Berlin. Im achten Stock des Finanzamts Reinickendorf essen Beamte, Ärzte und Archivare. Das „Casino“ ist inzwischen Kult

Mit der zarten Kalbsleber an frittiertem Apfel, gedünsteten Zwiebeln und cremigem Kartoffelpüree hat Benjamin Kieper an diesem Tag den Geschmack seiner Gäste getroffen. Im Minutentakt wird das Fleischgericht geordert, schieben sich Verwaltungsmitarbeiter, Senioren und Beamte in dunkelblauer Polizei-Uniform, Angestellte nahe gelegener Betriebe, des Landesarchivs und des Humboldt-Klinikums mit dampfenden Tellern auf orangefarbenen Tabletts in Richtung der Nischenplätze und der begehrten Tische am Fenster. Von hier reicht der Blick weit übers Rathaus, über Einfamilienhäuser und Straßen rund um den Eichborndamm. Denn das „Casino“, die öffentliche Kantine im Reinickendorfer Finanzamt, liegt hoch oben im achten Stock.

Die Einrichtung punktet jedoch nicht nur mit der Aussicht, sondern auch mit dem Interieur. Der berühmte Berliner U-Bahn-Architekt Rainer G. Rümmler entwarf den markanten Betonbau mit einer Kantine, die im typischen Stil der 70er-Jahre mit ausladenden orangen Rundlampen, brauner Paneele, stabilen Holzstühlen und heimeligen Sitzecken heute eher futuristisch wirkt. „Meine Gäste schätzen die spezielle Ästhetik, kommen sogar gezielt deshalb hierher“, sagt der 32-Jährige.

Seit 2011 betreibt der Heiligenseer die Kantine mit 200 Plätzen, will sich hier mit regionalen und frischen Produkten die Gunst seiner Gäste sichern. Das Wiesenkalb stammt aus Linum, das Weidelamm aus dem Ruppiner Land, das Apfelschwein aus dem Havelland, der Fisch von der Müritz oder das Kaninchen aus Beelitz. Auch Gemüse und Obst ordert der gelernte Koch, der zuvor unter anderem bereits im „Kempinski“ und im „Reinhard’s“ am Kudamm am Herd stand, je nach Saison aus der Umgebung.

Fünf täglich wechselnde Gerichte stehen auf seiner Karte. Kieper hat Lust am Improvisieren, am innovativen Kombinieren von Zutaten. Dass er bei der Zusammenstellung seiner Karte an Vegetarier denkt, erwähnt er nicht extra. Auch, dass er Rücksicht nimmt auf Menschen mit Unverträglichkeiten. Seine Frühstückskarte kommt vor allem bei den Ordnungshütern vom nahe gelegenen Polizeirevier gut an. Für sie drückt Kieper beim Blick auf die Uhr auch mal ein Auge zu. Denn obwohl das „Casino“ um 7 Uhr seine Türen öffnet, geht das erste Essen ab 7.30 Uhr über den Tresen. Offiziell. „Viele Polizisten müssen aber um halb acht ihren Dienst antreten.“ Klar, dass sie bei Kieper schon vorher etwas zu essen bekommen.

Die Familie spielt für den vierfachen Vater nicht nur im Privaten eine Rolle: Seine Schwester kassiert an der Essensausgabe, seine Frau kümmert sich um die kaufmännischen Aspekte, sein Vater packt an, wo gerade Not am Mann ist. So bleibt Benjamin Kieper Zeit, sich um sein zweites Standbein zu kümmern – den Cateringservice. Wochentags oder zu besonderen Anlässen beliefert er immer öfter Firmen und Institutionen in der Umgebung, darunter auch das Rathaus Reinickendorf. Und regelmäßig auch den Friedrichstadt-Palast.