Ob im Urwald oder in der Wüste: Gejodelt wird überall auf der Welt - und jetzt auch in Berlin. Ein Selbstversuch.

Jodeln liegt im Trend. Touristen buchen Jodeltouren in den Alpen. Topmanager besuchen Seminare, um dort das Schnackeln mit der Zunge zu lernen. Sogar in Indianapolis stimmen Jodler zu Liederkränzen an. Warum das so ist? Ich probiere es aus: bei einem Anfängerkurs in Berlin.

„Du kannst nicht singen? Macht nichts. Wenn du sprechen kannst, dann kannst du auch jodeln.“ So richtig beruhigen mich Ingrids Worte nicht, als ich mich bei ihrem Workshop anmelde. Geboren bin ich in Bayern. Sprechen kann ich. Gejodelt hab ich nie. Nun lerne ich das also hier, in einem Hinterhaus von Schöneberg. Durchs offene Fenster tönt das Rattern der S-Bahn. Das Tiroler Alpenglühen liegt 700 Kilometer entfernt. Aber: „Mit Alpen und Musikantenstadl hat Jodeln nur am Rand zu tun“, erzählt Ingrid mir und den anderen 14 Teilnehmer des Workshops. Gejodelt werde überall auf der Welt, auch im ehemaligen Lappland, in Kolumbien, in der Mongolei, im afrikanischen Regenwald und selbst in Palästina.

Ingrid Hammer kommt aus Graz in der Steiermark, lebt seit 30 Jahren in Berlin und gibt Jodelkurse. Vor vier Jahren gründete sie einen eigenen Jodelchor. Daneben jodelt sie im Vokalensemble „transalpin“ und zuvor im Berliner Trio „la vache qui crie“ - „Die Kuh, die schreit“. Hat Jodeln etwas mit Schreien zu tun? „Eher mit Rufen und jauchzend klagen“, meint Ingrid. Ein Wiener Workshopteilnehmer hätte es mal so resumiert – Jodeln sei für ihn: Lerne klagen ohne zu leiden. Und nach Leiden sieht Ingrid beim besten Willen nicht aus: lange rote Haare, feste Stimme, den Brustkorb in die Höhe gestreckt. Beim Jodeln zieht sie die Oberlippe nach oben, als würde sie zum Gähnen ansetzen. Ein klarer, lauter Ton perlt vom oberen Mundraum. “Ho-la-dri-jo-i-di-ri”. Mit einem Klacken wechselt die Stimme zwischen Brust- und Kopfregister. “Konntet Ihr die Obertöne hören?”, fragt Ingrid. “Jodeln ist obertonreicher Gesang. Das gibt ihm den besonderen unverwechselbaren Klang.“

Bei Jodeln fällt vielen immer noch als erstes Loriot ein

Rechts neben mir sitzt Hanna (37), Stimmpädagogin. Jodeln kennt sie aus einem Seminar zu Stimmpolyphonie, sagt sie mir. Sie mag das Gefühl, das da in der Stimme liegt. „Das ist wie Seufzen, nur mit Gesang“, sagt sie. Veronika (59) und Bernd (53) von schräg gegenüber spielen in einem Trio gemeinsam Heimatmusik mit Cello, Klarinette und Gesang. Jodeln wollen sie mit in ihr Programm aufnehmen. Nur Jeanette (54) links neben mir sitzt wie ich ein bisschen peinlich berührt da. Für sie ist der Kurs ein Geburtstagsgeschenk, sagt sie. Bei langen Autofahrten hat sie oft Loriot gehört. „Du weißt schon. Den Sketch mit dem Jodeldiplom.“ Auf den Sketch wird Ingrid häufig angesprochen. “Bei Jodeln fällt vielen immer noch als erstes Loriot ein”, sagt sie. „Und natürlich lächeln immer noch viele etwas ungläubig, wenn man sagt, dass man jodelt.“ Jodeln lernen kann man überall. Auf der Alm und im Kiez. Quer durch Deutschland bieten Jodellehrer Seminare an. Da ist zu lesen von „gesunden Atemwegen”, „Training des Beckenbodens” und „Antiaging”.

Aber nun beginnen wir. „Jodeln ist eine Ganzkörperangelegenheit”, sagt Ingrid. Das heißt der Körper muss beim Jodeln locker werden. Verkrampfen ist schlecht, zu viel nachdenken auch. Die erste Stunde verbringen wir mit Aufwärmtraining, ohne Ton. Übung eins: Wir stehen mit leicht angewinkelten Beinen im Kreis. Ich schüttle im Takt die Arme, die Hände, die Finger, wippe mit den Knien. Der Bauch wippt mit. „Spürt, wie die Gedärme in eurem Unterleib vibrieren“, sagt Ingrid. Ich schließe die Augen. Meine Gedärme stimmen zu. Übung zwei: Ich lerne, dass beim Jodeln der Ton an die Gaumenplatte geschickt wird – der Schädel soll vibrieren. „Hebt das Gaumensegel nach oben und bewegt die Zunge nach unten“, sagt Ingrid. Gemeinsam mit den anderen halte ich den Mund geöffnet, die Lippen nach vorn gestülpt. So richtig wohl fühle ich mich noch nicht. Ich stehe da wie eine Orgelpfeife. Hanna und Veronika können das dagegen schon recht gut. Aus den Mündern um mich herum strömt ein lang gezogenes „o“, das in der Luft zu schwingen scheint. „Beim Jodeln geht es darum, einen großen Resonanz- und Klangraum zu schaffen“, sagt Ingrid. Vielleicht ist das mein Problem.

Übung drei: Wir stimmen unseren ersten Jodler an, ein Zäuerli, wie die Jodler im Appenzell heißen. Genauer: den „Chemifegers“ – das Zäuerli des Kaminfegers. Ich starre die weiße Wand mit den weißen Vorhängen an. Lieber nicht rübergucken zu den anderen. Eine Silbe nach der anderen. War das nun jo-lo-jo-lo-du oder jo-lo-jo-lo-do?

Ingrid muss mir Nachhilfe geben. Ich „singe“ noch zu sehr, meint sie. Ich wusste gar nicht, dass ich das kann. Sie holt mich in die Mitte des Kreises. Da stehe ich, zwischen den anderen 14 Teilnehmern, so wie damals beim Vorsingen in der Schule. Peinlich. Ich sperre den Mund auf. Über die Lippen kommt zartes Krächzen. Ingrid schüttelt lachend den Kopf. Sie fordert mich auf zu rufen. Wie, rufen? Ingrid zeigt mir, wie ich rufen und dabei energisch auf den Boden stampfen soll, sie feuert mich an. Mein Zwerchfell schreit vor Schreck. Ha-loooooooo!

So also fühlt sich das Gaumenzäpfchen an. Ein fluffiges Stück Haut, das in der Luft mitschwingt. Den Mund hab ich halb geöffnet. Die Lippen zum „O“ geformt. Die Bauchdecke bewegt sich nach unten. Der Atem strömt nach oben. Mein ganzer Körper vibriert und schüttelt all das ab, was mich vor ein paar Stunden noch genervt hat. Der viel zu dünne Kaffee, das Regenwetter, die voll gestopfte S-Bahn. Die Teilnehmer um mich vergess ich. Jetzt könnte ich auch auf dem Grazer Hochlantsch-Gipfel stehen. 1700 Meter über dem Meer. Vor mir die grünen Hügel der Steiermark. Am Horizont leuchten die Schneespitzen.

Um fünf Uhr nachmittags stehe ich plötzlich wieder draußen auf der Straße. Ein paar Berliner schmiegen sich vor den Cafés in Stoffdecken. Die S-Bahn rattert wieder. Ich war zwar nicht auf der Kuh­alm. Aber auch nicht in Berlin Schöneberg. Ich war für ein paar Stunden in einer anderen Welt.

Der Berg ruft

Festival: Urtümliche Klänge sind beim Berliner Naturtonfestival zu hören: Vom 27. April bis zum 1. Mai finden Workshops für Jodler und Alphornbläser statt. Am Sonnabend zieht der Jodelchor „urban yodeling“ ab 18.30 Uhr mit dem Berliner Alphornorchester auf den Gipfel des Spandauer Hahnebergs.

Workshops: Ingrid Hammer gibt Anfängerworkshops und leitet auch mehrere Jodelgruppen (www.jodeln-in-berlin.de). An der Jodelschule in Kreuzberg unterrichtet Doreen Kutzke Alpenjodeln, Country-Yodeling und Kanonjodeln (www.jodelschule-kreuzberg.de).

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