Wohnungsnot in Berlin

Wie der Experte den Preisanstieg bei Wohnungen bremsen will

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Isabell Jürgens
Mietwohnungen in Berlin

Mietwohnungen in Berlin

Foto: MarioGuti / iStockphoto

Reiner Wild, Chef des Berliner Mietervereins, über die Situation der Mieter in Berlin und seine Forderungen an die Politik.

Berlin.  Während die Regierungsparteien im Berliner Senat alle fünf Jahre neu gewählt werden und die Wohnungspolitik dementsprechend neu ausgerichtet wird, gibt es eine verlässliche Konstante in der Hauptstadt: Reiner Wild, Jahrgang 1954, arbeitet seit 36 Jahren beim Berliner Mieterverein (BMV), seit 2009 ist er Geschäftsführer. Der Mieterverein vertritt die Interessen von mehr als 160.000 Mietern gegenüber Hauseigentümern – und natürlich auch gegenüber der Berliner Landesregierung.

Herr Wild, wohnt der oberste Mieter-Lobbyist selbst zur Miete?

Reiner Wild: Seit 2007 nicht mehr, seitdem wohne ich in einem Reihenhaus in der Nähe vom Breitenbachplatz.

Sind Sie froh, Eigentümer geworden zu sein? Den Berliner Mietern weht ja inzwischen ein scharfer Wind entgegen.

Ökonomisch hat dieser Schritt rückschauend tatsächlich Sinn gemacht. Aber das war nicht der Grund, es ging uns damals darum, dass wir raus aus der Etagenwohnung und auch mal in einem Haus mit Garten leben wollten. Und Häuser zur Miete gibt es so gut wie gar nicht. Uns ging es also weniger um die Schaffung von Eigentum als um die Verwirklichung eines Traumes.

Sie sind seit 1981 beim Berliner Mieterverein. Haben Sie ähnlich harte Zeiten für die Mieter, wie sie derzeit herrschen, schon einmal erlebt?

Es gab tatsächlich Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre auch eine erhebliche Wohnungsknappheit in Berlin, ausgelöst damals von dem starken Zuzug junger Menschen aus dem Bundesgebiet, für die es kaum Wohnungsangebote gab. Dafür aber gab es, anders als heute, viele marode und leer stehende Häuser. Es kam dann zu den Instandbesetzungen der heruntergekommenen Altbauwohnungen. Die Situation war also nicht rosig, es gab Straßenschlachten, und das Wohnen in den vergammelten Häusern war oft auch kein Vergnügen. Was es damals noch nicht gab, war das Preisproblem. Denn die wenigen Wohnungen, die angeboten wurden, waren nicht teuer.

Also hatte der Wohnungsmangel damals nichts mit Spekulation zu tun, die heutige Mietenentwicklung auf dem Markt dagegen schon?

Doch, wir hatten auch schon damals in manchen Bezirken ein Problem mit der Wohnungsspekulation im Westteil der Stadt. Es wurden viele Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt, vor allem in den attraktiven Gründerzeitquartieren von Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg. Die erste größere Kampagne gegen Wohnungsspekulation hatten wir übrigens schon Anfang der 80er-Jahre. Damals ging es allerdings um noch ein weiteres Problem.

Um welches?

Der Berliner soziale Wohnungsbau war für Spekulanten und Steuersparer wie geschaffen. Die aberwitzig hohen Baukosten im damaligen West-Berlin lagen im Interesse aller Beteiligten. Der soziale Wohnungsbau wurde zumeist von Immobilienfonds finanziert, die Geld von vorwiegend westdeutschen Anlegern einsammelten. Je teurer der Bau wurde, desto höhere Steuerabschreibungen konnten die Anleger vornehmen. Den Mietern schadete das zunächst nicht, denn sie mussten nicht die aus den hohen Bausummen resultierende Kostenmiete zahlen, sondern eine politisch festgeschriebene Sozialmiete. Die enormen Kosten hat die öffentliche Hand getragen. Trotz vielfacher Anstrengungen des Mietervereins und anderer ist es uns damals nicht gelungen, dieses absurde Finanzierungssystem abzuschaffen.

Aber diese Art des Wohnungsbaus ist doch längst abgeschafft?

Ja, der neue soziale Wohnungsbau wird anders gefördert, aber wir haben ja noch rund 100.000 alte Sozialwohnungen, die immer noch unter dem damaligen Finanzierungssystem laufen und bei denen viel zu hohe Sozialmieten verlangt werden können. Derzeit erarbeitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ein Gesetz, das diese Systematik endlich beenden soll. Wir hoffen sehr, dass es bald vorliegt.

Kommen wir zurück zum Thema Wohnungsnot ...

So dramatisch wie heute war es wohl nur kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, denn einen so starken Zuzug von Menschen nach Berlin wie aktuell hatten wir in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich nicht.

Berlin hatte zu Anfang des Jahrtausends ein Wohnungs-Überangebot, weil die Stadt nach der Wende zunächst nicht so wuchs wie erwartet. Doch dann kamen ab 2009 mehr Zuwanderer, und das änderte alles?

Ja, aber leider war auch dies in den Jahren zuvor falsch prognostiziert worden. Um den Schuldenberg zu verringern, hatte das Land Berlin 1998 die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gehag mit 30.000 Wohnungen verkauft und schließlich im Jahr 2004 die GSW mit mehr als 50.000 Wohnungen. Ein Sündenfall mit schlimmen Folgen.

Warum?

Weil das Land Berlin damit die Möglichkeit aus der Hand gegeben hatte, dämpfend auf die Mietentwicklung einzuwirken. Nach der Wiedervereinigung verfügte Berlin über 500.000 kommunale Wohnungen bei einem Gesamtbestand von rund 1,9 Millionen. Damit war immerhin gut jede vierte Wohnung im Landesbesitz. Bis 2004 sank der Anteil dann allerdings auf 270.000. Inzwischen hat Berlin umgesteuert, der Anteil landeseigener Wohnungen ist wieder auf 300.000 angewachsen.

Der Senat verfolgt das Ziel, bis zum Jahr 2026 den Anteil auf 400.000 Wohnungen zu erhöhen. Ein realistisches Ziel?

Ein ehrgeiziges Ziel, aber ein richtiges. Damit es erreicht werden kann, müssen aber vermutlich noch andere Weichenstellungen getroffen werden, zum Beispiel mehr Direktvergaben von Grundstücken an die Städtischen oder bundesgesetzliche Änderungen beim Vorkaufsrecht und der Bodenpreisdämpfung.

Sorgen nicht auch die Privaten für Abhilfe? Die bauen ja deutlich mehr Wohnungen als die Landeseigenen.

Das, was die Privaten überwiegend hochziehen, geht zu einem wesentlichen Teil am Markt vorbei. Deren Aktivitäten konzentrieren sich ja überwiegend auf das hochpreisige Wohnsegment für überdurchschnittliche Einkommensbezieher. Von dieser Bautätigkeit profitieren aber Haushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen nicht, weil nur im Einzelfall die günstige Wohnung, die der Erwerber durch den Umzug in eine Neubauwohnung freigibt, an einen Berliner mit geringem Einkommen geht.

Sondern?

An den Interessenten, der bei der Wohnungsbesichtigung die höchste Bonität vorweisen kann, also über das sicherste und höchste Einkommen verfügt. Deshalb brauchen wir den geförderten Neubau mit Mietpreisbindung. Und weil das eben kurzfristig nicht im erforderlichen Maße zu schaffen ist, muss der Schutz der Mieten in den Bestandswohnungen verbessert werden.

Die rot-rot-grüne Koalition hat in der Hinsicht inzwischen viel auf den Weg gebracht. Sind Sie mit der Arbeit des Senats zufrieden?

Im Wesentlichen stimmt die Richtung, Frau Lompscher (Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Linke; Anm. der Red.) hat beispielsweise die Mietensteigerung bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf zwei Prozent jährlich begrenzt – eines unserer Anliegen. Jetzt hoffen wir auf die neue Bundesregierung. Mietrecht ist ja im Wesentlichen Sache des Bundes, nicht der Länder.

Was genau fordern Sie?

Eine Verschärfung der Mietpreisbremse bei Wiedervermietung. Wer als Vermieter dagegen verstößt, sollte mit einem Bußgeld belegt werden. Das ist derzeit nicht der Fall. Außerdem müssen die vielen Ausnahmeregelungen wegfallen, die dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse kaum Wirkung zeigt.

Weitere Vorschläge?

Auch die Spielräume für Preiserhöhungen bei alten Mietverträgen gehören auf den Prüfstand. Derzeit sind 15 Prozent in drei Jahren erlaubt. Das ist zu viel. Wir fordern, dass in Ballungsräumen mit angespanntem Wohnungsmarkt die Mieten lediglich um sechs Prozent in drei Jahren steigen dürfen. Und wir fordern weitere Änderungen im Mietpreisrecht.

Was sollte sich noch ändern?

Bisher reicht für den Vermieter als formelle Begründung einer Mieterhöhung aus, dass er sich am Oberwert des Tabellenfeldes im Mietspiegel orientiert. Viele Mieter schlucken das und wissen nicht, dass es an ihnen ist, die ortsübliche Vergleichsmiete zu prüfen. Das hat zur Folge, dass etwa 80 Prozent der Mieterhöhungen einfach durchgehen, denn viele Mieter sind mit der Kontrolle überfordert. Das möchten wir gerne ändern. Ganz wichtig ist auch, dass endlich die viel zu hohe Mieterhöhungsmöglichkeit nach Modernisierung und Energieeinsparung in der jetzigen Form abgeschafft wird.

In den anderen deutschen Millionenstädten wie Hamburg und München müssen Mieter deutlich mehr zahlen, die Wohnungsknappheit ist zudem noch größer. Jammern die Berliner Mieter nicht auf hohem Niveau?

Nein, die Sorgen der Berliner wie auch der Zuwanderer sind berechtigt. Wer sie für überzogen hält, lebt offenbar selbst in einer komfortablen Situation und verschließt den Blick auf die Wirklichkeit. Die Situation in den Ballungsräumen und Unistädten ist in etwa gleich schlecht. Bei Wiedervermietung sind die Mietpreise in Berlin übrigens schneller angestiegen als in Hamburg oder München, allerdings ausgehend von einem niedrigeren Niveau. Die Einkommens­situation der Haushalte in Berlin ist deutlich schlechter als in Hamburg und München. Die Mietbelastung ist inzwischen prozentual nahezu gleich. Berücksichtigt man, dass 28 Prozent Mietbelastung für einen Haushalt mit einem niedrigen Einkommen wegen des am Ende noch zur Verfügung stehenden Resteinkommens eine höhere Last bedeuten als für einen Haushalt mit höherem Einkommen, dann relativiert sich die These des jammernden Berliners doch sehr stark.

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