Berlin. Was ist Glück? Gibt es ein Rezept dafür, wie man ein glücklicher Mensch wird? Fragen, mit denen sich die Schüler der Klasse 8.2 der Reinickendorfer Carl-Bosch-Sekundarschule seit einigen Wochen beschäftigen. Und zwar immer donnerstags in den ersten beiden Stunden, dann steht „Glück“ auf ihrem Stundenplan. Das Fach findet im Rahmen des verbindlichen Ethik-Unterrichts statt, an dem in Berlin alle Schüler der 7. bis 10. Klassen teilnehmen müssen.
An diesem trüben Morgen ist von Glück zunächst wenig zu spüren im Klassenraum der 8.2. Die Schüler hopsen umher, rempeln einander an und unterhalten sich lautstark. Die beiden „Glückslehrer“ Katrin Bartz und Kai-Ingo Rudolph beginnen die Stunde deshalb mit einer Übung, die Ruhe in die Gruppe bringen soll. Das funktioniert.
Im ersten Teil des Unterrichts sprechen sie dann über das berufsorientierende Praktikum, das alle vor Kurzem absolviert haben. Die Schüler sollen sich selbst einzuschätzen, Stärken benennen, die sie während des Praktikums an sich entdeckt haben. Katrin Bartz und Kai-Ingo Rudolph haben Kärtchen vorbereitet, auf denen Sätze stehen wie: „Ich kann mich gut verständigen“, „Ich kann fließend auf der PC-Tastatur schreiben“ oder „Ich bin kommunikativ“. Die Schüler sollen sich etwas aussuchen und ihre Wahl begründen. Manche können sich nicht entscheiden, sie bekommen von anderen ein Kärtchen in die Hand gedrückt.
Positive Selbstwahrnehmung kann glücklich machen
Katrin Bartz und Kai-Ingo Rudolph werden später sagen, wie froh sie darüber sind, dass die Schüler sich inzwischen selbst reflektieren und mit einem positiven Feedback anderer umgehen können. „Anfangs haben sich viele einfach keine Stärken zugetraut. Manche sind mit Komplimenten ihrer Mitschüler gar nicht klargekommen“, sagt Katrin Bartz. Für die Entwicklung der Kinder sei es wichtig, sie positiv zu bestärken und ihre guten Eigenschaften in den Vordergrund zu stellen, fügt Rudolph hinzu. „Das ist die Basis unseres Unterrichts.“ Glück habe viel mit einer positiven Selbstwahrnehmung zu tun.
Auch Klassenlehrerin Ebru Köse, die im Glücksunterricht ihrer 8.2 immer mit dabeisitzt, hat beobachtet, dass ihren Schülern viel bewusster geworden ist, was sie alles können. „Das hilft ihnen dabei, herauszufinden, wer sie sind und wo ihr Platz in der Gesellschaft sein könnte“, sagt sie.
Das Schulfach Glück ist in Berlin mit Beginn dieses Schuljahres als Pilotprojekt an drei Schulen gestartet. Neben den Achtklässlern der Carl-Bosch-Schule haben auch die der Jean-Kremer-Sekundarschule in Wittenau und die der Hellersdorfer Caspar-David-Friedrich-Sekundarschule „Glück“ auf dem Stundenplan. Das Konzept für diesen Unterricht hat das Heidelberger Fritz-Schubert-Institut für Persönlichkeitsentwicklung gemeinsam mit dem Münchner gemeinnützige Verein Integration – Zukunftsperspektive für Kinder entwickelt. Im Schuljahr 2013/14 startete das Schulfach Glück als Pilotprojekt an ausgewählten Münchner Mittelschulen, wo es nun bereits im fünften Jahr läuft. Ellen Scheiter, Vorsitzende des Vereins Integration – Zukunftsperspektive für Kinder, sagt, dass das Interesse an den Ursachen für Wohlbefinden und Zufriedenheit in vielen gesellschaftlichen Bereichen zugenommen hat. „Auch die Schule steht hier im Fokus der Betrachtung. Schüler scheinen immer unkonzentrierter, unsozialer, orientierungsloser, uninteressierter zu sein.“ Der Glücksunterricht wolle dem etwas entgegensetzen, Lebens- und Sozialkompetenz der Schüler stärken. „Sie entdecken persönliche Potenziale sowie die Freude am Tun und der eigenen Leistung.“ Das wirke sich positiv auf ihre Leistungen in anderen Fächern aus.
Für den Glücksunterricht sind Lehramtsstudenten zuständig. In Berlin erhalten 22 Studierende der Humboldt- Universität sowie der Freien Universität seit Juni eine entsprechende Weiterbildung. So auch Katrin Bartz und Kai-Ingo Rudolph. Seit Anfang Oktober unterrichten sie an den drei genannten Sekundarschulen. Während des Unterrichts sollen die Schüler unterschiedliche Konzepte und Theorien zum Thema Glück kennenlernen. Eine wichtige Rolle spielen aber auch theater- und erlebnispädagogische Elemente sowie experimentelle Übungen, die der Stärkung der Persönlichkeit dienen.
Bei einem Experiment geht es um Teamarbeit
Auch in der 8.2 findet an diesem Donnerstagmorgen noch ein Experiment statt. Eine Versuchsgruppe soll einen mit Wasser gefüllten Becher auf einem Brett balancieren, das an den Seiten mit Schnüren versehen ist. Jeder Schüler muss eine Schnur greifen und darauf achten, sie so zu führen, dass das Brett nicht in eine Schieflage gerät. Teamarbeit ist angesagt. Das gelingt erst beim zweiten Versuch. Anastasija und Hanna sagen warum: „Die Leute haben sich abgesprochen und viel besser als beim ersten Mal aufeinander gehört.“ Und Jeremy sagt: „Sie haben aus den Fehlern gelernt.“ Die Glückslehrer sind zufrieden. „Die Schüler sind respektvoll miteinander umgegangen und haben zielorientiert zusammengearbeitet“, sagt Rudolph. Das trage dazu bei, dass sich jeder wohler und damit auch glücklicher fühle. Jeremy fasst zusammen: „Glück ist, wenn positive Sachen passieren oder schlechte Sachen gut ausgehen.“
Die Schulleiterin der Carl-Bosch-Schule, Anke Harder, ist begeistert vom Glücksunterricht. „Der stärkt unseren Ansatz, bei den Schülern vor allem Stärken statt Fehler zu finden“, sagt sie. „Lehrer, die diese Ausbildung machen, stehen mit einer ganz anderen Haltung vor der Klasse, gucken anders auf Reaktionen und Konflikte ihrer Schüler.“ Für Harder steht fest, dass der Glücksunterricht an ihrer Schule auch nach dem Ende des Pilotprojekts weitergehen wird.