Wohnungsnot

Angst vor Verdrängung: Die Ohnmacht der Mieter in Berlin

| Lesedauer: 7 Minuten
Viktoria Trosien Mieterin in der Brunnenstraße

Viktoria Trosien Mieterin in der Brunnenstraße

Foto: Reto Klar

Viktoria Trosiens Haus soll modernisiert werden. Danach droht ihr eine Mieterhöhung um über 100 Prozent. Das kann sie nicht zahlen.

Im Hausflur riecht es nach Verwesung – wohl ein totes Tier in der Erdgeschoss-Bäckerei, die im August aufgegeben werden musste. Schmutzigweiß sind die Wände, darunter ist grüne Farbe großflächig abgestoßen. Am Klingelschild haben die letzten Mietparteien neben ihre Namen auf Zettelchen Telefonnummern geschrieben. „Denn läuten kann man bei uns seit einiger Zeit nicht mehr“, sagt Viktoria Trosien.

Für sie sind das Signale, mit denen die Hausbesitzer ihre Mieter unmissverständlich wissen lassen: „Ihr seid ab sofort unerwünscht.“ Deshalb durchlebt die 37-Jährige derzeit Wochen in Angst. Die neuen Eigentümer wollen das Haus in zentraler Bestlage Berlins modernisieren. Viktoria Trosien soll mehr als 1000 Euro zusätzlich bezahlen. Das kann sie nicht. „Das ist wie ein Rauswurf“, sagt sie.

Ein Ort, an dem ihre Tochter aufwachsen sollte

Als sie vor sechs Jahren in die Wohnung an Mittes Brunnenstraße zog, sei das „eine Zeit der Hoffnung“ gewesen. „Ich war schwanger, und dies sollte nun das Zuhause unserer kleinen Familie werden, der Ort, an dem meine Tochter groß wird“, sagt Trosien.

Selbst in Berlin geboren und aufgewachsen, ist es ihr wichtig, ihrem Kind „starke Wurzeln zu geben“. Dass es nun in einem Haus lebt, das einmal auf der Ostseite unmittelbar an die Mauer stieß, empfindet sie als wertvolle Besonderheit. So könne ihre Tochter die besondere Geschichte der Stadt „von Anfang an hautnah erleben“.

Trosiens Vier-Zimmer-Wohnung im Gründerzeit-Gebäude ist mit Laminat ausgelegt. Das Jugendkeyboard, der schiefe Wäschestapel und eine Freundin, die am Esstisch Notizen für das gemeinsame ehrenamtliche Projekt ins Laptop tippt, zeugen vom Nebeneinander der familiären und beruflichen Verpflichtungen der Soziologin. „Zwar leben wir mittlerweile nur noch zu zweit hier, aber dank der Freunde in der Nachbarschaft und im Haus gelingt es mir, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ohne diese Unterstützung wüsste ich nicht, wie ich den Alltag packen sollte.“

Im vergangenen Jahr erfuhr sie vom Verkauf des Hauses. „Da kam bei mir sofort Angst auf“, sagt die Frau im szenig-eleganten Look. Je länger sie ihre Geschichte ausbreitet, desto nachdrücklicher und hastiger erzählt sie. „Ich hatte doch gesehen, was sich in unserer Straße tut: untervermietete Wohnungen, immer mehr Ferienwohnungen und Hotels, Bauzäune und auf Wohnungsportalen Quadratmeterpreise für Eigentum von bis zu 8000 Euro.“

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Im August meldete sich die Hausverwaltung mit einer Mieterhöhung. Zur Warmmiete von derzeit 850 Euro wären 88 Euro hinzugekommen. Eine Beratung durch den Berliner Mieterverein ergab allerdings, dass die Mieterhöhung für ihre 124-Quadratmeter-Wohnung unwirksam war.

Weit schwerwiegender war das Schreiben, das sie bereits zehn Tage darauf erreichte. Diesmal meldeten sich gleich die Anwälte der neuen Eigentümer. Und diese Erhöhung würde Trosien nicht so leicht in den Griff bekommen. Dem siebenseitigen Schreiben legten die Juristen sieben Anlagen bei. „Ich zitterte, als ich das las“, sagt sie. „Ich hätte heulen können.“

Das Schreiben kam eigens per Bote

Derlei Modernisierungsankündigungen – Trosien wurde der Brief wohlweislich per Bote gebracht – zählen zu den meistgefürchteten Schreiben unter Berliner Mietern. Sorgfältig aufgelistet stand da, was sich in den kommenden neun Monaten in ihrem Haus so alles tun sollte. Geplant seien etwa die Dämmung der Keller­decke und Außenwände, der Austausch der Isolierglasfenster durch höherwertige, eine neue Heizungsanlage, ein Fahrstuhl im dreigeschossigen Haus und für Trosien ein Wohnungseingang zu einem anderen Treppenhaus.

Was sie misstrauisch machte: „Im Schreiben hieß es, durch die Modernisierung und die daraus folgenden Energie-Einsparungen würden sich meine Heizkosten um rund 29 Prozent verringern. Man werde sie auf voraussichtlich 100 Euro festsetzen“, sagt Trosien und schüttelt den Kopf. „Der Witz ist: Ich zahle momentan doch nur 56 Euro.“

Den für sie noch schwerwiegenderen Punkt hatte sie schon beim ersten Durchblättern ausfindig gemacht. „Für Ihre Wohnung ergibt sich nach Beendigung der Modernisierungsmaßnahmen somit ein monatlicher Modernisierungszuschlag (...) in Höhe von voraussichtlich 1067,37 Euro.“ Die Forderung erschütterte ihr Selbstverständnis. „So schlecht verdiene ich doch gar nicht, dachte ich bisher. Aber fast 2000 Euro Miete sind für mich unbezahlbar.“

Viktoria Trosien spricht von Existenzangst, einem Gefühl der Ohnmacht und Panik. Sie erschrecke zudem die große Ungerechtigkeit. „Ich habe einen gültigen Mietvertrag zu klar vereinbarten Konditionen unterschrieben. Und plötzlich soll die Vertragsgrundlage komplett verändert und die Miete mehr als verdoppelt werden.“

Sechs Wochen hatte Trosien nun Zeit, schriftlich der Modernisierungsmaßnahme zuzustimmen, sie abzulehnen oder das gesetzlich mögliche Sonderkündigungsrecht in Anspruch zu nehmen. Danach hätte sie bis Ende September für den Ablauf des darauffolgenden Monats ihre Wohnung kündigen können.

Auf Wohnungssuche fühlt sie sich benachteiligt

Stattdessen entschied sie sich, zu kämpfen – auch weil sie weiß, was ihr auf Berlins Immobilienmarkt für Chancen bleiben. „Ich habe mir in den letzten Wochen sehr viele Wohnungen angeschaut. Der Andrang war immer enorm. Auf zehn Wohnungen hatte ich mich beworben, und wenn überhaupt eine Reaktion kam, dann nur eine Absage. Als alleinerziehende Freiberuflerin habe ich bei Hausverwaltungen keine Chance. Da hilft mir auch mein Wohnberechtigungsschein nicht weiter“, sagt sie ernüchtert. „Klar, meine derzeitige Wohnung ist für zwei Bewohner sehr groß. Deswegen habe ich dem neuen Besitzer angeboten, den Grundriss zu verkleinern und diesen Teil der freien Nachbarwohnung zuzuschlagen. Reagiert hat der Besitzer darauf nicht.“

Kann man sich noch die Mieten in Berlin leisten?
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Kaum drei Wochen nach der Modernisierungsankündigung schrieben ihr die Rechtsanwälte erneut. Diesmal in fast fürsorglichem Tonfall. Selbst wenn das Gebäude nach Abschluss der Bauzeit „einen veränderten Eindruck“ machen und sich das „Wohngefühl in diesem Haus sicherlich verändern“ werde, seien sich die Eigentümer bewusst, dass die Baumaßnahmen „erhebliche Beeinträchtigungen verursachen werden“. Falls sie auszöge, werde man ihr daher eine „Umzugshilfe“ zahlen. Es wäre ein Betrag in niedriger fünfstelliger Höhe. „Aber was ist das wert, wenn ich keine andere Wohnung bekomme? Vielleicht könnte ich damit eine deutlich teurere Wohnung für ein Jahr finanzieren, aber was ist dann danach?“, sagt Trosien.

Dieser Tage wurde die Klingelanlage im Haus repariert, es riecht auch wieder besser. Trosien sitzt indes mit Unterstützung ihrer Mieterverein-Anwältin die Modernisierung aus. Sie will danach prüfen, was tatsächlich als Modernisierungskosten umgeschlagen werden darf. Der Ausgang des Verfahrens sei wegen der Rechtslage zwar völlig ungewiss. „Aber“, sagt Viktoria Trosien erschöpft, „was bleibt mir anderes übrig?“

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