re:publica 2018

Johnny Haeusler: Auf der Startbahn in ein neues Netz

| Lesedauer: 14 Minuten
Joachim Fahrun
Erste Impressionen von der re:publica 2018

Erste Impressionen von der re:publica 2018

Das war Tag 1 der republica 2018

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Der Mitgründer der re:publica gehört zu den einflussreichsten Menschen der deutschen Digitalszene - und plädiert für Zwischentöne.

Berlin. Wer in Tempelhof lebt und im Kreuzberger Kiez rund um die Bergmannstraße arbeitet, kommt gerne aufs nahe gelegene Tempelhofer Feld, um Luft zu schöpfen und den Blick schweifen zu lassen. „Das ist ein einzigartiger Ort“, schwärmt Johnny Haeusler, als wir uns am Tor neben der Moschee am Columbiadamm treffen. Für Berlin sei es unglaublich wichtig, dass es wieder solch eine „Ikone“ gebe.

Eine Ikone ist der 53-Jährige sicher nicht, es würde ihm auch nicht gefallen, als solche bezeichnet zu werden. Aber Johnny Haeusler gehört zu den einflussreichsten Menschen in der deutschen Digitalszene. Sein mit dem Grimme-Preis prämierter Blog „Spreeblick“ zählt zu den bekanntesten Internettagebüchern des Landes. Fast 118.000 Menschen verfolgen seinen Twitter-Kanal, über den er meist kleine Botschaften zu digitalen Themen sendet, aber auch mal ganz schlicht fragt, wie er ein Grafikproblem auf seinem Rechner lösen kann.

Es spricht für ihn, dass er solche Zahlen relativiert. Allenfalls ein paar Tausend verfolgten seine Botschaften aktiv und regelmäßig. Diese vielen digitalen Kanäle seien nur „Teilwelten“, sagt er: „Wer das auf die ganze Welt projiziert, braucht ein Realitätsupdate.“

Es ist diese differenzierte Sicht auf Phänomene, die andere nur unkritisch bejubeln, aus der sich Johnny Haeuslers Einfluss und Ansehen in der Szene speist. Der gebürtige West-Berliner bemüht sich, die Welt und ihre rasende Veränderung ganzheitlich zu betrachten.

Als Mitgründer der Messe re:publica hat er das wichtigste Austauschforum in Deutschland geschaffen für all jene, die über die digitale Zukunft nachdenken und ihre Chancen und Risiken diskutieren möchten. Kommende Woche werden wieder mehrere 1000 Menschen zu den Vorträgen, Workshops und Panels in die Station am Gleisdreieck zur 18. Ausgabe der Veranstaltung strömen.

Ein ganz und gar analoger Mensch

Warum muss man sich treffen, wenn alle vernetzt sind über all die digitalen Datenströme? Haeusler stemmt sich gegen den strammen Wind auf dem Flugfeld, zieht die blaue Jacke am Kragen zusammen und outet sich an diesem Punkt als komplett analoger Mensch. Gestik, Mimik, Zwischentöne, all das verleihe direkter Kommunikation zwischen Menschen eine ganz besondere Qualität, die über digitale Kanäle nicht zu erreichen sei. Bestimmte Nuancen funktionierten in der Onlinekommunikation eben schlecht: „Ich bin ganz oft gescheitert, wenn ich versucht habe, etwas Lustiges zu posten ohne Smiley dahinter“, bekennt der Digitalexperte.

Wir erreichen die erste Rollbahn, der Blick fällt auf das Terminalgebäude und die davor aufgebauten Container für Flüchtlinge. Auch Haeusler geht davon aus, dass das Feld irgendwann mal an den Rändern bebaut wird. Er hofft aber, dass die Weite dennoch bleiben wird.

Als der Fotograf zum ersten Motiv bittet, folgt Haeusler allen Anweisungen, schaut nachdenklich in die Weite. Das coole Posen beherrscht er, seit er als Teenager in den frühen 80ern mit seiner Band in Berliner Schulaulen und Punkkellern auftrat. Die Liebe zur Musik ergriff ihn früh. Sein erstes Konzert, „The Sweet“ in der Eichkamper Eissporthalle, besuchte er 1974. Da war er zehn.

Später gelangte er als Gitarrist und Sänger der Gruppe Plan B zu gewissem Ruhm. Sie traten auf als Vorband von Punkhelden wie The Clash oder den Ramones, spielten mit Duran Duran in den USA, nahmen mehrere Alben auf und kamen wie die Ärzte und Nena in dem Kinofilm „Richy Guitar“ vor. Nach Ärger mit der Plattenfirma löste sich Plan B 1996 auf. Als sich die Band vor einigen Jahren wieder für ein paar Konzerte zusammenschloss, fanden sich zahlreiche Fans mittleren Alters ein, die Hits wie „Beam me up, Scotty“ problemlos mitsingen konnten.

Mit dem Ende seiner aktiven Musikkarriere stieg Johnny Haeusler, den seine Eltern Jörg genannt hatten, Mitte der 90er in die Digitalwirtschaft ein. Er baute Internetseiten für Rockbands und experimentierte schon früh mit einem Onlineshop für Musik. „Ich habe ganz früh die Vision gehabt, dass dieses Netz auch für digitalen Musikvertrieb funktionieren würde“, erinnert sich der Musiker. Was heute Realität ist, hat er vor mehr als 20 Jahren schon vorausgeahnt: in Echtzeit Menschen auf der ganzen Welt zu erreichen mit Musik, Texten oder Fotos. „Der kulturelle Aspekt hat mich stark interessiert“, sagt Haeusler, der auch als Radiomoderator arbeitet. Vor allem bei der RBB-Welle Fritz hat er moderiert, heute präsentiert er regelmäßig „Spreeblick“ auf Flux FM.

Sorgenmachen als Hobby der Deutschen

Was hält er als „Veteran“ davon, wenn heute eine Mehrheit der Deutschen angsterfüllt auf die Digitalisierung blickt? Der Deutschen Hobby sei ja das Sorgenmachen, erwidert er nach kurzem Nachdenken, als wir einen Trampelpfad durch die Wiesen betreten. Er sehe als „Kultur- und Lebensoptimist“ generell lieber die Dinge, die nützlich sein könnten. „Man muss sich frühzeitig einmischen und sich selbst die Frage stellen, in welcher digitalen Welt man leben möchte“, predigt er.

Johnny Haeusler versucht, die Dinge stets zu differenzieren, zu durchdenken. Vielleicht ein spätes Erbe seiner Schulzeit am Canisius-Kolleg, obwohl er dem Jesuitengymnasium in Tiergarten als Angehöriger der vom Missbrauchsskandal der 70er- und 80er-Jahre betroffenen Schülergeneration nicht unkritisch gegenübersteht.

Er findet es schlimm, dass man heute mit verkürzten, simplen Sprüchen so viel Aufmerksamkeit gewinnen kann. „Dieses Rumgemaule und das Reduzieren komplexer Sachverhalte auf drei Worte funktioniert einfach nicht“, schimpft der sonst so freundliche Ex-Punker. Er verortet sich selbst eher links im politischen Spektrum, ohne Kritik am Dogmatismus vieler „Hart-Linker“ auszusparen. Schließlich ist er ja auch Arbeitgeber und Unternehmer, der von seinen verschiedenen Aktivitäten ordentlich leben kann. Die Schattenseiten der Marktwirtschaft lernte er kennen, als seine Media-Agentur 2003 pleiteging, nachdem ein großer Kunde nicht bezahlte. Aber das ist lange überwunden. Auch die re:publica ernährt inzwischen ihre Macher und das Mitarbeiterteam. „Wenn wir so was in Silicon Valley gemacht hätten, wären wir alle Millionäre“, sinniert er kurz: „Aber darum geht es ja nicht.“

Wie wird das Internet der Zukunft funktionieren?

Im Laufe der Zeit hat sich der frühere Rockmusiker zu einem echten Familienmenschen entwickelt. Sein Glücksort sei „home“ bekennt er auf der Flux-FM-Internetseite. Wobei sich bei den Haeuslers wie so oft bei digital aktiven Menschen Privates und Professionelles vermischt. Wie Markus Beckedahl und Andreas Gebhard gehört seine Frau Tanja zum Gründerteam der re:publica. Gemeinsam hat das Paar ein Buch geschrieben, das sich auch aus den Erfahrungen mit den beiden Söhnen speist. „Netzgemüse – Aufzucht und Pflege der Generation Internet“ heißt das bei Goldmann erschienene Werk, mit dem sie Eltern zu einem realistischen Umgang mit dem Thema Internet ermutigen wollen.

2016 riefen sie eine Internetkonferenz für Jugendliche ins Leben, die Tincon. Die nächste Ausgabe steigt im Juni im Columbia-Theater mit YouTubern, Künstlern, Schüleraktivisten und jungen Gründern. „Wir müssen den Jugendlichen viel mehr zuhören, sie selber sprechen lassen“, findet der Familienvater. Ob sich die Lage für Kinder und Jugendliche durch die überall und jederzeit verfügbaren Smartphones verschärft hat, mag er nicht beurteilen. „Aber die Teenager sind heute in einem völlig anderen Internet unterwegs als die Erwachsenen“, weiß er. E-Mails seien für sie out, stattdessen nutzen sie Apps und Messenger-Dienste. Um das, was ihre Kinder so trieben im Netz, sollten sich die Erwachsenen sehr kümmern, rät Haeus­ler: „Gar nicht wegen irgendwelcher Gefahren, sondern um zu wissen, wie das Netz in der Zukunft funktioniert und genutzt wird.“ Er weigert sich jedenfalls, dem Nachwuchs die aktuellen Pro­bleme mit dem Internet anzulasten. Hasskommentare stammten von Erwachsenen.

An der breiten Startbahn müssen wir entscheiden: rechts oder links? Der Wind pfeift. Man könnte glatt abheben. Der Fotograf lotst uns dann rechts herum. Er hat das alte Übungsflugzeug der Flughafenfeuerwehr als lohnendes Motiv entdeckt. Wir gehen quer über die Wiese, wo gelbe Frühlingsblumen die Köpfe herausstecken.

„So wie jetzt kann es nicht weitergehen“

Natürlich kommt man bei einem Gespräch über die digitale Welt auch auf Facebook. Johnny Haeusler wirbt schon lange für eine bessere Kontrolle der großen Konzerne. So hat er an der Charta der digitalen Grundrechte mitgeschrieben, die 2016 veröffentlicht wurde und einen Rahmen für die digitale Welt bieten möchte. Die Regulierung werde kommen, ist er überzeugt. Plattformbetreiber wie Facebook müssten für ihre Inhalte Verantwortung übernehmen. „So wie jetzt kann es nicht weitergehen.“ Ein kommerzielles Unternehmen dürfe nicht länger den öffentlichen Raum im Netz bestimmen. Das führe dann dazu, dass stillende Mütter nicht auftauchen dürfen, weil der Ansatz der Brust zu sehen ist, während grausame Hinrichtungen gezeigt würden.

Johnny Haeusler weiß, dass der Datensammelwut nur mit Enthaltsamkeit beizukommen ist. „Ich war immer vorsichtig mit dem, was ich für wirklich privat halte.“ Was man nicht möchte, dass es in fremde Hände gerät, sollte man nicht veröffentlichen, sondern unter vier oder sechs Augen besprechen.

Dass Daten für Werbung oder kommerzielle Interessen gesammelt werden, besorgt ihn weniger als politisch motivierte Auswertung. Zu Fragen der sexuellen Orientierung oder zu Krankheiten, da erwartet er den strengsten Datenschutz. Auch die Amerikaner seien inzwischen so weit, gewisse Regeln nicht mehr völlig abwegig zu finden, stellt er nicht ohne Genugtuung fest.

Künstliche Intelligenz wird einen immer breiteren Raum einnehmen, ist er überzeugt. Er persönlich hätte gar nichts dagegen, wenn Roboter viele Jobs übernehmen würden: „Aber bisher schaffen die Maschinen es ja nicht mal, meine Wäsche zu waschen und zusammenzufalten“, lästert Haeusler, als wir uns auf den Rückweg machen.

"Zahlen Roboter auch Sozialversicherungsabgaben?"

Die entscheidenden Fragen seien jedoch ganz andere, findet er: „Was machen wir mit der ganzen Freizeit, wenn Roboter und Maschinen die Jobs übernehmen? Wie leben wir dann eigentlich? Zahlen die Roboter auch Sozialversicherungsabgaben? Und wem gehören diese Roboter? Wer profitiert davon?“ Schwierige Themen, die sich gut eignen, sie auf der re:publica zu besprechen. Denn das Bloggertreffen hat sich längst zu einer Gesellschaftskonferenz gemausert.

Als wir wieder das Tor erreichen, sagt Johnny, er würde manchmal gerne wieder Musik machen. Aber dazu bräuchte er eine längere Pause: „Ich kann nicht donnerstags Songs schreiben und freitags Veranstaltungen organisieren“, umreißt der Vielseitige seine Grenzen. Und Berlin? Einen alten Punker muss es doch stören, wenn sich alles in Richtung teuer und edel entwickelt? Wieder ist Johnnys Antwort differenziert. Zwar sei es „krass“, was mit den Mieten passiere. Dennoch sei Gentrifizierung nicht nur schlecht, weil auch Geld reinkomme und Häuser nicht mehr verfallen. „Ich hoffe, die Stadt findet immer einen Weg, mit Menschen umzugehen, für die Geld wichtiger ist als Kultur“, formuliert er diplomatisch. Wenn aber allein das Geld regierte in Berlin, „dann wäre die Stadt tot“.

Zur Person

Ur-Berliner: Johnny Haeusler, Jahrgang 1964, gehört zu der inzwischen seltener gewordenen Spezies der eingeborenen West-Berliner. Er ist verheiratet und lebt mit zwei Söhnen in Tempelhof. Seinen Vornamen änderte er bereits mit 15 Jahren für eine Musikveröffentlichung, ursprünglich hieß er Jörg. Er besuchte das Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg und schlug schon früh eine Laufbahn als Rockmusiker ein. Der Musikproduzent und Filmemacher Sven Haeusler ist sein jüngerer Bruder.

Digitales: In den 90er-Jahren gab er die Musikerkarriere auf und stieg in die sich entwickelnde Digitalwirtschaft ein. Seitdem ist er als Blogger, Autor, Mediengestalter und Radiomoderator sowie Veranstalter unterwegs.

Re:publica: 2007 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Tanja und weiteren Mitstreitern die Internetmesse re:publica, die sich seitdem zu einem der wichtigsten Treffpunkte der Szene entwickelt hat. Die 18. Ausgabe findet vom 2. bis 4. Mai in Berlin statt. Außerdem veranstaltet er mit seiner Frau die Tincon, eine Internetmesse für Jugendliche.

Spaziergang: Der Weg führte vom Haupteingang am Columbiadamm in einer Schleife über das Tempelhofer Feld zurück zum Ausgangspunkt.

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