Kampf im Kiez

Immer mehr Mieter in Berlin wehren sich gegen Verdrängung

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Christina Peters
Protest gegen Verdrängung in der Neuköllner Friedelstraße

Protest gegen Verdrängung in der Neuköllner Friedelstraße

Foto: Britta Pedersen / ZB

Krasse Mieterhöhungen und Zwangsräumungen bringen immer mehr Mieter auf die Barrikaden. Ganze Nachbarschaften schließen sich zusammen.

Das Glas am Restaurant „Vertikal“ in der Reichenberger Straße ist noch immer zersplittert. Doch die Löcher, die Randalierer Anfang März mit einer Hacke hinterließen, zieren inzwischen fröhliche Zeichnungen: „Filou bleibt, Vertikal bleibt“, verkündet ein Spruchband auf der kaputten Scheibe - Kollateralschaden im Kampf um die angrenzende kleine Bäckerei „Filou“, der noch vor wenigen Wochen die Kündigung drohte.

Dass „Filou“ bleibt - ebenso wie einige Straßen weiter das Buchgeschäft „Kisch“ und der Haushaltswarenladen „Bantermann“ - ist einer wachsenden Protestbewegung zu verdanken. Was vor rund zwei Jahren mit Demos für den Kreuzberger Gemüseladen „Bizim Bakkal“ für Aufsehen sorgte, ist mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Immer mehr Berliner Nachbarschaften wehren sich gegen Verdrängung - und immer öfter scheinen sie Erfolg zu haben.

„Es brodelt total in der Stadt“, sagt der Soziologe Andrej Holm. Der Ex-Staatssekretär wurde nicht erst wegen einer Stasi-Debatte bekannt, sondern gilt als Gentrifizierungs-Fachmann. „Eigentlich ist es eine Massenbewegung in spe, die sich hier gerade herausbildet“, erklärt der wohnungspolitische Berater der Berliner Linke-Fraktion.

Holms Thema, die Verdrängung von Mietern und Verknappung sozialen Wohnraums, bewegt auch Berliner, die mit politischem Aktivismus bislang nichts am Hut hatten. Fast jeder zweite Mieter fürchtet Umfragen zufolge, sich durch Mieterhöhungen in den nächsten Jahren seine Wohnung nicht mehr leisten zu können. Diejenigen, die schon betroffen sind, setzen sich zur Wehr.

Mieterhöhungen bis zu 200 Prozent

Dass dabei Scheiben zu Bruch gehen, ist im Gegensatz zu den berüchtigten alten Häuserkämpfen eher die Ausnahme. Dafür häufen sich Transparente, Kiez-Versammlungen, Briefe an politische Amtsträger, und von Anwohnern erfochtene Runde Tische. „Wir hatten noch nie so viele kämpfende Häuser in der Stadt. Es gibt über hundert Hausgemeinschaften in Berlin, wo sich MieterInnen organisieren, die noch nie Politik gemacht haben“, sagt Holm.

Er steht in einem kleinen bunten Veranstaltungsraum in der Friedelstraße 54 in Nord-Neukölln, wo an einem kühlen Aprilabend Dutzende dicht gedrängt sitzen, um sich Tipps für den Kampf gegen Verdrängung zu holen. Dem Kiezladen „Friedel54“ droht akut die Zwangsräumung. Ein Mieter erzählt, wie innerhalb von zwei Jahren aus den rund 20 Parteien eines typischen Berliner Altbaus eine Gemeinschaft wurde, die sich gegen internationale Investoren wehrte.

Als nach einem Verkauf des Hauses Modernisierungen angekündigt wurden, die Mieterhöhungen zwischen 50 und 200 Prozent bedeutet hätten, wurden die Mieter aktiv. Mit Hilfe einer Anwältin schrieben sie Widersprüche, ließen Gegengutachten erstellen und sorgten für Medienaufmerksamkeit.

Mit Erfolg: Der Investor stellte das Haus wieder zum Verkauf, die Mieter beschlossen, das Haus mit Hilfe einer Stiftung als Mieter-Syndikat selbst zu kaufen. Beispiele wie diese gibt es mittlerweile in der ganzen Stadt. Medienwirksam setzt sich etwa eine Siedlung im südwestlichen Stadtteil Schmargendorf zur Wehr. In Pankow im Norden haben sich mehr als 15 Häuser zusammengetan und klagen sich durch die Instanzen.

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"Das ist Gentrifizierung, was hier passiert"

„Wir wollen jetzt nicht den deutschen Rechtsstaat in Frage stellen“, sagt zum Beispiel Sebastian Wicke. Der 31-Jährige spricht für die Mieterinitiative aus der Tempelhofer Gontermannstraße, wo sich rund 200 Mietparteien gegen mietsteigernde Modernisierungen wehren. Mit radikaler Politik habe man da nichts am Hut: „Unser Ziel ist es einfach, diese horrende finanzielle Belastung abzuwenden.“ Aber den politischen Zusammenhang sieht auch Wicke. „Das ist Gentrifizierung, was hier passiert“, sagt er. „Wir wollen sicherstellen, dass nicht die Einkommensschwachen in unserer Straße die Miete nicht mehr bezahlen können. Besonders für die kämpfen wir.“

In der „Friedel54“ freut man sich über den neuen Schwung in der Bewegung. Doch auch Skepsis ist da. Nach Holms Vortrag über die Zusammenhänge im Berliner Wohnungsmarkt, wo sich der Preis eines Mietshauses innerhalb von drei Jahren durch Spekulation mehr als verdreifacht hat - Geld, das nur über Mieten oder den Verkauf als Eigentum wieder eingeholt werden kann - wird diskutiert, ob der Protest der Gentrifizierung irgendetwas entgegenzusetzen hat.

An Brennpunkten wird es allein den Kreuzbergern weiter nicht fehlen: Neben dem drohenden Verkauf des Wohnblocks „NKZ“ am Kottbusser Tor sorgen sie sich nun etwa um eine Änderungsschneiderei in der Oranienstraße und den Häuserblock Lausitzerstraße 10/11, der mit 600 Prozent Preisaufschlag weiterverkauft werden soll. „Bizim“ blieb, „Filou“ blieb, „Kisch“ blieb: „Lause bleibt“ heißt es nun auf den Transparenten im Kiez.

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