Berlin-München

Auf den ICE-Sprinter ist einfach kein Verlass

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Lorenz Vossen
Auf der neuen Bahntrasse Berlin–München rasen die ICE der Bahn, hier in der Nähe von Erfurt fotografiert, mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde

Auf der neuen Bahntrasse Berlin–München rasen die ICE der Bahn, hier in der Nähe von Erfurt fotografiert, mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde

Foto: Martin Schutt / dpa

Bahn-Experten befürchten, dass es auf der neuen ICE-Trasse zwischen Berlin und München auch über Weihnachten Chaos gibt.

In den ICE der Bahn gibt es seit einiger Zeit ein Unterhaltungsprogramm. Ein kluger Schachzug, schließlich haben nicht nur Blockbuster, sondern auch Fahrten mit der Deutschen Bahn regelmäßig Überlänge. Am liebsten vertreiben sich die Passagiere die Zeit mit Filmen aus der Kategorie Science-Fiction oder Fantasy, hat das Unternehmen ausgewertet. Gut möglich aber, dass zwischen Berlin und München häufiger Komödien eingeschaltet werden. Denn für die Strecke braucht man Humor.

Nach dem katastrophalen Start der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke mit etlichen Zugausfällen und Verspätungen lief es auch am Donnerstag alles andere als rund. Gleich die zweite Fahrt des Tages, mit der Abfahrtszeit 6.02 Uhr in Berlin angesetzt, kam mit mehr als einer halben Stunde Verspätung in München an. Der Zug um 7.38 Uhr fuhr wegen eines technischen Defekts gar nicht erst los, weshalb es eine Dreiviertelstunde später einen Ersatzzug gab. Dass die Fahrt ausfallen würde, hatte die Bahn am Vortag immerhin angekündigt, anders als am Dienstag, als die Kunden am Bahnhof vor vollendete Tatsachen gestellt wurden.

„Sind noch nicht da, wo wir sein wollen“

Eine weitere Fahrt wurde wegen Problemen beim neuen elek­tronischen Zugsicherungs- und Leitsystem ETCS über die alte, mit herkömmlicher Technik ausgestattete Strecke umgeleitet. Fahrzeitverlängerung: zwei Stunden. Bei einigen Verbindungen wurden die Sitzplätze nicht angezeigt, waren die Wagen in der umgekehrten Reihenfolge, mal fehlte auch das behindertengerechte WC an Bord oder wurde eine Oberleitung durch starke Windböen beschädigt – an den Klassikern unter den Bahnpannen mangelte es ebenfalls nicht.

Die Bahn wähnt sich dennoch auf dem richtigen Weg. „Der Verkehr stabilisiert sich. Wir sind zwar noch nicht da, wo wir sein wollen, aber es geht in die richtige Richtung“, sagte ein Sprecher. Am Sonntag seien nur 80 Prozent der geplanten Züge über die Strecke gefahren, am Mittwoch schon 89 Prozent.

Personenverkehrschefin Birgit Bohle hatte diese Woche sogar versprochen, die Kunden im Weihnachtsverkehr „zuverlässig“ ans Ziel zu bringen. Wer über die Feiertage von Berlin nach Erfurt, Nürnberg oder München will, sollte sich dennoch warm anziehen. „Die Bahn wird alles tun, was sie kann, die Mitarbeiter werden sich reinhängen“, sagt Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Er sieht sich aber trotzdem gezwungen, Goethe zu zitieren: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ So schnell werde die Bahn ihre Versprechungen nicht wahr machen können. Tatsächlich müssen sich wohl auch Reisende auf Verspätungen einstellen, die nicht Berlin–München gebucht haben: Im neuen Fahrplan beeinflusst die Verbindung gut 30 Prozent aller Strecken bundesweit.

Bei Twitter bekommt die Bahn viel Spott

Bis die Bahn die versprochenen Reisezeiten zuverlässig bietet (bei der schnellen Sprinter-Verbindungen beträgt sie drei Stunden und 55 Minuten), wird sie noch Sprüche wie diesen auf Twitter ertragen müssen: „Wenn der ICE mal unter vier Stunden von München nach Berlin braucht, eröffnet auch der BER.“ Wie am Berliner Pannenflughafen ist es auch bei der Bahn zu großen Teilen die Technik, an der es hapert. Wegen des neuen Sicherungssystems ETCS, müssen die auf der Strecke eingesetzten ICE nachträglich mit entsprechender Technik ausgestattet werden. Bei Nachrüstungen sei die Technik aber anfälliger, als wenn sie von Anfang an mit eingebaut wird, sagt Pro-Bahn-Vertreter Naumann. Kommt es zu falschen Anzeigen, löst das ETCS Zwangsbremsungen aus. Die Züge müssen dann auf langsamere Strecken ohne ETCS umgeleitet oder komplett aus dem Verkehr gezogen werden.

Naumann vermutet, dass einige Pannen durch Falschbedienungen der Lokführer verursacht wurden. „Es ist eine sehr komplexe Technik, die viel Alltagsroutine erfordert.“ Das Problem: Anders als etwa in Japan oder der Schweiz, wo es bei neuen Trassen einen Probebetrieb von bis zu sechs Monaten gibt, fiel ein solcher bei der Bahn aus, was zu heftiger Kritik von der Lokführergewerkschaft GDL führte.

Die Bahn wehrt sich, man habe den Kollegen „Unterlagen zur Streckenkunde und Schulungsprogramme auf den Tablets“ zur Verfügung gestellt und „Hunderte Testfahrten“ absolviert. Ein Probebetrieb war allerdings nicht drin. „Die Bahn kann nicht mal eben zehn Züge aus dem Verkehr ziehen, dafür fehlt es an Wagen“, sagt Naumann. Immerhin sei die neue Kulanzregelung „anständig“, sie gilt noch bis Jahresende: Bei mehr als eine Stunde Verspätung gibt es den vollen Fahrpreis zurück und einen Reisegutschein in Höhe von 50 Euro.

Auch bei der S-Bahn fallen weiter Fahrten aus

Züge fehlen indes auch bei der Bahn-Tochter in der Hauptstadt. Eigentlich wollte die S-Bahn ab dem 3. Januar während der Hauptverkehrszeiten wieder Verstärkerfahrten auf den Linien S1 (Abschnitt Zehlendorf–Potsdamer Platz) und S5 (Mahlsdorf–Lichtenberg) anbieten, muss jetzt aber darauf verzichten. Der Grund: Weil neue Wagen wegen verzögerter Ausschreibungen erst ab 2020 kommen, müssen ihre Vorgänger ertüchtigt werden – und fehlen deshalb für den regulären Betrieb.

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