Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel inspizierte den Park und die Verstecke der Obdachlosen.
„Ich würde den Obdachlosen ja gerne irgendwo ein Stück des Tiergartens zur Verfügung stellen, wo sie lagern könnten“, sagt Markus Schwenke und blickt auf die durchweichte Matratze, die vielen Plastiktüten mit undefinierbarem Inhalt und den kleinen Grill. Dinge, die deutlich signalisieren, dass in dieser hinter Gestrüpp verborgenen Nische am Bahnviadukt nahe dem Hansaplatz ein Mensch lebt. „Aber ich weiß genau, dass das Problem dadurch nur noch größer würde“, fügt der für den Großen Tiergarten zuständige Revierleiter im Grünflächenamt Mitte nachdenklich hinzu. Denn dann, so seine Befürchtung, kämen „statt 60 bis 80 doppelt so viele Obdachlose hierher“. Deshalb stehe er hinter dem Hilferuf seines Bezirksbürgermeisters – „auch wenn das vielen herzlos erscheint“.
Grünen-Rathauschef Stephan von Dassel hatte vor einer Woche mit seinem in der Berliner Morgenpost öffentlich gemachten Ruf nach mehr Unterstützung durch den Senat sowie der Forderung, aggressive Obdachlose aus Osteuropa müssten abgeschoben werden, für politische Furore gesorgt. Seitdem hat sich der Wirbel nicht etwa gelegt, sondern zu hektischer Betriebsamkeit verdichtet. Senatssprecherin Claudia Sünder hatte vorschnell ab Mittwoch intensivere Polizeikontrollen im Park zugesagt, nun sollen diese immerhin „zeitnah“ stattfinden – nachdem sich Polizei und Bezirk abgesprochen haben.
„Doch alle Kontrollen helfen nichts, wenn nicht das Problem grundlegend angegangen wird“, sagt von Dassel, der sich am Freitagmorgen mit seinem Revierleiter Schwenke und dem Fachbereichsleiter Grünpflege, Jürgen Götte, zu einem Rundgang durch die zum Politikum gewordene 210 Hektar große Grünanlage im Herzen Berlins verabredet hat. Hier lässt sich der Bezirksbürgermeister die meist hinter dichtem Gebüsch verborgenen Orte zeigen, an denen sich die Probleme häufen. Vor den Zelten, die sich meist gut getarnt abseits der Wege befinden, will er sich jedoch nicht von den Kameras der Filmteams ablichten lassen, die ihn auf dem Rundgang begleiten. „Das ist ja hier kein Obdachlosen-Zoo“, wehrt er ab.
Bei genauerer Betrachtung und nur wenige Meter abseits der großen Wege sind die Hinterlassenschaften der problematischen Parknutzer unübersehbar: Da finden sich von Laub halb verdeckte Spritzen und aufgerissene Kondompackungen. „Allein zwei unserer Mitarbeiter sind dauerhaft damit beschäftigt, Müll aufzusammeln und zu entsorgen“, sagt der Revierleiter. Es sei ja nicht so, ergänzt von Dassel, dass den Menschen keine Hilfsangebote gemacht würden. Sozialarbeiter sprächen gezielt Obdachlose an und wiesen sie auf die diversen Angebote hin. Mitte erhalte auch rund eine Million Euro aus dem „Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen“. Das Geld werde vom Senat an Organisationen wie Gangway, Klik, Caritas oder Stadtmission weitergeleitet.
Innensenator Geisel will Hilfsangebote machen
„Aber wie man hier deutlich sieht, schaffen die es auch nicht, die Menschen von der Straße beziehungsweise aus dem Park zu bringen“, sagt von Dassel. „Wir müssen also andere Wege suchen, so bekommen wir das Problem nicht in den Griff.“ Er gestehe, dass er auch keine Lösung weiß, „aber die Armutszuwanderung aus der EU bringt uns hier an die Grenzen des Leistbaren“. Diese Probleme habe natürlich nicht nur der Bezirk Mitte.
Am Freitag kam die „Taskforce Tiergarten“, die Innensenator Andreas Geisel (SPD) einberufen hatte, zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Sie soll das Problem der im Tiergarten lebenden Obdachlosen angehen. Christian Gaebler (SPD), Staatssekretär in der Innenverwaltung, leitete das rund zwei Stunden dauernde Treffen, an dem der Leiter der Polizeidirektion 3, die Bürgermeister und Ordnungsamtsleiter von Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf sowie hochrangige Vertreter der Senatsverwaltungen für Gesundheit, Soziales und Justiz teilnahmen. In einer ersten Analyse stellte die Taskforce fest, dass die Probleme in dem Park komplexer seien als bislang dargestellt. Neben den dort wild campenden Obdachlosen, vielfach aus Osteuropa, habe man es mit psychisch kranken oder zumindest labilen Menschen zu tun, mit Trinkern, Drogenabhängigen, Systemverweigerern und „Lebenskünstlern“.
Betroffen sei nicht der gesamte Tiergarten, sondern vor allem das Umfeld der Schleuse, wobei eine Wechselwirkung mit dem benachbarten Bahnhof Zoo zu beobachten sei, erklärte Geisels Sprecher Martin Pallgen nach der Sitzung. Es gebe nach dem Ausländerrecht kaum Möglichkeiten, die obdachlosen EU-Bürger auszuweisen. Zudem könnten die Betroffenen nach einer Ausweisung sofort wieder einreisen und müssten gemäß EU-Recht keine Frist einhalten, so der Sprecher. Die Taskforce habe verabredet, dass Polizei und Ordnungsamt Mitte in der kommenden Woche gemeinsam die Zelte der hier campierenden Obdachlosen beseitigen würden, sagte Pallgen der Berliner Morgenpost. Zudem werde die Identität der Menschen festgestellt, auch um ihre Herkunftsländer herauszubekommen. Danach sollen solche Aktionen auch in anderen Berliner Parks durchgeführt werden.
"Nach spätestens 24 Stunden waren alle wieder da"
Vorab hatte der Innensenator erklärt, „eine Strategie, die nur auf eine verstärkte Polizeipräsenz und -kontrollen setzt, greift zu kurz“. Damit sich die Menschen im Park wieder sicher fühlen, müssten den Obdachlosen gezielt Hilfsangebote unterbreitet werden, etwa die Unterbringung in einer Notübernachtung oder bei Bedarf eine psychosoziale Betreuung. Dazu erklärte sein Sprecher Pallgen, die Wildcamper würden auf das engmaschige Netz der Hilfsangebote hingewiesen. Dazu gehörten Notunterkünfte sowie Angebote der Kältehilfe.
Den Abbau der Zelte konsequent zu wiederholen, wird Ordnungsamt und Polizei möglicherweise häufig beschäftigen. „Im letzten Jahr hatten wir mehr als 80 Räumungen. Das Problem: Nach zwei bis spätestens 24 Stunden waren alle wieder da“, berichtete Bezirksbürgermeister von Dassel.
Die FDP lehnt die vom Innensenator angekündigten Hilfsangebote ab. Geisel plane offenbar den Bruch der Landeshaushaltsordnung und des EU-Rechts, „da er die sozialen Probleme der Herkunftsländer mit Berliner Steuergeld lösen möchte“, erklärte der Innenexperte der Liberalen im Abgeordnetenhaus, Marcel Luthe. Wer nicht mindestens fünf Jahre in Deutschland seinen festen Wohnsitz hatte, habe keinen Anspruch auf Sozialleistungen.
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