Ausstellungshallen der Hauptstadt abzuklappern: Zum 14. Mal fand das Gallery Weekend statt. Offizielle Partner des Kunstfestivals sind eigentlich nur 47 Galerien, die sich für 7500 Euro einen Platz im offiziellen Programm und eine Würdigung beim Galadinner sichern. Abseits davon mischen aber auch Hunderte kleinerer Galerien mit Extra-Events und spezielle Öffnungszeiten mit. Gefühlt hat jedes Kellerloch, indem sich Kunststudenten mit Farbe bespritzen, für dieses Wochenende eine eigene Facebook-Veranstaltung erstellt.

Spektakuläre Installationen
Aber nicht nur Kenner, sondern auch Neulinge genossen das Galerie-Hopping, denn wer keine Ahnung von Kunst hat, der kam zumindest bei den Gratis-Drinks und Häppchen, mit denen viele Galerien lockten, auf seine Kosten. Wer noch nicht zu viel an der Champagnerflöte genippt hat, der konnte zudem eine ganz besondere Installation in der Galerie Alexander Levy in der Rudi-Dutschke-Straße testen. Einige der 30.000 erwartete Besucher des Gallery Weekends ließen sich dort von Szenestar Julius von Bismarck inspirieren – der hielt seine Besucher nämlich wortwörtlich in Bewegung, indem er den Fußboden in ein Laufband verwandelte.

In der Galerie König montierte Claudia Comte 20 herabhängende Bäumen an der Decke fest. Im Schinkel-Pavillon am Berliner Schloss wurde auf das Spätwerk von Louise Bourgeois zurückgegriffen. Und im KW Institute for Contemporary Art bot sich der kanadische Künstler AA Bronson als Guru des Seelenheils an, der seine Schäfchen im Adamskostüm und mit Tee zum Selbstfindungsgespräch empfing.
Neue Künstler
Nur wenige Gehminuten von diesem improvisierten Heilungszelt entfernt feierte die Galerie Pugliese Levi ihr einjähriges Jubiläum mit Sekt und Häppchen. Viele Künstler, die bereits mit eigenen Ausstellungen dort vertreten waren, konnten sich mit einem Bild in der Sammelausstellung repräsentiert fühlen.

Die 32-jährige Chinesin Xiaohua lebt seit 2013 in Berlin und exploriert in ihren Bildern die Thematik menschlicher Schwäche. Berlin sei dafür sehr inspirierend: „Die Stadt schwebt immer zwischen einer bleiernen Schwere und einer einzigartigen Unbeschwertheit.“ Ein Markenzeichen ihrer Arbeit sind Nähte, die sie in die Leinwände einarbeitet und mit denen sie den Balanceakt zwischen Macht und Ohnmacht ausdrückt. Xiaohuas Gemälde hing neben der Arbeit ihrer Kollegin Birgitte Lund. Dicke Lagen Acryl, Papierstücke und diverse Flüssigkeiten fließen in Lunds Arbeit in organischen Collagen zusammen, an denen man sich kaum sattsehen kann. Die Dänin sucht damit nach dem Verborgenen im Offensichtlichen.

Eine ganz andere Technik nutzt der Franzose Thibaut Duchenne, der hauptberuflich eigentlich Landwirt ist und im Pariser Umland lebt. Sein kreatives Werkzeug ist der Fotoapparat. Duchennes Bilder entstehen alle in der Natur, rund um seine Farm herum. Ohne Photoshop und andere Retusche-Werkzeuge fängt er die detailreiche Schönheit der Natur ein.
Junge Wilde
Eher wild ging es hingegen bei Ngorongoro zu. So wild wie der Name des Projekts gestaltete sich am Ende auch das Event. Künstler, die sich unabhängig von Galerien darstellen wollten, modelten in wochenlanger Kleinstarbeit eine ehemalige Fabrik in Weissensee zum gigantischen Kunst-Dschungel um. Halb Hipster-Berlin machte sich auf den Weg, um die Artenvielfalt des Ateliergeländes in ihren Instagram-Stories festzuhalten – bei dem schönen Wetter machte auch das Anstehen nichts aus.

Etwas familiärer war die Atmosphäre im Studio Chau & Kebbel in der Alexandrinenstraße. Bei Wein und selbstgemachtem Brot ließen sich die Künstler quasi über die Schulter gucken. Seit 2002 wohnt Marjorie Chau in Berlin. Die Hauptstadt sei für sie ein Ort der persönlichen Entwicklung: „Ich lebe hier mit dem Gefühl, dass alles möglich ist. Meine 'Noptico' Installation hier beim 'Gallery Weekend' thematisiert den fragilen Moment, wenn du dich beobachtest fühlst - und wann und wie du zum Zuschauer wirst.“

Studiopartner Malte Kebbel stellte sein aktuelles Werk „Dragon Tail“ vor, welches auch als Prototyp für ein geplantes 6 x 6 x 6 Meter großes Kunstwerk für den öffentlichen Berliner Raum dient. Die Idee zu diesem drachenähnlichen Fabelwesen kam ihm am Strand in „La Serena“ in Chile, es soll unter anderem modulare Kunst mit der Schönheit des offenen Raumes vereinen.

Kunst, über das Festival hinaus
Wer das Gallery Weekend leider verpasst hat, der muss nicht schmollen. Viele Galerien erhalten ihre Ausstellungen auch über das Wochenende hinaus. Wer es gerne kuschelig mag, der könnte sich zum Beispiel in der Gallerie The Ballery in der Nollendorfstraße 11 in Schöneberg wohlfühlen. Kuratiert von Constanze Metzel, Lais Castro Reis und Simon Williams feiert diese Ausstellung Kunstbücher und die Kunst der Bücher. Im Zentrum der Ausstellung „I BOOK YOU“ stehen Bücher als eigenes künstlerisches Medium in unterschiedlichsten Varianten. Die Ausstellung präsentiert die Positionen von elf Künstlern. „Als erschwingliches Multiple steht es auch für die Enthierarchisierung und Demokratisierung von Kunst. Die Idee einen alternativen Raums frei von kommerziellen und systemimmanenten Zwängen zu schaffen, veranlasst viele Künstlerinnen und Künstlern, mit diesem Medium zu arbeiten. In der Ausstellung werden ergänzend zu den Buchpublikationen Kunstwerke gezeigt, die in einem direkten Zusammenhang mit den Veröffentlichungen stehen“, so die Veranstalter.

Wem nur Bilder gucken zu langweilig ist, der sollte an einem der vielen Ballery-Konzerte, Künstlergesprächen und Networking-Treffen vorbeischauen. Diesen Ort verlässt man nicht mehr als Kunstbanause.