Strafprozess

Sanitäter attackiert - Angeklagter gesteht Fehler ein

| Lesedauer: 5 Minuten
Michael Mielke
Wie Berliner Rettungskräfte im Einsatz behindert werden

Wie Berliner Rettungskräfte im Einsatz behindert werden

Die Übergriffe auf Berliner Rettungskräfte nehmen zu. Viele Pöbeleien werden aber gar nicht erst aufgenommen.

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Ein vorbestrafter Mann soll einen Rucksack nach Sanitätern geworfen und sie wütend beschimpft haben. Jetzt steht er vor Gericht.

Berlin. Der Auftrag für den Einsatz lautete: „medizinische Hilfe nach häuslicher Gewalt“. Ort: eine Wohnung in Gropius­stadt. Als das Team der Feuerwehr am 27. Dezember 2016 gegen 13.40 Uhr eintraf, öffnete eine aufgeregte ältere Frau die Tür und sprach von ihrem Ehemann: Er habe einen epileptischen Anfall, liege im Wohnzimmer.

Das sei ja etwas anderes als häusliche Gewalt erwiderte der Notfallsanitäter David R.*, er war der Chef des dreiköpfigen Teams. In diesem Moment, erinnern sich die Zeugen übereinstimmend, sei ein Mann in den Flur gestürmt und habe begonnen, sie zu beschimpfen und zu bedrohen.

Dieser Mann ist der 31-jährige Ilker C. Seit Donnerstag muss er sich vor einem Moabiter Strafrichter wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung verantworten. Vor Gericht erklärt Ilker C., dass er sich darüber geärgert habe, dass die Notfallhelfer nicht sofort zu seinem kranken Vater gegangen seien. „Ich war auf 380, habe meinen Vater noch nie so gesehen“, so der mehrfach schon gewalttätig gewordene und einschlägig vorbestrafte Angeklagte.

Die Sanitäter sollen sich "verpissen", habe der Angeklagte gerufen

Deswegen habe er gebrüllt. Deswegen sei seine Aufregung immer größer geworden. Einer der Rettungssanitäter habe zu ihm gesagt: „Gehen Sie bitte raus, und lassen Sie uns unsere Arbeit machen“. Gemacht hätten sie aber nichts. „Sie haben keinen Finger gerührt.“

Die drei Zeugen haben es anders in Erinnerung. Der Angeklagte habe ihnen gar keine Chance gelassen, sich um seinen Vater zu kümmern. Er habe gefordert, dass sie sich „verpissen“ sollen, sei drohend auf sie zugegangen, habe sie bespuckt und gebrüllt: „Ihr Bastarde, warum macht ihr euren Job nicht?“ Als der 34-jährige David R., noch immer um Beschwichtigung bemüht, erwiderte, er sei Australier, brüllte Ilker C: „Scheiß Pseudo-Amerikaner. Ich kriege raus, wo du wohnst, und dann bring ich dich und deine Familie um.“

Eine Rettungskraft hat schon Rippenbrüche bei Einsätzen

Ob er diese Drohungen ernst genommen habe, möchte der Richter von David R. wissen. Der nickt. „Als der Angeklagte das sagte, dachte ich, jetzt holt er gleich ein Messer.“ Er habe in zwölf Jahren als Rettungssanitäter schon viel erlebt und erduldet: Schläge, Rippenbrüche, einen Nasenbeinbruch. Zwei, drei Mal im Jahr erlebe er derart heftige Angriffe.

Und dann gebe es noch die anderen, beinahe täglichen Attacken: verbale Drohungen, Anspucken, Beschimpfungen. Aus lapidaren Gründen: weil das Team wegen eines Rettungseinsatzes in der zweiten Reihe parken muss oder einen Fahrstuhl blockiert, um einen Verletzten abzutransportieren. Aber die Begegnung mit Ilker C. gehe darüber noch weit hinaus. Er habe danach in Berlin seinen Dienst quittiert und arbeite jetzt in Brandenburg, sagt David R. „Dort ist die Welt noch in Ordnung.“

Der Sanitäter konnte gerade noch schützend die Hand vors Gesicht heben

Auch der 38-jährige Rettungsassistent René K. hat diesen Einsatz nicht vergessen können. Als sie die Wohnung nach Ilker C.s Drohungen verließen, wollte René K. den Einsatzrucksack mitnehmen. Ilker C. nahm den Rucksack und warf ihn in Richtung von René K.s Kopf. Er habe gerade noch schützend die Hand heben können, sagt der Rettungsassistent. Als er sich bückte, er befand sich mit dem Kopf genau in der Türöffnung, wollte Ilker C. den Ermittlungen zufolge heftig die Tür zuknallen. René K. habe geistesgegenwärtig den Fuß dazwischen gestellt. Die Tür prallte dagegen und ging kaputt. Da sei der Angeklagte „völlig ausgetickt“, so René K.

Wie auf ihn die Beschimpfungen, Drohungen gewirkt hätten, fragt der Richter auch René K. „Ich habe das sehr ernst genommen“, antwortet der kräftig wirkende Mann. „Ein paar Tage zuvor gab es den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz. Und der droht, unsere Familien zu töten und sagt Scheiß-Deutsche und Scheiß-Christen. Das war schon beängstigend.“

Der Angeklagte deutet an, ihnen die Kehle durchschneiden zu wollen

Die 19-jährige Auszubildende Christin A., sie gehörte ebenfalls zum Team der Rettungssanitäter, erinnert sich vor Gericht, dass Ilker C. sogar noch gedroht habe, als er von Polizisten abgeführt wurde. Er habe diese typischen Gesten gemacht. Mit zwei Fingern: Ich behalte euch im Auge. Und die Hand quer vor dem Hals: Ich werde euch die Kehlen durchschneiden.

Sie habe lange darüber nachgedacht, sagt sie. „Es war einfach nicht zu verstehen, warum er sofort auf die Religion und die Nationalität schimpft. Wir wollten doch nur helfen.“ Ob sie danach überlegt habe, wirklich diesen Beruf lernen zu wollen, fragt der Richter.„Ich möchte trotzdem weiter für andere Menschen da sein“ antwortet sie. Davon könne sie einer wie Ilker C. nicht abbringen. Der Prozess wird am 1. Februar fortgesetzt.

* Name von der Redaktion geändert

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