In der Hauptstadt werden beinah 200.000 neue Unterkünfte gebraucht. Die Knappheit führt zu steigenden Mieten.
Sie haben die Wahl – neue Serie, Teil 1: Wohnen in Berlin. In der Hauptstadt werden beinah 200.000 neue Unterkünfte gebraucht. Die Knappheit führt zu steigenden Mieten. Auch die energetische Gebäudesanierung wird häufig dazu missbraucht, die Kosten zu erhöhen. Was müssten die Parteien dagegen unternehmen?
Richtig mulmig wurde Peter Behrendt, als er auf der Internet-Plattform Immobilienscout24 auf dieses Inserat stieß: „1.072 € Kaltmiete, 2 Zi., 67 m² Fläche, Top sanierte 2-Zimmer-Wohnung mit EBK und Balkon! Düsseldorfer Str. 69, 10719 Berlin, Wilmersdorf.“ Auf dem Foto, das der Annonce beigefügt ist, ist das Haus abgebildet, in dem auch Behrendt Mieter ist. Bei der angebotenen Wohnung handelt es sich um die Mieteinheit zwei Stockwerke tiefer. Doch Behrendt zahlt für seine 67 Quadratmeter 430 Euro.
Dass der neue Eigentümer des Hauses einiges mit dem Gebäude vorhat, weiß Behrend seit März dieses Jahres. Damals, so erzählt es der Mieter, habe ihn ein Mitarbeiter der Stonehedge Beteiligungsgesellschaft mbH besucht und ihn darüber informiert, dass unter anderem eine Fassadendämmung, der Austausch der Fenster, eine Strangsanierung sowie der Anbau eines Aufzuges und die Anbringung neuer Balkone geplant seien.
„Insgesamt sollte meine Miete dadurch um 300 bis 400 Euro steigen“, berichtet der ältere Herr, der weder sein Alter noch seinen Beruf in der Zeitung lesen will. „Das tut hier nichts zur Sache, es geht ja um ein Problem, das alle Mieter betrifft“, begründet er. Nur soviel will er über seine persönlichen Lebensumstände verraten: „400 Euro mehr Miete kann ich nicht zahlen, dann müsste ich ausziehen.“ Im April erreichte Behrendt dann die Modernisierungsankündigung, wonach mit dem Fensteraustausch ab dem 17. Juli begonnen werden sollte. „Bis jetzt ist aber noch nichts passiert“, sagt Behrendt und hofft, dass der Eigentümer seine Pläne geändert hat.
"Eine Verdopplung der Miete ist nicht mehr selten“
Die Stonehedge Beteiligungsgesellschaft teilt auf Anfrage der Berliner Morgenpost mit, dass die Sanierung des Hauses vorerst gestoppt sei, weil das Landesdenkmalamt die Unterschutzstellung des Gebäudes prüfe. Im Übrigen widerspreche man der Darstellung des Mieters zur erwarteten Miethöhe. „Aussagen darüber, dass die Miete des von Ihnen benannten Mieters um 100 Prozent steigen würde, sind schlichtweg falsch“, teilt das Unternehmen mit. Zudem sei keine Luxussanierung geplant, sondern eine energetische Sanierung, „die sich rein an den gesetzlichen Vorgaben orientiert“, heißt es in dem Schreiben. Und weiter: Die Miethöhe in der eingangs zitierten Annonce „entsprechen uneingeschränkt den Mietrechtsregelungen“.
Fälle wie der von Peter Behrendt, so der Berliner Mieterverein (BMV), seien leider keine Ausnahme. Gerade hat der BMV eine Studie erstellt, wie sich Modernisierungen auf dem Berliner Mietenmarkt auswirken. Für das Gutachten wurden knapp 200 Modernisierungsfälle aus den vergangenen fünf Jahren analysiert. Das Ergebnis: „Im Durchschnitt wird den Mietern eine Mieterhöhung um 42 Prozent in Aussicht gestellt, auch eine Verdopplung der Miete ist nicht mehr selten“, schreiben die Verfasser. Besonders mietsteigernd wirken demnach die energetischen Maßnahmen.
Berlin braucht 194.000 neue Wohnungen
Doch gerade diese sind im Sinne des Klimaschutzes politisch gewollt. Die Umlage der Kosten verursachen jedoch enorme Mieterhöhungen, während die Einsparungen bei den Betriebs- und Heizkosten oft minimal sind. Darauf verweist auch der Verband Berlin Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). „Die Vorschriften zur energetischen Sanierung sowie andere kostentreibende Bauvorschriften wie etwa der Schallschutz müssen dringend auf den Prüfstand“, fordert deshalb BBU-Chefin Maren Kern von der nächsten Bundesregierung. Allein die Verschärfungen der vergangenen zwei Energieeinsparverordnungen hätten beim Neubau zu einer Kostensteigerung von 50 Cent pro Quadratmeter geführt. Schallschutz, Brandschutz und Baunebenkosten schlagen mit zusammen 1,50 Euro zu Buche.
Explodierende Mieten im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen sind jedoch nur eines von vielen Problemen, die der Berliner Wohnungsmarkt bereithält. Schließlich steigen die Mieten vor allem deshalb so stark, weil Wohnraum knapp geworden ist, seit Berlin einen deutlichen Zuzug von Einwohnern verzeichnet. Denn das Hauptproblem am Wohnungsmarkt ist nicht gelöst: Der Neubau von Wohnungen hält mit dem starken Bevölkerungszuwachs bereits seit Jahren nicht Schritt, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer.
Und Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) kann wenig Hoffnung machen, dass sich daran so schnell etwas ändern wird. Nach dem überarbeiteten „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“, den die Senatorin jüngst vorgelegt hat, müssen bis 2030 insgesamt 194.000 neue Wohnungen entstehen. In den vergangenen Jahren seien gemessen am Bevölkerungszuwachs 77.000 Wohnungen zu wenig gebaut worden, teilte sie mit. Um diesen Nachholbedarf zu decken und das weitere Wachstum zu verkraften, müssten in den kommenden fünf Jahren 100.000 Wohnungen entstehen, also 20.000 pro Jahr, 6000 mehr, als bislang berechnet.
Steigende Baukosten und immer längere Bauplanungsverfahren
Doch davon ist Berlin weit entfernt, denn Bauen ist teuer und das Bauland wird selbst in Berlin, der Hauptstadt der Brachen, zunehmend knapp und vor allem immer teurer. Gleich mehrere Parteien setzen sich deshalb dafür ein, dass der Bund den Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt seinen Grundstücksbesitz immer dann zu günstigen Konditionen überlassen soll, wenn diese dort Mietwohnungsbau mit einem hohen Anteil an Sozialwohnungen planen.
„Die Hauptherausforderungen für bezahlbaren Neubau sind neben den unwirtschaftlich hohen Baustandards deshalb die zunehmende Knappheit von Bauland“, sagt Maren Kern. Die Folgen seien immer weiter steigende Baukosten sowie immer längere Bauplanungsverfahren. „Deshalb brauchen wir für alle Vorgaben von Bundes- und Landesebene eine verpflichtende Folgenabschätzung für das Wohnen“, fordert Verbandschefin Kern. So würde schließlich transparent, welche Regelungen den Wohnungsbau weiter verteuern oder auch erschweren.
Mietervereinschef Reiner Wild reicht das nicht. „Die Lasten für die energetische Gebäudesanierung werden einseitig den Mietern aufgebürdet“, kritisiert er. Die Absenkung der Modernisierungsumlage oder sogar ihre Abschaffung fordert Wild daher vom nächsten Bundestag. Zudem müsse die Regelung, wonach die Miete in drei Jahren um 15 Prozent steigen dürfe, zumindest in Ballungszentren deutlich abgesenkt werden – „auf höchstens sechs Prozent“, schlägt er vor.
Das sagen die Parteien zur Wohnungsknappheit:
CDU: Für die CDU ist das in der vergangenen Legislaturperiode eingeführte Instrument der Mietpreisbremse kein Thema mehr. Die aktuelle Gesetzeslage beinhaltet eine Befristung auf fünf Jahre. In Berlin wäre am 31. Mai 2020 Schluss. Stattdessen setzt die Union auf den Wohnungsneubau und will prüfen, inwieweit überflüssige Vorschriften abgeschafft und der Neubau preiswerter werden kann. Zudem soll der Neubau von Mietwohnungen steuerlich gefördert werden. Junge Familien will die CDU den Erwerb von Eigentum erleichtern. Dazu soll ein Baukindergeld in Höhe von 1200 Euro pro Kind und Jahr eingeführt werden.
SPD: Die SPD verspricht, die Schwächen der Mietpreisbremse zu beheben. So soll eine Auskunftspflicht der Vermieter über die Vormiete eingeführt werden. Hat er zu viel verlangt, sollen die Mieter die zu viel gezahlte Miete zurückverlangen können. Die Modernisierungsumlage will die SPD von derzeit elf Prozent auf acht Prozent absenken. Das Kündigungsrecht des Vermieters wegen Eigenbedarfs soll konkretisiert werden, die Höhe des Wohngeldes regelmäßig angepasst werden. Die SPD will den Erwerb von Eigentum für Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen durch ein Baugeld erleichtern.
Linke: Die Mietpreisbremse soll nach dem Wahlprogramm der Linken bundesweit, unbefristet und ohne Ausnahmen gelten. Für die Missachtung sollen Vermieter bestraft werden. Die Linke will Sozialwohnungen bauen und kaufen – bundesweit mindestens 250.000 im Jahr, vor allem durch gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbau. Das Vorhaben soll mit über fünf Milliarden Euro unterstützt werden. Zudem sollen geförderte Wohnungen nicht mehr aus der Sozialbindung entlassen werden. Die Linke will Mieterhöhungen ohne Verbesserung des Wohnwertes verbieten. Die Modernisierungsumlage soll abgeschafft werden.
Grüne: Die Grünen wollen eine Million Wohnungen mit dauerhafter Sozialbindung bauen lassen. Dies soll flächensparend geschehen. Zur Finanzierung des Wohnungsbaus soll die kommunale Wirtschaftssteuer verlässlicher und die Grundsteuer gerechter werden. Wie, bleibt offen. Spekulationen sollen uneingeschränkt besteuert werden, Bundesliegenschaften vergünstigt an Kommunen abgegeben werden. Die Mietpreisbremse soll ohne Ausnahme gelten, die Modernisierungsumlage gekappt und gesenkt werden. Mietsteigerungen in bestehenden Verträgen und Milieuschutzgebieten wsollen ebenfalls begrenzt werden.
AfD: Die AfD will die Mietpreisbremse abschaffen und den Wohnungsbestand ausweiten. Dies soll durch die Ausweisung neuer und die Optimierung bestehender Baugebiete, die Beschleunigung der Baurechtschaffung und eine Kostenverringerung durch die Beseitigung unnötiger Vorschriften geschehen. Wie genau, bleibt offen. Zur Eigentumsförderung sollen öffentliche Grundstücke zur Verfügung gestellt und genossenschaftliches Wohnen gefördert werden. Mieter mit geringem Einkommen sollen weiter Wohngeld erhalten. Zudem will die AfD die Grund- und Grunderwerbsteuer absenken.
FDP: Die FDP will die Mietpreisbremse abschaffen und setzt auf neue Anreize für den Wohnungsneubau. So soll eine Erhöhung der jährlichen Abschreibung für Gebäude von zwei auf drei Prozent eingeführt werden. Bei der Grunderwerbsteuer soll ein Freibetrag von bis zu 500.000 Euro eingeführt werden, um den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern. Die FDP will eine Zweckbindung der Bundesmittel zur Wohnungsbauförderung. Das Wohngeld soll der Mietenentwicklung jährlich angepasst werden. Die Berechtigung für eine Sozialwohnung (WBS) erhält nur noch, wer trotz Wohngeld keine Wohnung findet.