Berlin hat ein Problem, das es mit 76 deutschen Großstädten teilt. 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen in Deutschland. Zu diesen Ergebnissen kommt eine am Montag veröffentlichte Studie von Stadtsoziologen der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Demnach fehlen in Berlin mit rund 310.000 bundesweit die meisten bezahlbaren Wohnungen, darunter vor allem rund 217.000 Apartments mit weniger als 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte.
„Wir haben nun untersucht, wieviel tatsächlich leistbare Wohnungen im Bestand jetzt schon fehlen“, erklärt der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm. Dies bedeute zwar nicht, dass die Menschen auf der Straße sitzen, aber doch, dass sie oftmals in zu teuren Wohnungen lebten. Erst vor wenigen Wochen hatte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) mitgeteilt, dass es in Berlin an 77.000 Wohnungen fehle, um angesichts der starken Zuzüge nach Berlin alle Haushalte mit einer Wohnung zu versorgen.
Holm musste als Staatssekretär zurücktreten
Die neuen, weitaus höheren Zahlen sind politisch pikant: Denn Holm war Lompschers Staatssekretär, bis er wegen Stasivorwürfen zurücktreten musste. Der Soziologe ist auch nach seinem Ausscheiden noch im sogenannten „Begleitkreis Wohnen“, einem wichtigen Beratergremium in der Senatsverwaltung, aktiv.
In der Untersuchung haben die Wissenschaftler die jeweiligen Einkommen von Großstadthaushalten und das lokale Angebot an Mietwohnungen miteinander abgeglichen. Zugrunde gelegt wird in der Studie, dass eine Bruttomiete von maximal 30 Prozent des Haushaltseinkommens bezahlbar ist.
Wissenschaftler fordern Mieten von vier bis fünf Euro
Um die Lücke bei bezahlbaren Wohnungen zu verkleinern, sei es sehr wichtig, das Angebot an Kleinwohnungen mit Nettokaltmieten von vier bis fünf Euro pro Quadratmeter stark auszubauen, fordern die Wissenschaftler. Zur Erinnerung: Nach Angaben des aktuellen Berliner Mietspiegels liegt die durchschnittliche Kaltmiete in der Stadt aktuell bei 6,39 Euro je Quadratmeter und Monat. Noch deutlich teurer sind die Angebotsmieten, also die Mieten, die verlangt werden, wenn ein neuer Mietvertrag abgeschlossen wird: 9,79 Euro werden laut des aktuellen „Wohnmarktreports Berlin 2018“ je Quadratmeter und Monat verlangt.
In Berlin verfügen 360.000 Haushalte über weniger als 60 Prozent des mittleren bundesweiten Einkommens und gelten deshalb als armutsgefährdet. Das entspricht inklusive aller Sozialtransfers weniger als 890 Euro monatlich bei einem Singlehaushalt oder 1781 Euro bei einem Dreipersonenhaushalt. Dazu kommen noch Tausende von Studenten, die händeringend nach günstigem Wohnraum suchen.
Haushalten mit so geringem Einkommen bleibe absolut nur wenig Geld für die tägliche Lebensführung, wenn sie 30 Prozent oder mehr ihres Einkommens für die Warmmiete ausgeben müssten, heißt es in der Studie. „Abhilfe sei nur durch eine deutliche Stärkung des sozialen Wohnungsbaus möglich“, betonen die Wissenschaftler.
Große Demonstration gegen steigende Mieten
Das ist nur eine der Forderungen, die auch das Bündnis „Mietenwahnsinn widersetzen“ stellt. Das Bündnis aus bislang 182 Kiez- und Anwohnerinitiativen, Mietervereinen sowie Sozial- und Kultureinrichtungen plant am Sonnabend eine Großdemonstration mit mehreren Tausend Teilnehmern. „In Berlin werden Menschen durch steigende Mieten verdrängt, Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt. Nachbarschaften werden zerstört“, sagt Mitorganisatorin Kathrin Ottovay von der Kreuzberger Initiative „Bizim Kiez – Unser Kiez“.
„Selbst am Stadtrand gibt es kaum noch bezahlbaren Wohnraum“, ergänzt Peter Schmidt vom „Mieterprotest Kosmosviertel“ in Altglienicke, einem Ortsteil am südlichen Stadtrand von Berlin. Der private Eigentümer der einstmals landeseigenen Siedlung plant die Sanierung von rund 1900 Wohnungen. „Danach steigen die Mieten um 30 bis 40 Prozent“, berichtet Schmidt. Das könne sich mindestens die Hälfte der rund 5000 Bewohner in der Plattenbausiedlung nicht leisten.
Mieterbündnis fordert Modernisierungsmoratorium
Aber auch das Pankower Mieterbündnis, in dem sich Bewohner zahlreicher Häuser, die der landeseigenen Gesobau gehören, zusammengeschlossen haben, wehrt sich gegen die angekündigte energetische Sanierung, nach der ebenfalls die Mieten erheblich steigen würden. „Wir fordern deshalb ein Modernisierungsmoratorium bei den landeseigenen Gesellschaften“, sagt Sprecher Lars Lauer.
„Mit unseren Aktionen und der Demonstration wollen wir aber auch darauf aufmerksam machen, dass sich Solidarität und Widerstand lohnen“, ergänzt Max Kurkoff vom Kinderladen „Bande“ in der Kreuzberger Oranienstraße. Mit viel Druck von der Straße sei es gelungen, die drohende Mieterhöhung für den Kinderladen erheblich zu senken. „Deshalb haben wir uns zusammengeschlossen und werden uns am Sonnabend um 14 Uhr am Potsdamer Platz treffen“, sagt Kurkoff. Der Protestmarsch führt die Potsdamer Straße bis hinunter bis zu den Jugendklubs „Drugstore“ und „Potse“ – deren Mietverträge zum Jahresende auslaufen.
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