Wenn der Neubau im Garten des Vivantes Klinikums Spandau im Frühjahr 2019 fertig ist, wird sich der jetzige Therapiebereich im Untergeschoss des Haupthauses mehr als verdoppeln. Aber es kommt nicht nur auf die Größe an: Schon jetzt bietet das Krankenhaus dort etwas, was es in dieser Kombination bislang selten gibt: gleich drei unterschiedliche Gangroboter sind für Menschen im Einsatz, die durch einen Unfall oder nach einer schweren neurologischen Akuterkrankung wie einem Schlaganfall, einem Unfall mit Rückenmarksschädigung oder anderen Erkrankungen des zentralen Nervensystems nicht mehr laufen können.
Sie sitzen wie Marcel Böhme im Rollstuhl. Der heute 40-Jährige ist seit seinem Unfall vor acht Jahren querschnittgelähmt. Aber er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Forschung irgendwann so weit sein könnte und ihm doch noch einen Weg aufzeigt, wieder laufen zu können. Bis dahin hält er sich fit, indem er so oft wie möglich in den Gangrobotern trainiert. „Es sind keine Wundermaschinen. Man wird nie wieder so laufen können wie vorher, auch die Patienten nicht, die keine komplette Querschnittlähmung haben so wie ich. Jedoch verbessert sich für mich durch die intensive Bewegung und das Stehen die Lebensqualität erheblich“, weiß er inzwischen aus seiner Erfahrung mit den Maschinen. Der aufrechte Gang, zumindest ab und zu, und die intensive Bewegung mithilfe der Maschinen würden ihm helfen, dass er weniger Spastiken, also Muskelkrämpfe, habe. Auch Probleme mit Blase und Verdauung, die mit der Querschnittlähmung einhergehen, und über die keiner gerne spreche, würden durch das Stehen und Gehen „deutlich verbessert“.
Drei verschiedene Maschinen ermöglichen, das Laufen zu üben: der „Lokomat“, bei dem der Patient auf einem Laufband steht und mittels Halterungen, einer Art „Skelett“ von außen, seine Beine bewegt, sogar inklusive Hüftschwung. Gesteuert aber nur durch den Roboter. Motoren an Hüft- und Kniegelenken unterstützen die fehlende Aktivität des Patienten. Ein Gurtsystem hält den Patienten im aufrechten Gang, es verhindert zudem, dass der Patient stürzt.
Gehen und Treppensteigen wird mit dem Roboter „G-EO“ trainiert. Mit einer Fallschirmausrüstung wird der Patient gehalten und zunächst gehoben, bevor er zum Stehen gebracht wird und die Beine den Boden berühren. Auf Augenhöhe mit dem Therapeuten. Da er seine Beine selbst nicht spürt, auch die Belastung nicht, kann er auf einem Bildschirm (Biofeedback) sehen, wie sich die Bewegungsabläufe verbessern. Dadurch kann er lernen, diese auch teilweise selbst zu korrigieren. Statt der Motoren mit Sensoren an Hüfte und Knie wie beim Lokomat steuern an diesem Gerät Fußplatten mit Sensoren die Bewegung. Ursprünglich wurde das Gerät in Berlin von Professor Stefan Hesse an der Klinik Berlin (heute Median Klinik Berlin-Kladow) zusammen mit dem Fraunhofer Institut entwickelt. Und dann gibt es noch das „Ekso bionics“, das wie ein äußeres Skelett getragen wird und mit dem der Patient stehend im Raum umherlaufen kann. Batteriebetrieben und teils als Rucksack tragbar. Die Maschine übernimmt die Bewegungen der Beine, die ebenfalls in einer Stützhalterung stecken. Der Patient kann während der Therapie im Raum von A nach B gehen.
„Die hohe Wiederholungszahl und die Intensität der Übung können unterstützend nur über Maschinen erreicht werden“, sagt Physiotherapeutin Bettina Quentin, die mit ihrem Team das ganze Spektrum therapeutischer Möglichkeiten im Krankenhaus anbietet, von der Physio- und Ergotherapie, über Logopädie bis zur Neuropsychologie. Die Roboter seien immer nur Teil des Gesamtkonzepts im Team, zu dem unter anderem Neurologen, Neurochirurgen sowie der Pflege- und Sozialdienst gehören.
Neurologische Funktionen wieder zurückholen
Die Fachleute wissen, dass intensives Training die Chance bietet, neurologische Funktionen nach Hirn- oder Rückenmarksschaden wieder zurückzuholen. „Man geht nicht nur mit dem Hirn. Im Rückenmark unterhalb der Brustwirbelsäule, im oberen Lumbalmark, befindet sich ein zweites wichtiges Zentrum fürs Gehen. Man braucht vom Gehirn nur das Startsignal, um das Gangzentrum im Rückenmark zu aktivieren. Doch das kommt bei Schlaganfall und inkompletter Querschnittlähmung unten nicht gut an. Bei regelmäßigem Training jedoch, und das sind mindestens 500 Schritte pro Tag, kann das Zentrum aber wieder lernen anzuspringen“, beschreibt Professor Jörg Wissel das komplexe Zusammenspiel von Muskeln und Nerven, Rückenmark und Gehirn. Das Gerät helfe allein schon durch die Intensität und Regelmäßigkeit der Bewegungen, man brauche aber auch Gleichgewicht und Kraft, auch hierbei helfen die Roboter.
Wissel ist Leiter der Neurologischen Frührehabilitation und der Physikalischen Therapie im Vivantes Klinikum Spandau. Die Ansammlungen von Nervenzellen im Rückenmark seien in der Lage, selbstständig rhythmische Muskelaktivierungen zu veranlassen. Gehen oder Rennen seien größtenteils automatisch ablaufende Bewegungen, aber eine Startaktivierung bräuchten sie schon. Über intensive Trainingsphasen von drei bis vier Wochen werde so mit den Gangrobotern versucht, das Zentrum im Rückenmark und im Gehirn anzuregen und die Verbindung vom Hirn zum Rückenmark wieder herzustellen.
Das Ziel des selbstständigen Gehens sei aber nicht bei jedem zu erreichen, manchmal gebe es Teilerfolge, etwa kurze Strecken wieder laufen zu können. „Bei vielen Patienten mit Hirnschädigung, beispielsweise durch einen Schlaganfall, sowie bei nicht kompletten Querschnittlähmungen hilft die Robotertechnik die Einschränkungen zu minimieren. Wer früh anfängt, hat damit eine gute Chance, dass der ,Ganggenerator‘ wieder anspringt“, sagt Professor Wissel.
Bevor er vor drei Jahren ans Vivantes Klinikum Spandau wechselte, war er ärztlicher Direktor und Chefarzt der Neurologie in Beelitz-Heilstätten. Dort sei bereits vor 15 Jahren ein Vorläufer der heutigen Gangroboter angeschafft worden. „Damit gehörten wir dort damals mit zu den ersten, die diese Therapie eingesetzt haben“, betont Wissel. Die heute bei Vivantes eingesetzte Robotik stelle allerdings eine deutlich verbesserte Therapie zur Verfügung: „Die Roboter helfen beim Wiedergewinnen der Gehfähigkeit in der modernen Neurorehabilitation“, so Wissel.
Seit Neuestem können auch Patienten, die nicht stationär im Vivantes Krankenhaus in Spandau sind, die unterstützende Roboter-Therapie nutzen. Während bei den Krankenhaus-Patienten die Kosten in der Behandlung enthalten sind, muss bei den ambulanten Patienten jeder Einzelfall von der Krankenversicherung entschieden werden. Es wird auch ein Probetraining angeboten, bei dem mit dem Patienten Ziele und mögliche Therapien besprochen werden.
Weitere Informationen unter
Telefon: 030/ 130 13 16 01
E-Mail: neuroreha.ksp@vivantes.de