Berlin. Eine SPD-Politikerin unterstützt einen Vorstoß der Grünen. Die Linke will diskutieren, doch Schulsenatorin Scheeres lehnt das ab.
Kopftuch, Kippa und Kreuz müssen draußen bleiben – so regelt es seit gut zehn Jahren das Berliner Neutralitätsgesetz, das Lehrern das Tragen religiöser Symbole in der Schule verbietet. Geht es nach den Berliner Grünen, die auf ihrem Parteitag am Wochenende einen einstimmigen Antrag zur Abschaffung des Gesetzes verabschiedeten, ist es in seiner jetzigen Form bald Geschichte. Nach dem Vorstoß kommt wieder Bewegung in die Diskussion – auch in der SPD und bei den Linken in der rot-rot-grünen Koalition.
Die Landesvorsitzende der AG Migration und Vielfalt in der SPD Berlin, Daniela Kaya, fordert: „Diese in Gesetz gegossenen Stigmatisierungen gehören endlich abgeschafft“. Die Linke will eine offene Debatte. „Wir müssen sie führen, auch weil das Bundesverfassungsgericht eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelungen erwartet“, sagte die Sprecherin für Bildung und Kultur, Regina Kittler. Zum Kopftuch gebe es unterschiedliche Meinungen. „Zum einen wollen wir, dass junge Frauen, aus der tradierten Rolle der Frau im Islam ausbrechen können. Dazu müssen sie auch die Möglichkeiten der Ausbildung und Arbeit bekommen. Zum anderen muss ausgeschlossen werden, dass Kinder damit religiös beeinflusst werden.“ Der Sprecher der Linke-Fraktion, Thomas Barthel sagte: „Das Neutralitätsgesetz war einst ein Kompromiss zwischen der damaligen PDS und der SPD. Mittlerweile muss eine neue Generation die Debatte führen.“
„Jeder kann als Privatperson auftreten, wie er will“
Der SPD-Landeschef und Regierende Bürgermeister Michael Müller vertritt die Position, Gerichte, Polizei, Justiz und die staatlichen Schulen seien die Bereiche, in den es um wesentliche Dinge gehe, in denen die Bürgerinnen und Bürger besonders auf die Neutralität des Staates angewiesen sind. Harald Georgii, SPD-Kreisvorsitzender in Friedrichshain-Kreuzberg sagte am Montag: „Wir sind ein freies Land, jeder kann als Privatperson auftreten wie er will. Wer es möchte, kann auch in der Burka schwimmen gehen. Tritt jemand als Vertreter des Staates aber nach außen auf, erwarte ich, dass er sich bei der Weltanschauung neutral verhält.“
Auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sprach sich gegenüber der Berliner Morgenpost erneut für das Neutralitätsgesetz aus. „Das Berliner Neutralitätsgesetz behandelt alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen unterschiedslos, es gibt kein alleiniges Kopftuchverbot“, betonte Scheeres. Zudem biete die Berliner Rechtslage genügend Ausnahmetatbestände. Lehrkräfte, die ihre Kleidung aus religiösen Gründen nicht ablegen möchten, hätten die Möglichkeit, auf Berufliche Schulen auszuweichen. „Gerade weil in der Berliner Schule viele Religionen und Weltanschauungen aufeinandertreffen, ist es wichtig, dass die Lehrkräfte neutral vor die Klassen treten“, so die Senatorin.
Die Bildungsverwaltung führt gegenwärtig zwei Prozesse, in denen es darum geht, ob Lehrerinnen in der Schule das Kopftuch tragen dürfen. Damit setzt sie ein klares Statement für die Beibehaltung des Berliner Neutralitätsgesetzes. Das Gesetz untersagt Lehrern weitgehend das Tragen religiöser Symbole. Zuletzt hatten mehrere muslimische Kopftuchträgerinnen, die als Lehrerinnen abgelehnt worden waren, Entschädigungen erstritten. Anfang September stellte die Bildungsverwaltung den Schulen einen Leitfaden zur Anwendung des Neutralitätsgesetzes bereit. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte nach dem Parteitagsbeschluss angekündigt, er wolle das Thema im Senat vorantreiben. „Die Fakten liegen nach den Gerichtsurteilen auf dem Tisch. Danach ist das Neutralitätsgesetz nicht mehr zu halten“, unterstrich er.
Lehrerverbände warnen vor Abschaffung des Gesetzes
Lehrerverbände warnen davor, das Neutralitätsgesetz abzuschaffen. Kathrin Wiencek, Vorsitzende des Philologenverbandes Berlin, sagte der Berliner Morgenpost: „Die strenge Trennung von Schule und Religion muss aufrechterhalten werden.“ Lehrerinnen mit Kopftuch sollten an der Schule nicht unterrichten. Wenn das Kopftuch eindeutig einer religiösen Überzeugung zuzuordnen sei, spräche es auch für die Stellung der Frau im Islam.
Die Opposition ist sich einig: Der CDU-Abgeordnete Stefan Evers: „Wer vor eine Klasse tritt, muss das staatliche Neutralitätsgebot achten. Das gilt für Muslime genauso wie für Christen, Buddhisten oder Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters.“ Der FDP-Bildungsexperte Paul Fresdorf sagte: „Gerade um religiöse Manipulationen zu verhindern, müssen Lehrerinnen und Lehrer ganz besonders ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und im Klassenzimmer auf sichtbare Symbole ihres Glaubens verzichten.“ Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Franz Kerker findet: „Das Kopftuch ist in erster Linie ein Bekenntnis zum politischen Islam und hat in der Schule nichts zu suchen.“
Urteile zu religiösen Symbolen im Klassenzimmer
- Erst vor wenigen Wochen verhandelte das Gericht den Fall einer türkischstämmigen, Kopftuch tragenden Lehrerin, die wegen Diskriminierung eine Entschädigung vom Land Berlin fordert. Nach einem Auswahlgespräch Ende Mai hatte die Mathematik- und Deutschlehrerin zunächst kein Anstellungsangebot für eine staatliche Schule erhalten und ist jetzt befristet für ein Jahr an einer privaten Grundschule angestellt. Für den kommenden April ist eine weitere Verhandlung angesetzt.
- Zudem sind zwischen Januar und April 2018 mindestens vier weitere „Kopftuchfälle“ in Berlin angesetzt, wie das Arbeitsgericht auf Anfrage mitteilte. Hintergrund ist das Berliner Neutralitätsgesetz, das religiöse Symbole in Schulen weitgehend verbietet. In zurückliegenden Fällen hatten muslimische Lehramtsanwärterinnen oder Lehrerinnen erfolgreich gegen das Verbot geklagt und eine Entschädigung erstritten. Das Land bietet ihnen in der Regel eine Anstellung an einer Berufsschule an, wo das Verbot nicht gilt.
- Eine Lehrerin in Berlin musste auf Betreiben der Schulleitung im April 2017 eine Halskette mit einem Kreuz ablegen. Dieser Vorfall führte erneut zu heftigen Diskussionen über das Neutralitätsgesetz. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz kritisierte dies als verfassungswidrig
- Das Landesarbeitsgericht Berlin sprach im Februar 2017 einer abgelehnten muslimischen Lehrerin mit Kopftuch 8680 Euro Entschädigung zu. Sie hatte geltend gemacht, sie sei wegen des Kopftuchs abgelehnt und deshalb diskriminiert worden. Das Gericht sprach von einer Einzelfallentscheidung
- Das Verwaltungsgericht Osnabrück in Niedersachsen hat Anfang Januar 2017 die Entschädigungsklage einer Muslimin abgewiesen, der 2013 wegen ihres Kopftuches die Einstellung als Lehrerin verweigert worden war. Die Landesschulbehörde habe nach der damaligen Gesetzeslage korrekt entschieden, so das Gericht.
- Muslimische Lehrerinnen können in Niedersachsen seit Juli 2015 mit Kopftuch unterrichten. Nachdem das Bundesverfassungsgericht ein pauschales Verbot gekippt hatte, ist in Niedersachsen ein Erlass für die Schulen erarbeitet worden, der auf eine neue Auslegung des Schulgesetzes hinweist.
- Mit einem am 27. Januar 2015 veröffentlichtem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist.