Im Friedenauer Akkordeon Centrum können Kunden mehr als 150 der Handzuginstrumente ausprobieren.
Überwältigend und berlinweit einzigartig ist das Angebot an Instrumenten im „Akkordeon Centrum Brusch“. Bis unter die hohen Altbaudecken stehen die funkelnden Tasten- und Knopfakkordeons in den Regalen. Dunkelrot oder rabenschwarz schimmern die Umrahmungen links und rechts des Blasebalgs, perlmuttfarben die Bassknöpfe links und schwarz-weiß die Melodietasten rechts.
Beim Besuch erfüllen fremde Töne isländischer Volkslieder den hellen Verkaufsraum. Eine Kundin aus Reykjavik spielt mit geschlossenen Augen, versunken dem Klang eines Mahagoni-Akkordeons der Marke Schober lauschend. „Fantastic“, beurteilt die 50-Jährige den Klang, „a warm sound“, meint Geschäftsführer Sergej Makarenko. Dann erklärt sie, sie habe schon in Paris und London Akkordeongeschäfte besucht, aber keines besitze eine so große Auswahl.
"Normalerweise kostet das Instrument über 11.000 Euro“
Die nächsten eineinhalb Stunden probiert sie drei weitere Akkordeons aus, spielt isländische Walzer, Weisen, lässt die Tragegurte der rund zehn Kilogramm schweren Instrumente von Makarenko justieren, genießt zwei Tassen Kaffee und erzählt von ihrer Liebe zum Akkordeonspiel. Ihr Mann hat ihr eines zum 40. Geburtstag geschenkt. Seither ist sie dem Klang der Handzuginstrumente verfallen.
Was das Mahagoni-Akkordeon kostet? 8500 Euro. Die klein gewachsene Frau bleibt unbeeindruckt. „Ein Sonderpreis, normalerweise kostet das Instrument über 11.000 Euro“, erklärt Makarenko auf Englisch mit slawischem Akzent. Der 38-Jährige stammt aus Dnepropetrowsk in der Ukraine. Bereits als Sechsjähriger lernte er, Akkordeon zu spielen. „Das Schwierigste ist, dass man die Bassknöpfe auf der linken Instrumentenseite nicht sehen kann. Erst wenn man die blind greift, macht das Akkordeonspielen wirklich Spaß“, erklärt Makarenko.
Castelfidardo ist ein Paradies für Akkordeonspieler
Er hat auf einem sogenannten Knopfakkordeon gelernt, der Urform dieser Luftblasinstrumente. „Die Melodietasten für die rechte Hand kamen erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf.“ Der Akkordeonspezialist besuchte als Jugendlicher die Musikschule und absolvierte später eine Pädagogik-Ausbildung an der Musikhochschule in Kiew.
Als er 2002 nach Deutschland übersiedelte, folgte noch ein Musikaufbaustudium an der Musikakademie in Kassel. Dort lernte er seine Frau Lena kennen. Sie stammt aus Sibirien und zog mit ihm nach Hamburg, wo er in der dortigen Filiale des „Akkordeon Centrum Brusch“ als Lehrer begann. Nach einem halben Jahr wurde er stellvertretender Filialleiter. Als der Besitzer ihn vor zehn Jahren fragte, ob er die Filiale in Berlin eröffnen möchte, zögerte Makarenko nicht lange.
Mittlerweile hat die Kundin aus Island ein schwarzes Akkordeon der Marke Brandoni an den Schultern und intoniert ein herzzerreißend trauriges Lied. „I am not a professional“, sagt sie. Makarenko entgegnet, das interessiere ihn nicht. Aber sie spiele mit Herz, und darauf käme es schließlich an. Das Klangbild des Brandoni-Akkordeons erscheint beiden etwas zu basslastig für die Spielweise der Kundin. Gefertigt wird das Instrument in Castelfidardo. In der Stadt an der Adriaküste stellen mehr als 50 Firmen Akkordeons her. „Ein Paradies für Akkordeonspieler“, sagt Makarenko, der den Ort schon besuchte.
Bei den Neuinstrumenten geht es bei rund 1000 Euro los
Genauso wie das baden-württembergische Trossingen, in dem die Traditionsfirma Hohner ihren Sitz hat. Seit rund 120 Jahren produziert Hohner Akkordeons. Die erste deutsche Fabrik des vermutlich in Wien erstmals gebauten Instruments soll um 1855 in Magdeburg entstanden sein, fünf Jahre später gab es bereits zwei Manufakturen in Berlin, eine wurde 1910 an Hohner verkauft, die andere aufgelöst.
Hohner und Weltmeister aus dem sächsischen Klingenthal sind die deutschen Fabrikate, die Makarenko im Verkauf hat. Bei den Neuinstrumenten geht es preislich bei rund 1000 Euro los, etwa für das Einstiegsmodell Bravo von Hohner. Der Vorgänger, Modell Student 40, wird in der rund 70 Instrumente umfassenden Gebrauchtabteilung für 600 Euro angeboten. „Gestimmt und überholt“, sagt Makarenko.
Ein Akkordeon kauft mannicht beim ersten Besuch
Im Zimmer nebenan arbeitet Ehefrau Lena Heldt an einer Generalüberholung einer italienischen Scandalli. Dafür wird das Instrument komplett auseinandergenommen. Rund 1000 Euro kostet die Arbeit, dafür erhalten die Kunden laut Sergej Makarenko ein „fast neuwertiges, gestimmtes Instrument mit Garantie zurück“. Die Dame aus Island bearbeitet mittlerweile das dritte Instrument, eine Beltuna, ebenfalls aus Castelfidardo. 96 Basstasten besitzt sie,
Instrumente mit mehr als 120 werden nicht produziert. Ihr Favorit ist das Mahagoni-Instrument der Eigenmarke Schober. Sie kauft noch ein Notenheft mit Klezmer-Liedern und geht mit der Bemerkung, sie müsse sich den Kauf noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ob sie wiederkommt, weiß Makarenko nicht. Ein Akkordeon kauft man nicht beim ersten Besuch.
Akkordeon Centrum Brusch, Holsteinische Straße 19, Friedenau, Tel. 85 07 8509, Mo.–Fr., 10–18.30 Uhr, Sbd. 10–14 Uhr, www.akkordeoncentrum.de.