Ein neues Expertengremium soll jetzt Auswege für 173.000 Betroffene erarbeiten. Berlin ist bundesweites Schlusslicht.

Ein Expertengremium aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wohlfahrtsverbänden soll eine Strategie gegen Kinderarmut in Berlin erarbeiten. Am Donnerstag nahm die neue Landeskommission zur Prävention von Kinder- und Familienarmut ihre Arbeit auf. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte zum Start: „Wir wollen an funktionierende Konzepte anknüpfen und alle Maßnahmen zusammenführen, die Armut reduzieren.“

Bis Mitte der Legislaturperiode soll das Gremium einen ersten Zwischenbericht vorlegen. Der Landeskommission gehören Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der Senatsverwaltungen sowie Vertretungen der Bezirke an. Auch Organisationen wie die Liga der Freien Wohlfahrtspflege oder die Sportjugend sind darin vertreten. Bei der Senatsverwaltung für Jugend wurde eine eigene Geschäftstelle eingerichtet. Vorsitzende der Kommission ist Sigrid Klebba (SPD), Berliner Staatssekretärin für Jugend und Familie.

Scheeres verwies darauf, dass in Berlin besonders viele Familien leben, die arm oder armutsgefährdet seien. Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen wächst demnach in einer Hartz-IV-Familie auf – das sind 173.000 Betroffene. Dazu kommen noch mehr als 81.000 Kinder aus sogenannten Aufstocker-Familien.

Besonders groß sei das Armutsrisiko bei alleinerziehenden Eltern, bei Familien mit drei und mehr Kindern sowie bei Familien mit ausländischen Wurzeln, betonte Bildungssenatorin Scheeres. Von den etwa 340.200 Familien mit Kindern unter 18 Jahren in Berlin sind rund 109.100 alleinerziehende Eltern. Diese Tendenz steigt seit Jahren.

Nirgendwo in Deutschland wohnen anteilig gesehen mehr arme Kinder und Jugendliche als in der Hauptstadt. Verglichen mit dem Bundesdurchschnitt sowie allen anderen Bundesländern nimmt Berlin eine Spitzenposition ein, wenn es um den Anteil der Kinder geht, die SGB-II-Leistungen erhalten. Die meisten von ihnen leben in den Bezirken Neukölln und in Mitte, gefolgt von Spandau und Marzahn-Hellersdorf. In Neukölln und in Mitte wächst fast jedes zweite Kind in der Altersgruppe bis acht Jahre in einer Hartz-IV-Familie auf.

Berliner Familienbeirat: Thema wird wichtiger

Der Vorsitzende des Beirates für Familienfragen, Karlheinz Nolte, begrüßt die Einsetzung der Kommission. „Bislang haben wir uns um das Thema gekümmert, jetzt bekommt es noch mehr Gewicht“, sagte Nolte der Berliner Morgenpost. Erfolg versprechend sei auch, dass damit die Prävention von Kinder- und Familienarmut nun auch innerhalb des Senates ressortübergreifend gebündelt werde. Der Berliner Beirat für Familienfragen berät den Senat in Fragen der Familienpolitik und ist auch in der Kommission vertreten.

Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) hatte jüngst darauf hingewiesen, dass die meisten Stellschrauben, um das Problem zu lindern, in der Bundespolitik lägen. „Da hoffen wir auf die Bundestagswahl“, sagte Breitenbach. Die rot-rot-grüne Koalition wolle aber auch selbst aktiv sein – dazu gehört auch die Bildung der neuen Landeskommission.