Berlin

70 Berliner Casinos müssen wegen Spielhallengesetz schließen

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Ulrike von Leszczynski und Philipp Siebert
Spielhallen in der Stromstraße zwischen Birken- und Turmstraße

Spielhallen in der Stromstraße zwischen Birken- und Turmstraße

Foto: Reto Klar

Viele Betreiber wehren sich vor Gericht gegen die Schließung, Anwohner in Moabit unterstützen Kurs des Senats.

Niemand geht rein. Niemand kommt raus. Das Vulkan Stern Casino in der Moabiter Stromstraße 25 wirkt abgeschottet von der Außenwelt. Ein Schild zeugt davon, dass es von vormittags an bis spät in die Nacht geöffnet hat. Drinnen offenbart sich eine andere Welt. Es ist dunkel, der Duft nach kaltem Zigarettenrauch liegt in der Luft und abgesehen von den Geräuschen, die die Spielautomaten hin und wieder von sich geben, herrscht Stille. Rund 50 Stück verteilen sich in drei großen Räumen. Lediglich zwei sind am frühen Sonnabendnachmittag besetzt. Solche Orte soll es nach dem Willen der Berliner Politik viel seltener geben.

„Das ist doch alles Geldwäsche“, spekuliert Hans-Joachim Müller, der in einer Kneipe unweit des Casinos ein Bier trinkt. Auch dort stehen drei Spielautomaten, die er aber nie angerührt habe. „Ich musste für mein Geld hart arbeiten – da versenke ich es doch nicht in so einem Ding.“ Er fände es schlimm, dass es so viele Spielcasinos auf der Stromstraße gibt. Fünf Stück sind es im Abstand von knapp 300 Metern jeweils in Sichtweite zueinander. Das widerspricht eigentlich dem Berliner Spielhallengesetz, das einen Abstand von mindestens 500 Metern zwischen zwei Casinos vorschreibt. Drei der vier Casinos müssten demnach schließen. Aber der Kampf gegen die Casinos dauert länger als gedacht.

Mit dem Gesetz reagierte die Hauptstadt vor sechs Jahren auf den Trend, dass in vielen leerstehenden Ladenlokalen sozial schwacher Kieze wie Teile Moabits immer mehr Automaten-Casinos eröffneten. Das Gesetz gilt als strengstes seiner Art in Deutschland. Neben dem Abstandsgebot von einem halben Kilometer gilt außerdem einen Abstand von 200 Metern zu Schulen einzuhalten. Gemessen wird vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg.

70 Anträge für neue Casinos wurden abgewiesen

Auf dieser Grundlage haben die Bezirke bereits 70 Spielhallen die Erlaubnis untersagt, weil sie zu nah an Oberschulen liegen. Allerdings hätten fast alle Spielhallenbetreiber gegen die Schließung Widerspruch eingelegt, sagt Matthias Borowski, Sprecher der Senatsverwaltung für Wirtschaft. „Vom Ausgang dieser Rechtsmittelverfahren ist abhängig, wann einzelne Spielhallen schließen müssen.“

Schätzungsweise 500.000 Euro versenken Spieler in der Hauptstadt jeden Tag in Spielautomaten. Darunter sind auch Spielsüchtige, die sich ruinieren. „Das geht durch alle Schichten“, sagt Alex aus dem Moabiter Stephankiez mit Blick auf die Spielhalle in der Rathenowstraße 30. Er weiß von einem Schulfreund zu berichten, der kurz nach dem Abitur dem Glücksspiel verfiel. „Die Automaten stehen ja auch in fast jedem Dönerladen und blinken einladend.“ Allerdings verlöre man dann schnell den Überblick. Als Pro­blem empfinden er und seine Freundin Julia die Spielhallen in Moabit jedoch nicht, in Neukölln oder Wedding sei es schlimmer.

Aus Sicht des SPD-Abgeordneten Daniel Buchholz, der das Gesetz mit auf den Weg brachte, konnte die Flut neuer Spielhallen bereits erfolgreich gestoppt werden. Im Bezirk Spandau sei die Zahl der Spielhallen von 55 auf 39 zurückgegangen. Nach Angaben des Senats gab es 2016 479 Spielhallen in Berlin, 56 weniger als im Jahr davor.

Betreiber hatten bis zum vergangenen Sommer Zeit, die strengeren Regularien zu erfüllen

Ursprünglich sollten die Verbote zahlreicher Spielhallen Ende 2016 abgeschlossen werden. Die Betreiber hatten bis zum vergangenen Sommer Zeit, die strengeren Regularien zu erfüllen. Um sich gegen Klagen zu wappnen, prüften die Bezirke die Auflagen des Gesetzes besonders gründlich – das dauerte länger als geplant.

Betreiber werden dabei auch auf Gewerbeschein, Vorstrafen, Steuerverstöße und Sozialversicherungsabgaben geprüft. Einige wehrten sich allerdings trickreich gegen die Auflagen und wechselten ihre Geschäftsführer. Bußgeldbescheide, zum Beispiel wegen Verstößen gegen den Jugendschutz oder Nichtraucher-Auflagen sind dann für die Behörden nicht mehr sichtbar. Denn sie werden nach Personen regis­triert, nicht nach Unternehmen. Bei Kontrollen in Spielhallen und Wettbüros stießen Polizisten, Steuerfahnder und Bezirksmitarbeiter in dieser Woche auch auf zahlreiche Fälle illegalen Glücksspiels. Die Beamten stellten 24 Straftaten und 69 Ordnungswidrigkeiten fest. Ein Café-Casino in Neukölln wurde geschlossen, sieben Spielautomaten und insgesamt 8500 Euro wurden beschlagnahmt sowie neun weitere Geräte versiegelt.

Viele Automaten hängen in Kneipen und Imbissen

Kritiker des Berliner Gesetzes warnen, dass das Vorgehen gegen die Casinos das Problem in Kneipen und Imbisse verlagert. Tatsächlich hängen in vielen Gastronomiebetrieben auch in Moabit Glücksspielautomaten. Glücksspielgegner Hans-Joachim Müller gibt aber zu bedenken, dass viele Kneipen von diesen Geräten abhängig seien. „Am Bier verdienen die nichts und holen mit den Automaten wenigstens Miete und Strom wieder rein.“ Gleiches gelte auch für viele Döner- und neu eröffnete Burgerläden in der benachbarten Turmstraße. „Ich sehe ja auch manchmal, dass jemand vier Euro reinsteckt und mit 160 wieder rausgeht“, sagt die Kellnerin der Eckkneipe, in der Müller sein Bier trinkt. Sie selbst habe zwar einen spielsüchtige Exfreund gehabt. „Wenn aber jemand meint, da sein ganzes Geld reinwerfen zu müssen, denk ich mir: selber Schuld.“

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