Reinickendorf . Reinickendorf gilt als Hotspot für illegalen Welpenhandel. Ein Tieraktivist jagt die Verkäufer – das Netzwerk besteht jedoch weiter.
„Cookie“ ist illegal. Greta Kostner (Name von der Redaktion geändert) aus Reinickendorf kaufte den Chihuahua-Welpen im September auf der Straße. Von wem weiß sie nicht. „Eigentlich wollte ich das Muttertier sehen“, sagt Kostner. „Der Händler sagte mir, das ginge nicht. Die Hündin sei irgendwo bei seiner Freundin, in Brandenburg.“ Kostner traf den Unbekannten an der U-Bahnstation Lindauer Allee. Der Welpe, den er im Arm hielt, war nicht derselbe wie auf dem Foto. Die Haare deutlich länger. Die Augen braun wie Karamell. „Da hab ich ihn trotzdem mitgenommen“, sagt Kostner. 230 Euro kostete das Jungtier.
Cookie ist einer von vielen illegal verkauften Hunden in Berlin. Im Bezirk Reinickendorf wurden 2016 laut Ordnungsamt insgesamt sieben Fälle von illegalem Welpenhandel gemeldet. 2017 waren es bislang fünf. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. „Bei illegalem Welpenhandel können sich auch die Käufer strafbar machen“, sagt Annette Brenken, Rechtsanwältin aus Tegel und spezialisiert auf Tierrecht. „Kaum jemand von ihnen erstattet Anzeige.“ Welpen dürften von deutschen Händlern erst ab einem Alter von acht Wochen verkauft werden. „Einfuhr aus dem Ausland ist ab 15 Monaten erlaubt.“ Es gäbe meist keine FCI-Papiere, den offiziellen Nachweis für die Herkunft. „Viele sind nicht vernünftig geimpft, bringen Infektionskrankheiten mit“, sagt Brenken. „Der Kauf ist billig. Danach aber geben die Halter oft viel Geld beim Tierarzt aus und können das Tier trotzdem nicht retten.“ Auch Cookie war erst acht Wochen alt, litt unter extremem Flüssigkeitsmangel und war nicht geimpft. „Er wird es wahrscheinlich noch schaffen“, sagt Kostner.
Suche nach den Tierhändlern startet im Internet
Tieraktivist Stefan Klippstein geht gegen die illegalen Händler vor. Undercover spürt der gelernte Tierpfleger ihnen seit Jahren nach. Per Telefon gibt er sich als Käufer aus, trifft sich mit den Verkäufern, und bevor der Kauf zustande kommt, nimmt er den Hund unbezahlt an sich und alarmiert die Polizei. Reinickendorf gehört laut Klippstein zu den Hotspots in Berlin. Der Verkauf findet meist auf offener Straße, meist im Märkischen Viertel, in Wittenau oder im Süden Reinickendorfs statt. Die Berliner Morgenpost darf bei einem seiner Streifzüge mitkommen: als Lockvogel.
Unsere Suche startet im Internet, in den Kleinanzeigen von Ebay. „Viel läuft inzwischen auch auf Facebook“, sagt Klippstein. In der Rubrik „Hunde & Zubehör“ stehen Dackel, Deutsche Doggen, Ridgebacks und Golden Retriever zur Auswahl. Allein für Chihuahuas sind in Berlin an diesem Tag 143 Ergebnisse gelistet. Der günstigste Welpe kostet 100 Euro und kommt aus Reinickendorf – 1651 Klicks bekam er laut Ebay. Der teuerste ist für 1400 Euro zu haben: Er kommt aus Charlottenburg. Die Wahl fällt auf eine Anzeige aus Pankow. Stückpreis: 260 Euro. Anzeigennummer 712627150. „Älter als acht Wochen“ soll der Welpe sein. Auf dem Foto schaut ein brauner Welpe mit braunen Kulleraugen in die Kamera. „Hallo meine Lieben drei von fünf Chihuahua Mischlings Welpen suchen noch ein neues zu Hause.“ Die Anzeige kommt Klippstein bekannt vor. Anderer Nutzername, ähnliche Rechtschreibfehler. „Er wird in Reinickendorf verkaufen“, ist er sich sicher.
Pro Woche trifft Klippstein wenigstens einmal auf einen illegalen Händler, meldet dann die Fälle der Polizei. Oft ist strittig, welcher Bezirk zuständig ist. Die Treffen finden meistens an der Bezirksgrenze statt, Treffpunkte verschieben sich. „Da vergehen Tage ungenutzt bei Behörden und Veterinärämtern“, sagt Klippstein. „Bis dahin hat der Händler schon längst den nächsten Hund verkauft.“ Manchmal erwischt die Polizei einen Verkäufer, erlässt eine Geldstrafe. Viele Verkäufer sieht Klippstein danach wieder. Wer hinter dem eigentlichen Handel steckt: ein undurchschaubares Netz.
Als sie den Hund im Arm hat, schreit sie um Hilfe
Wir machen über die Plattform Ebay einen Termin aus, ich stelle mich vor als Susanne. Ein Popup-Fenster warnt: „Hole deinen Hund immer persönlich beim Züchter oder Halter zu Hause ab.“ Unser Treffpunkt: der U-Bahnhof Franz-Neumann-Platz, wenige Hundert Meter von Wedding entfernt. „Verpiss dich, wir haben dich durchschaut“, heißt es plötzlich am Telefon. Der Unbekannte legt auf. „Wahrscheinlich hat jemand spioniert“, sagt Klippstein. Illegale Verkäufer im Bezirk kennen ihn gut. Ohne Lockvogel geht nichts. Zweiter Versuch: Diesmal spielt Silvi die Käuferin, eine Freundin Klippsteins. Neuer Termin: Franz-Neumann-Platz, 21 Uhr. Um viertel nach neun geht es schnell: Ein Mann in schwarzer Jacke läuft auf Silvi zu. Als sie den Hund im Arm hat, schreit sie um Hilfe. Der Händler flieht. Klippstein hinterher. In einer Schrebergartensiedlung entwischt der Unbekannte. Der Welpe kuschelt sich in Silvis Stoffjacke. Sein Bauch vibriert. „Kein Chihuahua, eher ein Retriever-Mischling“, schätzt Klippstein. Mit seinen Fingern schiebt er prüfend die Lefzen des Welpen nach oben. Zwei feine Zahnreihen werden sichtbar. „Vier Wochen alt, vielleicht fünf.“ Über die Stirn des Welpen krabbelt ein Floh, stecknadelkopfgroß. „Illegale Händler wechseln immer wieder ihre Verkäufer, ihre Standorte“, sagt Brenken.
In Verdachtsfällen gelten strenge Vorschriften: „Um einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, muss das zuständige Veterinäramt einen begründeten Verdacht haben, dass es den Tieren derart schlecht geht, dass sie kurz vor dem Verenden stehen“, sagt Bezirksstadtrat Sebastian Maack (AfD). Solche stichhaltigen Beweise lägen selten vor. „Konkrete Nachweise sind kaum möglich. Oft werden die Fälle aufgegeben“, sagt Brenken. Die Polizeistreife kommt eine Dreiviertelstunde später zum Tatort. Zwei Kommissare nehmen den Fall auf. Wie sah der Täter aus? Wo lief er hin? Am Ende des Gesprächs geben die Polizisten den Fall beim Landeskriminalamt durch. Der Vorwurf: Betrug. „Mehr können wir nicht tun“, so ein Beamter.
Der Welpe hat an diesem Abend noch keinen Namen. Dafür bekommt er eine 16-stellige Vorgangsnummer: 170906-2020-268904. Zum Schlafen kommt er in die 24-Stunden-Tierarztpraxis Rödiger am Kurt-Schumacher-Platz. Dort wird er durchgecheckt. Anschließend geht es ins Tierheim. Das Ordnungsamt Reinickendorf ist wenige Tage später nicht mehr zuständig. Der Fall wurde an Mitte abgegeben.
Für Klippstein ist für diesen Tag Schichtende. „Morgen verkauft der Mann wahrscheinlich die nächsten Hunde“, sagt er. Irgendwann will Klippstein den Unbekannten aber zum Aufgeben bewegen. Im Schnitt würden die Verkäufer ein bis zwei Jahre durchhalten. „Danach geht das Spiel von vorne los“, sagt Klippstein. Der Verkäufer wechselt, das Handelsnetzwerk bleibt. Juristisch gäbe es kaum eine Chance. „Die Verkäufe lassen sich nur stoppen, wenn die Leute nicht mehr kaufen.“