„Das war wie ein Infarkt“, sagt Burkhard Kieker. Der Chef der Berliner Tourismusgesellschaft „Visit Berlin“ sitzt am Montag in einem Restaurant am Oranienburger Tor und spricht über die Auswirkungen der Air-Berlin-Pleite auf den Tourismus in der deutschen Hauptstadt. Die Insolvenz von Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft habe Berlin „die Beine weggezogen“, erklärt Kieker. Schlagartig seien Hunderte Flüge weggefallen – und deutlich weniger Touristen in die Stadt gekommen. 2017 sei für die Tourismuswirtschaft deswegen ein Jahr der Stagnation gewesen, sagt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
Landerechte in Tegel für die Golf-Airlines
Doch 2018 soll wieder alles gut werden: Easyjet und Eurowings könnten die Lücke füllen. „Ich rechne in diesem Jahr mit einem Wachstum von mehr als zwei Prozent bei Übernachtungen und Gästeankünften“, sagt Kieker. Dennoch schmerze der Verlust von Air Berlin, vor allem bei den Langstreckenflügen, so Kieker. Ein Beispiel ist die Verbindung nach Abu Dhabi: Vor der Air-Berlin-Insolvenz gab es zwei tägliche Direktflüge zwischen Tegel und der Scheich-Metropole. Jetzt hebt aus der Hauptstadt gar kein Jet mehr mit dem Ziel Emirate ab.
Das habe Folgen: Nicht nur weniger Touristen aus den arabischen Ländern kommen seitdem nach Berlin. Abu Dhabi sei vor allem für asiatische Touristen ein beliebtes Drehkreuz gewesen und für Umstiege genutzt worden, erklärt Kieker. Er und Berliner Politiker fordern nun die Bundesregierung auf, Landerechte in Tegel für die Golf-Airlines Emirates und Etihad freizugeben.
Wirtschaftssenatorin Pop sagt: „Eine Prüfung von Landerechten für Etihad und Emirates wäre eine Option für mehr Destinationen für Berlin.“ Ähnlich äußerte sich der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Christian Gräff. Der Ball liegt jetzt im Bundesverkehrsministerium. Dort sieht man aber keinen Anlass, zu handeln. Den Vereinigten Arabischen Emiraten stehe es frei zu wählen, welche Flughäfen in Deutschland angeflogen werden, ohne dass sich die Gesamtzahl erhöht, teilt ein Sprecher mit. Derzeit dürften die Golf-Airlines mit Frankfurt, München, Düsseldorf und Hamburg vier Flughäfen ansteuern.
Viele Berliner sind stolz auf Tourismus, viele aber auch genervt
Nach Angaben von Luftfahrtexperten könnte die Bundesregierung aber dafür sorgen, dass weitere Verbindungen hinzukommen. 2002 war das im Fall von Hamburg geschehen. Damit sei den Luftfahrtunternehmen aus den Vereinigen Arabischen Emiraten bereits entgegengekommen worden, so das Ministerium. Hinter den Kulissen hoffen die Airlines ohnehin auf ein Luftverkehrs-Abkommen, das zwischen der EU und den Golf-Staaten verhandelt werden soll. Gespräche darüber haben allerdings noch nicht stattgefunden, so eine Sprecherin der Kommission.
Für Berlin wären weitere Direktflüge zu Drehkreuzen, die von asiatischen Touristen genutzt werden, viel wert, sagt Burkhard Kieker. Allein in China und Indien schätzt er die reisebereite Mittelschicht auf gut 500 Millionen Menschen. „Berlin muss sich vorbereiten“, so Kieker. Im Sommer hatte eine Studie gezeigt, dass die Berliner stolz sind, immer mehr Menschen in ihrer Stadt begrüßen zu können. Gleichzeitig zeigte die Erhebung: Viele sind genervt von Touristen. „Wir greifen zu Maßnahmen, um dieser Gefühlslage entgegenzuwirken“, sagt Pop.
Senatorin will mehr öffentliche Toiletten aufstellen lassen
Die Wirtschaftssenatorin hat ein neues Konzept erarbeitet. Mit dem Papier will sie die Akzeptanz für Tourismus erhöhen: So sollen verschmutzte Parks schneller von der Stadtreinigung aufgeräumt werden. Pop will zudem mehr öffentliche Toiletten aufstellen lassen. Die Verkehrsbetriebe haben neue Wagen bestellt. Auch neue Linien, die geplant oder gebaut werden, sollen für Entlastung sorgen, hofft Pop.
Daneben will die Grünen-Politikerin Touristenströme besser steuern. „Wir wollen die Berliner Vielfalt stärker als bisher erlebbar machen“, sagt Pop. Bezirke sollen künftig ein eigenes Tourismus-Management betreiben. Neue Kampagnen sollen die Unterschiede der Bezirke hervorheben. Spandau etwa könnte mit seinen Wasserwegen ein Ziel sein, das Familien anspricht, so Pop.
Die Berliner Touristiker wollen die Besucher in der Stadt zudem besser kennenlernen. „Wir wissen derzeit nur, wer die Menschen sind und woher sie kommen. Das ist zu wenig“, erklärt Kieker. So soll etwa die „Berlin Welcome Card“ digital werden, um erfassen zu können, wie sich die Urlauber in der Stadt bewegen. Zudem plant Kieker ein zentrales Buchungssystem, in dem Veranstaltungen vermarktet werden. Für die neue „Digitalisierungs-Offensive“ kalkuliert Kieker mit einem Budget von zwei Millionen Euro. Nach Berlin kamen im vergangenen Jahr etwa 12,7 Millionen Besucher. Die unterschiedlichen Herbergen zählten rund 31 Millionen Übernachtungen. Etwa die Hälfte der Besucher kam aus dem Ausland.