Zunehmend aggressive und drogenabhängige Obdachlose sorgen in der Berliner Innenstadt für wachsende Probleme. Nach dem Hilferuf des Bezirksbürgermeisters von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne) wegen der katastrophalen Zustände im Großen Tiergarten fordern jetzt auch andere Bürgermeister wie Monika Herrmann (Grüne) in Friedrichshain-Kreuzberg und Franziska Giffey (SPD) in Neukölln mehr Unterstützung und eine landesweite Strategie für Brennpunkte.
„Der Tiergarten wird mehr und mehr zur rechtsfreien Zone. Wir können das nicht mehr hinnehmen“, hatte Mittes Bürgermeister von Dassel vor einigen Tagen einen Hilferuf ausgesandt. Die Mitarbeiter seines Grünflächenamtes seien damit überfordert, angesichts der zunehmenden Aggressivität überwiegend osteuropäischer Obdachloser, des Drogenmissbrauchs und der Prostitution im Park rund um die Siegessäule. Die Lage sei außer Kontrolle, sagte der Grünen-Politiker – und plädierte im Notfall für Abschiebungen von alkohol- und drogenabhängigen Obdachlosen aus Osteuropa.
Monika Herrmann:„Mehr Hilfsangebote nötig“
Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, sagte der Berliner Morgenpost: „Wir brauchen dringend eine berlinweite Verständigung.“ Die rot-rot-grüne Regierungskoalition müsse sich „das Thema auf die Fahne schreiben“. Konkret fordert Herrmann verstärkt Hilfsangebote wie mehr Unterkünfte für Obdachlose und Streetworker. „Ich plädiere sehr dafür, dass wir landesweit einen Träger suchen, der Sozialarbeit in den Bezirken anbietet“, sagte Herrmann. Wie sie auf Anfrage bestätigte, plane der Bezirk derzeit ein Sozialarbeiterangebot am Kotti für Drogenabhängige mit finanzieller Unterstützung des Landes und einem in der Drogenarbeit erfahrenen Träger.
Die von ihrem Parteifreund von Dassel erhobene und ihrer Ansicht sehr „emotionale Forderung“ nach Abschiebungen teilt die Grüne nicht. „Herr von Dassel zeichnet sich zum zweiten Mal dadurch aus, dass er ein Problem am liebsten weghaben will, indem er es aus dem öffentlichen Straßenbild entfernt“, sagte Herrmann. Von Dassel fordert seit Längerem, Prostitution in der Innenstadt nicht mehr zu erlauben.
Franziska Giffey: „Mit ideologischen Grenzen kommen wir hier nicht weiter“
Die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, Franziska Giffey, begrüßt die jüngste Initiative von Dassels zu den wachsenden Problemen im Tiergarten. „Mit ideologischen Grenzen kommen wir hier nicht weiter“, sagte die SPD-Politikerin der Berliner Morgenpost. Es reiche nicht, wenn man ein paar Mitarbeiter des Ordnungsamtes in Brennpunkte schicke. „Hier müssen alle zusammenarbeiten. Ordnungsämter, Staatsanwaltschaften und Polizei“. Sie unterstrich: „Wir müssen aufräumen in der Stadt.“ Giffey kennt sich aus mit sozialen Brennpunkten. In Neukölln hat sie gleich mehrere. Mit der Hermannstraße und dem Herrmannplatz liegen gleich zwei kriminalitätsbelastete Orte in ihrem Zuständigkeitsbereich. Außerdem leben in Neukölln zehn polizeibekannte arabische Großfamilien mit etwa 1000 Mitgliedern.
Erst am Freitag kündigte Giffey mit auf die organisierte Kriminalität spezialisierten Staatsanwälten eine Null-Toleranz-Politik gegenüber kriminellen Clans an. Als erster Bezirk erhält Neukölln eine Staatsanwalt vor Ort. „Das, was wir erleben, ist aber nicht Neukölln-spezifisch“, sagte die Bezirksbürgermeisterin und knüpfte damit an ihren Amtsvorgänger Heinz Buschkowsky an, der warnte: „Neukölln ist überall“. Der Bezirk setzt auf einen Dreiklang aus Reaktion, Prävention und Repression. Giffey fordert ein bezirks-übergreifendes Vorgehen und gemein-same Aktionen. „Es muss politisch einheitliche Standards für Brennpunkte geben“, sagte sie.
Für den SPD-Innenexperten Tom Schreiber ist der Tiergarten ein Beispiel dafür sei, was passiert, wenn man eine Problematik aus den Augen verliere. „Der Hilferuf aus Mitte zeigt, dass behördenübergreifendes Handeln nötig ist“, so Schreiber. „Wir brauchen ein Frühwarnsystem bevor uns die Probleme über den Kopf wachsen.“ Es reiche nicht aus, nach der Polizei zu rufen. Wichtig seien präventive Maßnahmen – genügend Sozialarbeiter, eine gut ausgestattete Bahnhofsmission mit ausreichend Kälteplätzen im Winter.
Opposition verlangt ein härteres Durchgreifen
Die Opposition sieht ebenfalls den Senat in der Pflicht und fordert ein härteres Durchgreifen. Burkhard Dregger, Innenexperte der CDU-Fraktion, sagte: „Die Personen im Tiergarten sind ohne Adresse. Sie können abgeschoben werden, wenn sie zuvor in Abschiebegewahrsam genommen werden.“ Der innenpolitische Sprecher der AfD, Karsten Woldeit sprach von einer „sehr, sehr großen Herausforderung“. Nötig sei angesichts der wachsenden Obdachlosigkeit ein „Krisenmanagement, um der Lage Herr zu werden“. So müssten mehr Übernachtungsplätze geschaffen werden. Woldeit sieht die Probleme aber auch hausgemacht – „durch illegale Zuwanderung und eine Armutsmigration im Zuge der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union“. Er fordert konsequente Abschiebungen.
Rechtlich seien alle Möglichkeiten vorhanden, sie müssen nur angewendet werden, betonte der FDP-Innenexperte Marcel Luthe. „Das Allgemeine Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ermöglicht die Identitätsfeststellung und Platzverweise und zu deren Durchsetzung auch die Ingewahrsamnahme und Sicherstellung von Sachen.“ Außerdem sei das EU-Recht deutlich: „Wer nicht mindestens fünf Jahre in Berlin gemeldet war, hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen – andernfalls müsste Berlin ja alle Bedürftigen Europas allein finanzieren“, so Luthe. „Es ist eben kein Grundrecht, in einer bestimmten Stadt zu wohnen.“
Der Innenexperte der Grünen-Fraktion, Benedikt Lux, stärkt seinem Parteifreund von Dassel den Rücken: „Man muss den Alarmruf ernst nehmen und darf die Bezirke damit nicht allein lassen.“ Auch für Lux sind Abschiebungen „in krassen Fällen das richtige Mittel“. Für ihn steht fest: „Berlin muss sich auf mehr Obdachlosigkeit und mehr Aggressivität und mehr Konflikte bei Wohnungslosen einstellen. Experten wie der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, Dieter Puhl, sollten in der notwendigen Debatte hinzugezogen werden.
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