Berlin

Willkommen in der Welthauptstadt des Schachs

| Lesedauer: 7 Minuten
Felix Müller

Berlin spielt leidenschaftlich das Spiel der Könige. Jetzt treffen sich in Kreuzberg die Weltbesten

Das Kandidatenturnier, bei dem der Finalist gegen Weltmeister Magnus Carlsen ausgespielt wird, ist das Berliner Schachereignis des Jahres, aber auch sonst ist einiges los. Wir trafen Carsten Schmidt, Präsident des Berliner Schachverbandes, im Schachcafé „en passant“ an der Schönhauser Allee 58 in Prenzlauer Berg.

Herr Schmidt, wie steht es um das Schachspiel in Berlin?

Carsten Schmidt: Sehr gut! Wir erleben gerade im Kinder- und Jugendbereich einen enormen Zulauf. Die Teilnehmerzahlen bei unseren Turnieren steigen konstant. Da sorgt eine Veranstaltung wie das Kandidatenturnier natürlich noch einmal für zusätzlichen Schub.

Wie ist das Vereinsschach organisiert?

Wir sind ein relativ kleiner Sportverband. Wir haben ungefähr 2800 Mitglieder in 50 Vereinen. Der größte Verein ist der Schach-Club Kreuzberg mit 165 Mitgliedern, dann gibt es den Schachclub Weiße Dame aus Charlottenburg mit 146 Mitgliedern. Natürlich gibt es weitaus mehr Berliner, die regelmäßig Schach spielen, nur sind die nicht im Verein, weil sie vielleicht der Wettkampfbetrieb nicht so interessiert. In vielen Schulen gibt es Schach-Arbeitsgemeinschaften. Die Schachregeln beherrschen sicher 60 bis 70 Prozent aller Berliner.

Wer sind die besten Berliner Schachspieler?

Der stärkste Berliner Spieler ist vermutlich noch immer Großmeister (GM) Robert Rabiega vom SK König Tegel, der unter anderem im Jahr 2000 Deutscher Meister war. In der Tegeler Mannschaft spielt er allerdings hinter seinem Kollegen GM René Stern, der auch zu den besten Berliner Schachspielern gehört. Bei den Schachfreunden Berlin spielt der deutsche Großmeister Martin Krämer, der zwar nicht direkt aus Berlin kommt, aber eben für einen Berliner Verein spielt. Ebenso in diesem Team ist mit dem Internationalen Meister Ilja Schneider ein weiterer sehr starker Spieler. In Berlin lebt auch noch GM Arik Braun, der allerdings für keinen Berliner Verein spielt, sondern noch für einen Verein in seiner Heimat, den SV Hockenheim.

In der Weltspitze gibt es noch den Armenier Lewon Aronjan, der lange hier gelebt hat.

Genau. Er wird ja jetzt auch beim Kandidatenturnier dabei sein. Er hat sehr lange Zeit in Berlin gewohnt, seine Eltern und Geschwister leben immer noch hier. Lewon Aronjan ist ein sehr sympathischer, netter Kerl. Viele Schachspieler in Berlin wünschen sich, dass er gewinnt und im Finale gegen Magnus Carlsen antritt. Aber auch Wladimir Kramnik hat eine Verbindung zur Hauptstadt, er hat in den Neunzigern für Empor Berlin gespielt und war sehr oft Gast in unserer Stadt.

Wie attraktiv ist Deutschland für die Weltelite im Schach?

Es gibt viele internationale Spitzenspieler in der Bundesliga. Das Ligasystem in Deutschland sieht allerdings vor, dass die Spiele an sieben Wochenenden ausgetragen werden. Das ist für Spieler aus den USA natürlich schwierig. Aber sonst läuft es in der Bundesliga sehr gut. Die Schachfreunde Berlin spielen ja auch in der Bundesliga.

Kann man vom Schachspielen leben, wenn man nicht zur Weltspitze gehört?

Eher nicht. Ein neues Standbein ist für viele das Schachtraining für Kinder und Erwachsene, die sich verbessern wollen. In den Schulen, in den Vereinen mit Jugendgruppen. Da tummeln sich viele gute Spieler.

Warum ist Schach für Kinder interessant?

Viele Kinder stellen fest, dass ihnen Schach dabei hilft, auch in anderen Strategiespielen gut zu sein. Außerdem steigert es die Konzentrationsfähigkeit. An der Käthe-Kollwitz-Schule in Prenzlauer Berg zum Beispiel ist Schach in der Mittelstufe ein reguläres Unterrichtsfach, dort gibt es auch besondere Förderangebote für Mädchen. Auf dem Beethoven-Gymnasium in Lankwitz wird auch Schach als Unterrichtsfach angeboten.

Warum spielen so wenige Mädchen und Frauen Schach?

Im Kindesalter, bis zu den unter 12-Jährigen, gibt es fast gleich viele Mädchen und Jungen. Zu Beginn der Oberschule geht der weibliche Anteil immer weiter zurück. Über den Grund kann ich auch nicht viel sagen. Vielleicht werden die Prioritäten anders gesetzt. Ich bin mir überhaupt nicht sicher. Man kann es sicher nicht verallgemeinern. In meiner Arbeit mit Mädchengruppen war der Gewinnwille gut ausgeprägt und nicht geringer als bei gleichaltrigen Jungen. Die Deutsche Schachjugend organisiert viele Aktionen, um Mädchen zum Schachspielen und auch Dabeibleiben zu bewegen, hier wird viel Sinnvolles auf die Beine gestellt, aber der weibliche Anteil in der Jugend ist, wie gesagt, auch deutlich höher als bei den Erwachsenen. Der Frauenanteil im Deutschen Schachbund liegt bei weniger als zehn Prozent.

Wie sind Sie zum Schach gekommen?

Ich hab das mit zehn Jahren von meinem Schwager gelernt, also nicht so wie heute, wo die Kinder schon mit vier Jahren im Kindergarten Schach lernen. In der Oberschule bin in Reinickendorf in die Schach AG gegangen und dann irgendwann bei König Tegel eingetreten. Danach habe ich angefangen zu studieren, habe Anfang der 90er-Jahre angefangen, im Jugendausschuss des Schachverbandes mitzuarbeiten. 1994 wurde ich kommissarisch Landesjugendwart, 1996 dann dauerhaft. Da habe ich bis 2004 die ganzen Jugendmeisterschaften organisiert. Bis 2004 war Alfred Seppelt Präsident des Berliner Schachverbandes, er hat unheimlich viel für das Spiel in Berlin geleistet. Ich war dann unter seinem Nachfolger Matthias Kribben Vizepräsident. Ihn habe ich dann 2010 als Präsident abgelöst.

In diesem Jahr feiern wir den 150. Geburtstag des ehemaligen Schachweltmeisters Emanuel Lasker. Heute haben wir keinen deutschen Spieler in den Top 50. Woran liegt das?

An der kulturellen Bedeutung des Spiels. In Russland, der Ukraine oder in Armenien ist Schach ja an fast allen Schulen ein Unterrichtsfach und spielt auch im Alltag eine viel größere Rolle. Da ist die Wahrscheinlichkeit natürlich größer, dass ein Wunderkind entdeckt und entsprechend gefördert wird. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben: In Rheinland-Pfalz gibt es Vincent Keymer, vierzehn Jahre alt und ein sehr guter Spieler, der auch gut vom Deutschen Schachbund gefördert wird. Ob er es in die Weltspitze schafft, ist natürlich unklar.

Wie wird es nach dem Kandidatenturnier mit dem Schach in Berlin weitergehen?

Das zweite Highlight in diesem vollen Schachjahr ist die zentrale Endrunde der Schachbundesliga vom 29. April bis zum 1. Mai im Hotel „Maritim“. Hier treffen die besten deutschen Schachmannschaften aufeinander, um den Deutschen Meister zu ermitteln. Der einzige Berliner Bundesligist, die Schachfreunde Berlin, sind wie im letzten Jahr Ausrichter. Im Rahmen dieser Bundesliga-Endrunde und der zeitgleich dort stattfindenden Endrunden der Jugendbundesliga finden auch diverse Veranstaltungen im Hotel „Maritim“ statt: eine Konferenz zum 150. Geburtstag von Emanuel Lasker, das beliebte Politiker-Schachturnier, das Achtelfinale des Berliner Mannschaftspokals, die Schlussrunde der Berliner Feierabendliga, die Bundesvereinskonferenz und auch noch viele Blitzschachturniere. Es wird also spannend bleiben in der Schach-Hauptstadt Berlin.