Fast ein Jahr nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am gestrigen Dienstagabend überraschend Schausteller besucht. Sie traf Standbetreiber, deren Marktbuden teilweise durch den Anschlag zerstört wurden und die bis heute mit den traumatischen Folgen ringen. Am provisorischen Gedenkort vor der Gedächtniskirche legte sie eine weiße Rose nieder. Am 19. Dezember 2016 hatte der Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen Lastwagen zwölf Menschen getötet und mehr als 70 verletzt.
Das Treffen mit der Kanzlerin war überraschend anberaumt worden. Schaustellerverband und AG City hätten Merkel schriftlich eingeladen „und sie hat zugesagt“, sagte AG-City-Vorstand Klaus-Jürgen Meier der Berliner Morgenpost. Mit drei betroffenen Standbetreibern sprach Merkel jeweils für einige Minuten persönlich. Dabei sei es nicht um ausstehende Entschädigungen gegangen, sagte Meier. Im Sommer hatten Standbetreiber die monatelangen Bearbeitungsfristen und bürokratischen Hürden bei Anträgen auf Schadensersatz geklagt.
Merkel löst mit Besuch Wahlversprechen ein
Am dritten Stand löste Merkel ein Versprechen ein. Dem Betreiber der „Berliner Weihnachtsterrasse“, Axel Kaiser, hatte sie im Sommer in einer Talkshow gesagt, sie werde ihn im Winter nach der Wahl besuchen und bei ihm einen Glühwein trinken. Das Versprechen wurde eingelöst, Kaiser revanchierte sich mit den Zutaten für einen Punsch. Am Abend des Anschlags hatten Kaiser und seine Mitarbeiter den Stand zur Verfügung gestellt, um Verletzte zu betreuen. Sie hatten auch selbst bei der Erstversorgung geholfen.
Axel Kaiser, der aus Osnabrück stammt, hatte im Sommer in der RTL-Sendung „An einem Tisch mit Angela Merkel“ Kritik geübt. Er fühle sich angesichts der Ermittlungspannen in Deutschland nicht sicher, sagte er. Kritik an Merkel war vor etwa zehn Tagen auch von den Hinterbliebenen der Opfer vom Breitscheidplatz gekommen. In einem offenen Brief beklagten sie, dass Merkel im gesamten abgelaufenen Jahr keinen persönlichen Kontakt zu den Familien gesucht habe. Das erste gemeinsame Treffen mit Hinterbliebenen und der Kanzlerin ist nun für den 18. Dezember geplant, den Vortag des Jahrestages des Anschlags.
Die Veranstaltungen zum Jahrestag des Terroranschlags am Breitscheidplatz am Dienstag kommender Woche sollen den Angehörigen der Opfer ausreichende Möglichkeiten zum stillen Gedenken geben. Die Öffentlichkeit bleibt daher in weiten Teilen ausgeschlossen. Wie am Dienstag bekannt wurde, soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Andacht in der Gedächtniskirche am Dienstagvormittag einige Worte an die Opfer und die Angehörigen der Getöteten richten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird ebenfalls an der nicht öffentlichen Gedenkstunde teilnehmen, aber keine Ansprache halten. Im Anschluss an die Andacht soll in Anwesenheit von Mitgliedern der Bundesregierung und des Senats an den Stufen des Breitscheidplatzes das neue Mahnmal – ein in den Boden eingelassener goldener Riss und die in Stein gemeißelten Namen der Opfer – eingeweiht werden. Der Weihnachtsmarkt bleibt an diesem Tag geschlossen. Die Berliner müssen sich wegen der Sicherheitsvorkehrungen auf weiträumige Absperrungen rund um den Breitscheidplatz einstellen. Die neue Gedenkstätte wird dann voraussichtlich ab 20 Uhr für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
Überraschungsbesuch löste unterschiedliche Reaktionen aus
Unter den Besuchern den Weihnachtsmarktes löste der Überraschungsbesuch der Kanzlerin unterschiedliche Reaktionen aus. Während einige junge Frauen begeistert die Handys zückten, um Fotos zu machen und ein Lächeln der Kanzlerin bekamen, waren anderen Besucher irritiert. Nicht nur von dem plötzlichen Gedränge der Kamerateams, sondern vor allem von den Sicherheitsleuten mit Maschinenpistolen, die genau dort Position bezogen, wo im vergangenen Jahr der Attentäter mit dem Lkw auf den Markt gerast war.
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Kurt Beck, wird am heutigen Mittwoch einen Bericht mit acht Verbesserungsvorschlägen vorlegen. Dazu zählt seine Forderung, beim so genannten Ersteinsatz direkt am Tatort eine gut sichtbare Anlauf- und Betreuungsstelle für Betroffene zu schaffen. Sanitäter und Notärzten hätten in dieser Situation keine Zeit, Informationen weiter zu geben, weil sie sich um die Verletzten kümmern müssen. Auch Polizisten seien dafür ungeeignet, weil sie damit beschäftigt sind, den Tatort abzuriegeln und Spuren zu sichern, so Beck.
Bei Todesfällen sollen die Angehörigen möglichst früh informiert werden. Es sollte ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige zu identifizieren. Gentests könnten dann immer noch nachgeholt werden. Eine wichtige Forderung Becks ist auch, einen ständigen ehrenamtlichen Opferbeauftragten zu berufen, der außerhalb der Diensthierarchie steht. Zudem solle es ständige Ansprechstellen im Bund und in den Ländern geben, die im Notfall sofort reagieren können.
Sehr wichtig ist es Beck auch, die finanzielle Hilfe zu erhöhen, wobei er keine konkreten Zahlen nennen möchte. Die derzeit gezahlten 10.000 Euro als Härteleistung für den Verlust naher Angehöriger wie Kinder, Eltern oder Ehepartner und 5000 für den Verlust von Geschwistern stuft er als zu niedrig ein. Das gilt auch für die Bestattungskostenpauschale von 1778 Euro und die Vollwaisenrente von monatlich 233 Euro. Unterschiedlichen Anträge auf Hilfen sollten über eine zentrale Stelle gebündelt abgewickelt werden, so Beck.
Ausländer , die sich in Deutschland aufhalten, sollen nicht benachteiligt werden. Nach der bisherigen Rechtsprechung schneiden Menschen, die nicht aus EU-Staaten kommen und weniger als drei Jahre hier leben, bei den Hilfeleistungen schlechter ab. Das betrifft auch Touristen.
Informationen:
Gedenken: Am kommenden Dienstag, 19. Dezember, findet das zentrale Gedenken an den Anschlag auf dem Breitscheidplatz statt. Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, wird die Andacht halten.
Mahnmal: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) wird im Anschluss an die Andacht die Rede zur Eröffnung der Gedenkstätte an der Gedächtniskirche halten. Daraufhin wird es noch eine Gedenkstunde im Berliner Abgeordnetenhaus geben, in der neben Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) auch der Opferbeauftragte der Bundesregierung Kurt Beck sprechen wird.
Zusammenkunft: Am Abend gedenken die Betreiber des Weihnachtsmarkts, Angehörige und der Pfarrer der Gedächtniskirche, Martin Germer, der Opfer. Die Sängerin Jocelyn B. Smith wird auftreten.
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