Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité sucht seinesgleichen. Die weltweit bekannte Institution kann auf eine einzigartige Geschichte verweisen, die mit der hochgelobten Fernsehserie „Charité“ erst kürzlich wieder in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit geriet. „Wir waren so etwas wie das Museum zur Serie“, sagt Direktor Thomas Schnalke, „dadurch gab es spürbar mehr Besucherandrang.“
Eigentlich ist das Haus ein Museum im Museum. Den Kern der Sammlung bilden – trotz verheerender Kriegsschäden – die Bestände des von Rudolf Virchow gegründeten und 1899 eingeweihten Pathologischen Museums. Der berühmte Arzt sorgte an seiner Wirkungsstätte Charité für eine fast einhundertprozentige Sektionsrate. Das heißt, er nahm jährlich fast 1400 Obduktionen an verstorbenen Patienten vor und legte eine weltweit einzigartige Sammlung von Feucht- und Trockenpräparaten an. In den Hinterzimmern des Museums stehen bis heute die dicken Bände mit den gesammelten handschriftlichen Sektionsdiagnosen.
Virchows an der Charité entwickelte Zellularpathologie machte Schluss mit dem bis dato gängigen medizinischen Paradigma eines „Säftegleichgewichtes“ im menschlichen Körper. Er sah in den Zellen die kleinsten und entscheidenden Einheiten, die laut Virchow grundsätzlich gleichberechtigt, allerdings ‚unterschiedlich talentiert‘ waren und charakteristisch erkranken konnten. Das war revolutionär, wenn auch heute wissenschaftlich überholt. Nichtsdestoweniger war Virchows Bestreben, anhand von Präparaten Krankheitsverläufe und Zustände von Organen nachvollziehbar zu machen, eine Meisterleistung.
Diese Form der Veranschaulichung ist auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung, die einerseits um den Kosmos von Virchow herum aufgebaut ist, andererseits weit darüber hinausweist. Die Schau folgt einer Dramaturgie, mittels deren 300 Jahre Medizingeschichte aufgefächert werden. Dabei zitieren die Ausstellungssäle medizinhistorische „Raumklassiker“, wie Direktor Schnalke erklärt.
Der Rundgang beginnt beim Thema Anatomie, dem fast wortwörtlich zu nehmenden anatomischem Theater, wie es in der Erforschung des menschlichen Körpers ab dem 16. Jahrhundert Mode war. Anschließend geht es durch den Seziersaal beziehungsweise Virchows Institut ins Labor, das heute Dreh- und Angelpunkt aller medizinischen Forschung ist. Am Ende steht man im Krankensaal, wo die Forschungsergebnisse der Mediziner bei der Heilung des Menschen schließlich angewendet werden.
Präparate waren schon Virchows „liebste Kinder“
Die Präparate waren schon Virchows „liebste Kinder“, und so wacht seine Büste bis heute über diese Highlights der Ausstellung. Da lässt sich zum Beispiel die Kohlelunge eines Schusters betrachten, der zeitlebens neben einem Ofen arbeitete. Wer schon immer wissen wollte, wie eigentlich ein Bypass aussieht, wird aufgeklärt. Ebenso bekommt man die Auswirkungen von Tuberkulose auf die Wirbelsäule vor Augen geführt, rachitische Skelette oder ein paar außergewöhnlich imposante Gallensteine. „Unser wohl prominentestes Präparat ist der Blinddarm vom ehemaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert“, sagt Schnalke, „der ihn übrigens auch das Leben kostete.“
In einer museumstypischen Relation werden nur ungefähr zehn Prozent aller in den Archiven lagernden Präparate ausgestellt, bei anderen Exponatengruppen ist der Anteil etwas höher. Zum Beispiel beim aufschlussreichen medizinischen Instrumentarium: Brenneisen, Klistierspritzen und historische Narkosemasken, militärisches Operationsbesteck oder altes Übungsequipment für angehende Ärzte. Zartbesaitete Besucher müssen aufpassen, denn mitunter wird es unansehnlich, wenn Dutzende Wachsabdrücke von gemeinen Hautkrankheiten oder gigantische, in Alkohol eingelegte Geschwüre ins Auge fallen.
Aber all dies diente einem guten Zweck, was nicht vergessen werden soll. Deswegen werden im „Krankensaal“ zehn prototypische Patientenschicksale samt der angewandten Behandlung gezeigt und dabei nicht verheimlicht, dass der mühsame Fortschritt der Medizin nicht ohne Misserfolg und Irrglauben ablief. Man erfährt, wie einem Kavalleristen Friedrichs des Großen ein kindskopfgroßer Tumor herausgeschnitten wurde, wie Anfang der 1970er-Jahre die psychiatrische Behandlung einer Teenagerin mit Insulin und Elektroschocks fehlschlug oder wie der medizinische Fortschritt irgendwann Organtransplantationen möglich machte.
Die nächste Wechselausstellung öffnet Ende Oktober. Die experimentelle Comicschau „Sick!“ widmet sich dem Thema „Kranksein im Comic“. Wegen des großen Erfolges bis Januar verlängert wurde die Sonderausstellung „Hieb § Stich“, in der rechtsmedizinische Fragen rund um Spurensicherung und Verbrechensaufklärung verhandelt werden. Aus dem Krimi kennt das Metier jeder, doch wie genau Experten mit DNA-Analysen, postmortaler Computertomografie oder Blutspritzervermessung Straftätern auf die Spur kommen, ist real faszinierender als im TV. „Wir zeigen, was derzeit Stand der Dinge ist“, sagt Schnalke. Wer aus dem Museum herauskommt, hat eine ganze Menge gelernt.
Museums-Info:
Adresse: Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1 (campusintern: Virchowweg 17), Mitte, Tel. 450 53 61 56, geöffnet Di., Do., Fr. , So. 10–17, Mi./Sbd. 10–19 Uhr, Eintritt 9, erm. 4 Euro
Führungen: Sonnabends 14 Uhr durch die Sonderausstellung, 16 Uhr durch die Dauerausstellung (5 Euro plus Eintritt), individuell sind Gruppenführungen ab 10 Personen buchbar.
Ausstellung: Die exzeptionelle Sammlung macht 300 Jahre Medizingeschichte anschaulich. Wegen der besonderen Wirkung etlicher anatomischer Präparate haben Jugendliche unter 16 Jahren nur in Begleitung von Erziehungsberechtigten Zutritt.
Infos Online unter www.bmm-charite.de