„Die Wohnanlage mit Mehrwert“, so bewirbt die Campus Viva Service GmbH im Internet einen ihrer Appartmentblöcke für Studierende. Fraglich ist, wer den Mehrwert hat: Mindestens 470 Euro Kaltmiete kostet eines der 20 Quadratmeter kleinen und möblierten Appartements – in den oberen Etagen des Wohnblocks liegt die zu zahlende Miete sogar deutlich darüber.
Lukas Fritsch wohnt im „Campus Viva I“ am Gesundbrunnen. Er kommt aus Aachen und absolviert seit vergangenen Oktober ein duales Studium bei der Berliner Polizei. „Ich war wochenlang verzweifelt auf Wohnungssuche, weshalb ich mich letztlich bei Campus Viva eingemietet habe“, erzählt der 20-jährige. 575 Euro Warmmiete bezahlt er für sein kleines Ein-Zimmer-Apartment.
Fritsch zahlt, rechnet man die Miete herunter, 30 Euro pro Quadratmeter Wohnraum. Zusätzlich ist eine Staffelung der Miete festgeschrieben: In den kommenden fünf Jahren erhöht sich die Miete jährlich um zehn Euro. „Die Wohnungen des Studierendenwerks sind völlig überfüllt“, begründet Fritsch seine Entscheidung für das teure Apartment. „Da hat man keine Chance reinzukommen“, sagt Fritsch.
2600 Studierende warten auf einen Wohnheimplatz
Das bestätigt auch das Berliner Studierendenwerk: Etwa 2600 Studierende warten derzeit auf einen der günstigen Wohnheimplätze. Etwa 220 Euro kostet solch ein Platz im Schnitt. In Innenstadtlage oder in der Nähe der Hochschulen allerdings beträgt die Wartezeit für Interessenten mittlerweile zwei bis drei Semester. Grund dafür sind vor allem die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Studierendenzahlen: etwa 180.000 Menschen sind aktuell an den Berliner Hochschulen eingeschrieben – 20.000 mehr als noch vor fünf Jahren.
Durch die Überlastung des Studierendenwerks und die allgemeine Knappheit an Wohnraum steigen die Mieten gerade für Studentenwohnungen stark: In Berlin kostet eine Studentenunterkunft laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft mittlerweile knapp zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter und ist damit im Vergleich zu 2010 um mehr als 50 Prozent teurer. Das Institut untersuchte Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen, die für Studenten grundsätzlich infrage kommen und nicht weiter als fünf Kilometer von einer Hochschule entfernt sind.
Damit liegt die Miete dieser Wohnungen deutlich über der durchschnittlichen Berliner Kaltmiete von 6,39 Euro je Quadratmeter. Gerade Studierende, die nicht wie Lukas Fritsch bereits in einem dualen Studiengang Geld verdienen oder das Glück haben, spendable Eltern zu besitzen, geraten in Schwierigkeiten.

Die Absicht wurde oft verkündet - passiert ist kaum etwas
In der Berliner Landespolitik ist seit Jahren bekannt, dass günstiger Wohnraum geschaffen werden muss. Bereits im Jahr 2013 hatte Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) angekündigt, dass berlinweit 5000 Wohnungen für Studierende entstehen sollen. Zwei Jahre später dann, im Juli 2015, verkündete Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) die Absicht, diese Wohnungen durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen bis zum Jahr 2020 bauen zu lassen. Angedacht seien 5600 Wohnplätze, 5000 Wohnungen seien aber versprochen, so der SPD-Politiker damals.
In den Koalitionsverhandlungen im vergangenen September schrieb Rot-Rot-Grün außerdem die Selbstverpflichtung in den Koalitionsvertrag, „kurzfristig erheblich mehr Wohnraum für Studierende zu schaffen“. Allein: Passiert ist bisher wenig. Bis Ende dieses Jahres, vier Jahre nach Wowereits Absichtserklärung, werden gerade mal 129 der geplanten 5000 studentischen Wohnungen bezugsfertig sein.
Drei verschiedene Senatsverwaltungen sind mehr oder weniger intensiv mit dem Ausbau des Wohnraums befasst. So ist das Thema fachlich beim Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) in der Senatskanzlei angesiedelt. Müllers Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach soll den Ausbau der studentischen Wohnungen koordinieren. Für die Umsetzung sind allerdings zwei andere Senatsverwaltungen zuständig: Auf der einen Seite die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von Senatorin Katrin Lompscher (Die Linke), die für Berlins landeseigene Wohnungsunternehmen zuständig ist.
Diese sollen etwa die Hälfte der 5000 Wohnungen bauen. Auf der anderen Seite die Senatsverwaltung für Finanzen und Senator Kollatz-Ahnen, der die landeseigene Immobiliengesellschaft Berlinovo untersteht. 2800 der 5000 Wohnungen soll das Unternehmen bauen. Außerdem soll auch das Berliner Studierendenwerk, das bislang für das Gros studentischen Wohnraums verantwortlich war, etwa 130 Wohnplätze auf Bestandsgrundstücken schaffen.
„Zielerreichnung als realistisch einzuschätzen“
Ob die geplante Anzahl an Wohnungen bis 2020 fertiggestellt werden kann, ist ungewiss. Aus der Verwaltung von Bausenatorin Lompscher heißt es zwar, dass „die Zielerreichung als realistisch einzuschätzen“ sei. Michael Müller räumte allerdings bereits im April im Morgenpost-Interview ein, dass man noch weit von den 5000 anvisierten Wohnungen entfernt sei. Aus der Senatskanzlei heißt es derzeit, dass der Senat weiterhin am Plan festhalte 5000 Wohnungen zu bauen – ohne ein genaues Datum zu nennen. Zudem sei die Senatskanzlei bei dem Thema „in enger Abstimmung mit den für die Umsetzung zuständigen Senatsverwaltungen“. Bei beiden fühlt man sich allerdings nur ein klein wenig zuständig und verweist bei Anfragen auf die jeweils andere Senatsverwaltung.
Adrian Grasse, forschungspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, sieht den Senat nun in der Pflicht. „Fakt ist, dass momentan zu wenig passiert“, sagt Grasse, „ich bin sehr skeptisch, dass das Ziel erreicht wird, 5000 neue Studenten-Wohnungen bis 2020 zu schaffen.“ Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollten deswegen vom Senat stärker in die Pflicht genommen werden, fordert der CDU-Politiker. Denn anders als Berlinovo, die im Juni die ersten Wohnungen fertigstellt haben, haben diese noch nicht einmal mit dem Bau von Studierendenunterkünften begonnen.
Dass das dringend geboten wäre, bestätigt auf Nachfrage auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: „Aufgrund des angespannten Berliner Wohnungsmarkts stehen auch für Studierende nicht mehr ausreichender bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung“, sagt Petra Rohland, Sprecherin von Senatorin Lompscher. Durch das fehlende Angebot drängten immer mehr private Anbieter in den Markt. „Campus Viva“ ist dafür nur ein Beispiel. Das Unternehmen eröffnet im März 2018 in Mitte seinen zweiten Wohnkomplex für Studierende.
Auf seiner Homepage wird bei Anlegern mit hohen Renditen von mehr als 4,5 Prozent geworben. Rohland ergänzt: „Der Neubau von frei finanzierten studentischen Wohnplätzen entwickelte sich zu einem lukrativen, mit entsprechend hohen Renditen verbundenen Geschäftsfeld und wird auch entsprechend von Immobilien- und Kapitalanlageunternehmen beworben.“
180.000 Studenten in Berlin
Berlin: In der deutschen Hauptstadt studieren rund 180.000 junge Menschen an den Hochschulen wie der Freien Universität, der Humboldt-Universität, der Technischen Universität, der Universität der Künste sowie der zahlreichen Fachhochschulen. Die Zahl steigt seit Jahren an.
Senat: In der rot-rot-grünen Landesregierung ist der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) für Wissenschaft zuständig, also inhaltlich auch für die Studenten. In den Jahren zuvor war Wissenschaft bei der Senatsverwaltung für Bildung angesiedelt. Da es nun aber wieder einen eigenständigen Kultursenator gibt – zuvor war der Regierende Bürgermeister für Kultur zuständig –, ging die Verantwortung für Wissenschaft an Müller über.
Wohnungen: Die Einwohnerzahl in Berlin wächst seit einigen Jahren wieder – um rund 40.000 Menschen pro Jahr. Auch viele junge Menschen drängen nach Berlin – wegen des Studiums, aus privaten Gründen, wegen der vielfältigen Gründerszene oder auch wegen Berlins Internationalität. Im Vergleich mit anderen Großstädten wie Hamburg, München oder Frankfurt am Main sind die Lebenshaltungskosten in Berlin noch deutlich günstiger. Das galt auch für die Mieten. Doch die Wohnungsnot wächst, die Mietpreise ziehen an. Der Senat hat versprochen, bis 2020 rund 5000 neue Wohnungen speziell für Studenten zu bauen.