Berlin. Die Drums, die Stimmen, die Frisuren - alles sitzt beim Konzert von Depeche Mode am Mittwochabend in der Mercedes Benz-Arena.
Drei Alben haben sie hier eingespielt. Die später als Industrial-Phase bezeichnete Zeit führt Depeche Mode 1984 nach Berlin, in die Hansa Studios mit dem 56-Spuren-Mischpult. Gesampelt wird alles, was Geräusche erzeugt – so besteht etwa „Pipeline“ ausschließlich aus aneinandergereihten Samples.
Und jetzt stehen sie wieder hier. Statt in West- diesmal in Ost-Berlin, in der ausverkauften Mercedes-Benz Arena. Nach 38 Jahren schaffen die Briten am Mittwochabend es immer noch, mit Depeche-Mode-Qualitäten aufzutrumpfen: da sind die Drums, die das Herz der Zuschauer scheinbar in einen neuen Rhythmus versetzen, die gellende Gitarre und der quietschende Synthie, die Zeilen, die trotz ihrer Schwere einen Zustand der Leichtigkeit hervorrufen und dann diese beiden Stimmen, deren größte Stärke die Vereinigung ist. Mit seinem Schnäuzer, einer auf nackter Haut glänzenden Weste und den zurückgegelten Haaren, diesen euphorisch-extrovertierten Bewegungen, wenn er die Arme von sich streckt, Salsa tanzt oder sein Hinterteil für das Publikum von links nach rechts schwingt, dann erinnert Dave Gahan (55) an einen Zirkus-Dompteur. Im besten Sinne. Und seine Mitmusiker geben ihm, stoisch dreinblickend, den Raum dafür.
Ab und zu hebt auch Andrew Fletcher (56), der eine dunkle Sonnenbrille trägt, mal einen Arm in die Luft, während Martin L. Gore (56) der ewige zweite Frontmann, Gitarrist und Songwriter, seinen großen Moment hat, als Gahan ihm für drei Songs die Bühne überlässt. Dabei ist er das Konterbild zu Gahan. Statt One-Man-Show steht bei ihm die Stimme im Vordergrund, mit seinem ausladenden Vibrato und dem warmen Timbre scheint er fast das Publikum zu umarmen. Statt Synthie-Sounds wird er von Piano-Klängen begleitet.
17.000 Menschen summen die Melodie der Ballade vor sich hin
Als die Band die letzten Takte von „Home“ spielt, hat das Publikum seinen großen Auftritt: 17.000 Menschen summen die Melodie der Ballade vor sich hin, fast schon verblüfft scheint die Band ihren Fans zuzuhören. Und das ist es, was sie so besonders macht: Gahan schafft es, jegliche Routinen zu überspielen und das Gefühl zu vermitteln, als stünde er zum allerersten Mal auf der Bühne. Als fasse er sich zum ersten Mal lasziv an sein Glied, um sich dann in Pirouetten über die Bühne zu bewegen, als verspüre er zum ersten Mal die Wirkung der Droge Ruhm.
Dass die Karriere dieser Musiker so lange anhalten würde, hätte zu Beginn wohl keiner erwartet. Bereits 1981, ein Jahr nach der Entdeckung durch Labelboss Daniel Miller, scheint das Popstar-Leben von Depeche Mode vorbei zu sein, als Songwriter Clarke abdankt. Jedoch beweist Martin Gore ungeahntes Kompositionstalent, indem er den Liedern seines Vorgängers Tiefgang in den Melodien folgen lässt. „Leave In Silence“ von 1982 betritt schon einen ganz anderen Kosmos als „Just Can’t Get Enough“. Mit ihren analogen Synthesizern-Melodien und Klamotten, die teilweise an der Geschmacksgrenze sind, schaffen Dave Gahan, Andy Fletcher, Martin Gore und Vince Clarke es, das allgemeine Interesse auf sich zu lenken. 1990, das Jahr der Welteroberung. Das Album „Violator“ und die Single „Personal Jesus“, vor allem aber die eingängige Hymne „Enjoy The Silence“ sorgen dafür, dass sie weltweit in ausverkauften Hallen spielen.
Absolute Ekstase und ein Hauch Nostalgie
1993 beginnt eine Welttournee, die böse enden sollte. 174 Konzerte in 14 Monaten, doch die Stimmung hinter dem Vorhang ist schlecht: alle Vier haben eigene Backstage-Räume, eigene Limos und wohnen in Hotels nicht nur auf verschiedenen Etagen sondern auch diagonal, damit niemand die After-Show-Eskapaden des anderen mitkriegt. Im Anschluss widmet man sich Solo-Projekten, Alkohol und Drogen. Wie 1997 „Ultra“ erscheinen konnte, nachdem Gahan mit einem Selbstmordversuch und der Erfüllung sämtlicher Befürchtungen quasi untragbar wurde, ist noch immer rätselhaft. Doch seitdem hat man das Gefühl, dass die Band ihren Weg gefunden hat und es immer noch schafft, ihre Hörer zu überraschen.
Sogar mit alten Songs, die sie in ein völlig neues Gewand hüllen, ohne das musikalische Arrangement zu ändern oder selbsterklärende Reden halten zu müssen. „Hey, thank you, Dankeschön“, ruft Gahan ab und an mal seinem deutschen Publikum zu. Mehr nicht.
Als die Briten zum Ende des Konzerts ihre Best-of-Auswahl spielen, hat man fast das Gefühl, ihnen danken zu müssen, dass man sie noch live erleben darf, haben einige ihrer Wegbegleiter doch inzwischen schon das Zeitliche gesegnet. Depeche Mode versetzen in ein Gefühl, das weder Zeit noch Raum kennt, ein Gefühl der absoluten Ekstase, gepaart mit einem Schwung Nostalgie.