Jan Körbes empfängt die Besucher mit herzlicher Geste und der wichtigsten Hausregel: „Schuhe ausziehen“, sagt er freundlich. „Das muss sein, hier lebt man auf dem Fußboden.“ Das Schuhwerk kommt in einen versteckten Winkel, die Jacke an die Garderobe – nun ja, früher einmal mag diese ein Rechen oder etwas Ähnliches gewesen sein.
Es ist nicht das Erste, war hier drinnen auffällt. Obwohl das Auge viel Vertrautes erfasst. Im Wohnraum fällt die Sonne durchs Fenster. Auf der Anrichte stehen Kaffeebecher, in die Wände eingelassene sind voller Bücher und Alltagskram. Es ist wohnlich, doch fühlt es sich völlig anders an als in jedem normalen Wohngebäude. Und das nicht nur, weil fast die ganze Einrichtung schon ein früheres Leben hatte. Die Anrichte ist aus Möbelteilen zusammengebaut, ein Stück Fußboden lässt sich zum Tisch hochfahren. Dann sitzen alle auf dem korkbelegten Boden, die Füße in der versenkten Badewanne, die das Loch unter der Tischplatte ausfüllt.
Gästewohnung für die Künstler
Das Haus, in dem Jan Körbes mit Tochter Liuka fast drei Jahre gewohnt hat, war ursprünglich ein Getreidesilo. Ein Bauer in den Niederlanden wollte den sechs Meter hohen Futtertrichter ausrangieren. „Aber ein Silo, das hatte ich damals schon länger im Kopf, ist genau der Maßstab, wo Menschen reinpassen“, sagt der Architekt. Das Umnutzen von Dingen und Materialien, die nutzlos scheinen, ist Körbes‘ Spezialgebiet. Dies, und das Laborieren mit Architektur, das Ausloten der Grenzen davon, wie Leben, Wohnen und Gestalten von öffentlichem oder privatem Raum definiert werden kann. Beides macht er bei „refunc“, dem von ihm mitgegründeten Den Haager Architekturdesign-Kollektiv mit Berliner Filiale. Und beides füllte der gebürtige Düsseldorfer, der als Junge viel auf Segelbooten unterwegs war und auch schon mal im Wohnwagen wohnte, im Silohaus mit Leben.
Inzwischen wohnt Körbes mit Freundin und Tochter in einer großen Altbauwohnung in Pankow. Das Silohaus steht, seit es 2013 aus dem Den Haager Vorort Scheveningen nach Berlin transportiert worden war, beim Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZKU) in Moabit. Damals war Körbes dankbar, dass er Dank der beweglichen Behausung seiner Tochter und deren Mutter, die es nach Berlin zog, folgen konnte. Am ZKU wohnen nun gelegentlich Gäste, Künstler oder Stipendiaten im Silohaus, gerade ist eine Nutzerin ausgezogen.
Ein zweiter Silo fungiert als Keller
Liuka, das ist unübersehbar, kommt gern hierher. „Setz dich mal, hier ist es schön warm“, sagt die Zehnjährige einladend und schiebt die Füße in die geheizte Badewanne unterm Tisch. Überhaupt ist es selbst an diesem kühlen Tag gemütlich in dem isolierten, weiß ausgekleideten Plastikgehäuse. Das technische Konzept ist so ausgeklügelt wie Einrichtung und Raumgestaltung, wo jeder Winkel irgendeine Funktion hat. Strom bezieht das Silohaus zwar vom ZKU, vier Solarpaneele machen es aber bei Bedarf autark.
Aus dem 80-Liter-Wasserbehälter unter dem Futterspeicher, der ohnehin von Tanks beschwert werden muss, wird Trinkwasser durch den Wasserhahn an der Anrichte gepumpt. In der heutigen Abstellkammer duschten Liuka und Jan Körbes früher mit zirkulierendem Regenwasser, eine andere Kammer beherbergte das Trockenklo. Gekocht wird mit Gas, ein Holzofen ergänzt die Infrarot-Fußbodenheizung. Sogar einen Keller gibt es, wo neben der Technik Körbes Bibliothek untergebracht ist. Dafür baute er einen kleineren Silo unter den Wohnraum.
Dreizehn Quadratmeter verteilt auf drei Etagen
Geschlafen wird auf einer Zwischendecke unter lichtdurchlässiger Kuppel. Liukas Lieblingsraum, hier hatte sie ihre Ecke, mit ausklappbarem Schreibtisch. Erreichbar ist die zweite Etage über eine Kletterwand. „Das ist unser architektonischer Darwinismus“, sagt Körbes und schmunzelt, „anders kommt man nicht hoch“. Vermisst hat er in der Zeit im Silohaus aber weniger Bequemlichkeit als vielmehr genug Platz, um Yoga zu machen oder Gäste zu beherbergen. „Obwohl, mit zehn Leuten kann man hier ganz gemütlich sitzen“, sagt der 47-Jährige. „40 Leute bei einer Besichtigung sind bisher der Rekord.“
Dafür muss der Tisch eingefahren, die Kellerklappe geschlossen sein, denn die runde Grundfläche des Silohauses misst im Durchmesser keine zweieinhalb Meter. Inklusive Keller und Eingang kommen 13 Quadratmeter Gesamtfläche zusammen. „Natürlich ist das kein Haus“, sagt Körbes nüchtern, „und es fühlt sich auch nicht so an. Es ist ein Kunstprojekt, indem man verbleiben kann.“
Projekt mit der Berliner Tinyhouse University
Wie aktuell solche Wohnkonzepte in Zeiten von Minihäusern, Baumhäusern oder Floating Homes aber dennoch sind, zeigt der Bauhaus Campus Berlin am Bauhaus-Archiv in Tiergarten. Seit diesem März und für ein Jahr errichtet dort im Gartenhof des Museums eine internationale Gruppe von Kreativen auf Initiative der Berliner Tinyhouse University 20 verschiedene Minihäuser. Auch Abfallarchitekt Körbes ist dabei mit seinem Recyclinghaus. „Es gab bei uns immer Pläne für eine Silo-City“, sagt er. „Aber dazu braucht es eine Community.“
Nicht jeder, das sieht auch er so, mag und muss in solch einer Behausung leben. „Aber es ist eine gute Erfahrung zum minimalen Wohnen. Für mich war das Experiment absolut der Mühe wert, um herauszufinden, was man eigentlich wirklich braucht.“