Berlin. Als einzige Airline wollte Air Berlin am BER ein Drehkreuz installieren. Experten sind uneins, welche Folgen die Pleite haben könnte.
Es war Mitte Oktober 2015 – bis zur Eröffnung des BER sollte es nach damaligem Stand nur noch zwei Jahre dauern –, als der damalige Geschäftsführer Karsten Mühlenfeld bei einem Rundgang über die Baustelle des Hauptstadtflughafens Folgendes zu Protokoll gab: „Air Berlin ist immer noch unser größter Kunde. Wir wünschen uns alle, dass sie uns lang erhalten bleibt und nichts einschränkt.“
Um die damals schon stark strauchelnde Air Berlin hatte es zu diesem Zeitpunkt Spekulationen gegeben, ob sie ihr Engagement in Berlin zugunsten von Düsseldorf einschränken würde. Und so kam es dann auch. Aktuell ist Düsseldorf für die am Dienstag in die Insolvenz gerutschte Airline das Tor zur Welt. Weil der BER einfach nicht eröffnete und Tegel zum Drehkreuz nicht taugte.
Der BER und Air Berlin: Das begann einmal als große Liebe. Kurz vor der geplanten Eröffnung im Juli 2012 schickte die Fluggesellschaft einen Airbus 330 in die Luft, auf den neben den drei Buchstaben BER der Hinweis „Europe’s most modern Airport“ gedruckt war. Europas modernster Flughafen – da wusste zumindest Air Berlin vom Brandschutz-Drama noch nichts. Stattdessen erklärte der damalige Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn, wie sehr man sich auf den neuen Flughafen freue, dass man dort seinen Heimatsitz haben werde, wachsen und gedeihen wolle.
20 Millionen Euro Kosten für Air Berlin jährlich wegen BER
Heute sagen sie bei Air Berlin, dass das BER-Desaster seinen Teil zur Insolvenz beigetragen habe. 20 Millionen Euro soll die Nichteröffnung wegen der mangelnden Expansionsmöglichkeiten jährlich gekostet haben. Das entspräche immerhin fast zehn Prozent der 1,5 Milliarden Euro, die Air Berlin beziehungsweise Investor Etihad drücken. Doch die andere Frage, die derzeit im Raum schwebt, ist, was die Pleite umgekehrt eigentlich für den BER bedeutet.
Sollte der Airport jemals in Betrieb gehen, wird ihm der wichtigste Nutzer fehlen. Als einzige Airline wollte Air Berlin am BER ein Drehkreuz installieren, anders als etwa die Lufthansa. Das gesamte Südpier wurde für Air Berlin gebaut, über neun Fluggastbrücken sollten die Passagiere in die Maschinen steigen, im Wartebereich war für sie eine Lounge mit 200 Plätzen vorgesehen. Im Transferbereich sollten die Umsteigepassagiere fleißig konsumieren, denn wie bei allen modernen Flughäfen galt auch beim BER die Rechnung, dass mindestens die Hälfte der Einnahmen über Gastronomie, Einzelhandel und Parken generiert werden soll. Mit 150 Verkaufsflächen auf 20.000 Quadratmetern wurde der Flughafen doppelt so gut ausgestattet wie Tegel und Schönefeld zusammen.
Ist dieses Konzept nun obsolet, falls die Umsteiger von Air Berlin wegfallen? Ein Insider, der ungenannt bleiben möchte, vermutet, dass die Flughafengesellschaft deshalb niemals die Baukosten wieder einfahren wird.
Fragt man woanders nach, klingt es eher so, als würde die Air-Berlin-Pleite den BER nicht treffen. „Die Insolvenz von Air Berlin bedeutet für den Flughafen eigentlich nichts“, sagt Mehdorn. In der Branche gelte das „Gesetz der Wölfe“ – es würden eben andere Airlines den Platz von Air Berlin einnehmen. Und selbst wenn das Billigairlines wie Ryanair seien, die fast nur Direktflüge anbieten, sei das kein Problem. „Auch die Low-Cost-Carrier werden Umsteigeverbindungen anbieten, wenn sie feststellen, dass auf der Langstrecke Geld zu verdienen ist.“ Easyjet bewege sich jetzt schon in diese Richtung. Außerdem würde die Zahl der Passagiere bereits in zehn bis zwölf Jahren von heute 33 Millionen auf 50 Millionen angestiegen sein – nicht erst nach 2030, wie vom Senat berechnet. „Schon deshalb sollte die Finanzierung für den BER kein Problem sein“, ist Mehdorn überzeugt.
„Die Pleite von Air Berlin wird, wenn überhaupt, nur eine vorübergehende Delle für den Flughafen bedeuten“, glaubt auch der ehemalige BER-Planer Dieter Faulenbach da Costa. Spannend sei natürlich die Frage, wer die Slots – die Zeitfenster für Starts und Landungen – von Air Berlin am Südpier übernimmt. Denn sollten hier die Billigflieger Einzug halten, könnte sich das tatsächlich auf den Umsatz des Flughafens auswirken. Was allerdings nicht dramatisch sei, da der Umsteigeverkehr von Air Berlin immer als viel zu hoch eingeschätzt worden sei.
Man müsse auch die Chancen sehen, die Direktflieger mit sich brächten, sagt indes der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. So würden Umsteiger weniger das Parkhaus nutzen. Auf Kurzstrecken-Direktflügen würden sich die Passagiere zudem eher am Flughafen mit Essen und Trinken versorgen. Anders auf der Langstrecke, da man dort in der Regel von der Airline versorgt wird. „Auch könnte das Passagierwachstum am BER noch schneller steigen, wenn mehr Billigairlines kommen“, sagt Schellenberg.
Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt hat bereits eine Theorie, was mit den Air-Berlin-Slots passieren wird. „Ich denke, dass der größte Happen bei der Lufthansa landen wird“, sagte Großbongardt „Spiegel Online“. Überhaupt sei die Kranich-Gesellschaft der größte Gewinner der Pleite. „Nicht so sehr, weil sie einen Konkurrenten loswird, sondern weil diese Insolvenz ihre Low-Cost-Tochter Eurowings stark machen könnte.“ Wenn die Eurowings weitere Maschinen – in den vergangenen Monaten waren es 40 – von Air Berlin übernehme, könne sie sehr viel schneller wachsen, als es durch eigenes organisches Wachstum möglich wäre.
Ryanair bei Übernahme der große Verlierer
In Fall einer Übernahme durch die Lufthansa sei Ryanair der große Verlierer. „Sie sind künftig Nummer zwei in Deutschland, aber weit hinter der Lufthansa-Gruppe. Und es wird schwer für sie, ihren Marktanteil wie geplant auszubauen. Ein fußkranker Wettbewerber wie Air Berlin ist leichter zu verdrängen als eine wachsende Eurowings“, so Großbongardt.
Unterdessen steigen offenbar die Ticketpreise bei anderen Airlines. Wie ein Mitarbeiter einer großen deutschen Fluggesellschaft „Welt Online“ verriet, würden viele gezielt die Preise anheben, da weniger bei Air Berlin gebucht werde und dadurch die Nachfrage bei den verbliebenen Wettbewerbern steige.
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