Prävention gefordert

Antisemitismus an Berliner Schulen ist kein Einzelfall

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Julius Betschka und Christian Latz
 Halbwahrheiten über den Nahostkonflikt würden die Wut auf Juden schüren, sagt Experte 
Mansour

Halbwahrheiten über den Nahostkonflikt würden die Wut auf Juden schüren, sagt Experte Mansour

Foto: DPA

Nach dem Übergriff auf einen jüdischen Schüler in Friedenau fordern Experten mehr Prävention. Viele Fälle werden nicht gemeldet.

Ein jüdischer Junge wird von seinen türkisch- und arabischstämmigen Mitschülern beleidigt und angegriffen – wegen seines Glaubens. Dass so etwas im Jahr 2017 in Berlin passiert, wundert Ahmad Mansour nicht. „Der Vorfall ist auch in dieser Heftigkeit kein Einzelfall“, sagt der Islamexperte im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) gab es 2016 an Berliner Schulen 13 antisemitische Vorfälle. Dies seien jedoch nur jene, von denen die RIAS Kenntnis habe. Viele würden von den Betroffenen nicht einmal gemeldet. Gerade unter jugendlichen Muslimen sei Antisemitismus weitverbreitet, sagt Diplom-Psychologe Mansour. Halbwahrheiten über den Nahostkonflikt würden die Wut auf Juden schüren. „Die Komplexität der Welt überfordert die Jugendlichen. Deshalb teilen sie ihre Welt einfach in Freund und Feind ein.“

So war es auch im Fall des 14-Jährigen in Friedenau: Nachdem er in der Klasse seinen jüdischen Glauben offenbarte, wandten sich Mitschüler ab, sagte die Mutter des Opfers dem „Jewish Chronicle“, der zuerst darüber berichtete. „Du bist eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann mit dir nicht befreundet sein – alle Juden sind Mörder“, habe einer gemeint, sagte sie. Ihr Sohn sei sogar körperlich angegriffen und bedroht worden. Daraufhin meldeten die Eltern ihren Jungen von der Schule ab.

"Bei Antisemitismus gibt es einfach kein Problembewusstsein"

Den jugendlichen Tätern droht nun der Schulverweis. Damit allein hat sich der Fall für die Gemeinschaftsschule allerdings nicht erledigt. „Vor der Schule liegt ein langer Weg der Aufarbeitung“, sagt Sanem Kleff. Sie leitet das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, das 2350 Schulen in Deutschland betreut. Dazu gehört auch die Friedenauer Gemeinschaftsschule.

Seit Ende Februar 2016 hat die Schule sich die selbst verpflichtet, aktiv gegen Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus vorzugehen. „Wir wollen jungen Menschen Grundbegriffe wie Courage und Diskriminierung vermitteln“, so Kleff. „Realistisch gesehen lassen sich solche Vorfälle nie vollständig vermeiden.“ Wichtig sei, nicht wegzuschauen, sondern aktiv dagegen vorzugehen, so die Vorsitzende der Initiative.

Auch Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) erwartet von den Schulen ein stärkeres Vorgehen gegen Antisemitismus. Es gebe viele Projekte gegen Diskriminierung, so die SPD-Politikerin. „Ich erwarte, dass diese auch genutzt werden. Gerade wenn Schulen oder auch einzelne Lehrkräfte sich diesen nicht gewachsen fühlen.“ Mit der abschließenden Bewertung des Vorfalls in Friedenau möchte Scheeres jedoch warten, bis die interne Aufarbeitung beendet ist. Ahmad Mansour setzt sich energisch dafür ein, das Thema Antisemitismus an Schulen auch beim Namen zu nennen: „Solange das Problem kleingeredet wird, werden wir nicht weiterkommen.“ An Berliner Schule: "Antisemitismus übelster Art"

Die beiden Experten Mansour und Kleff sind sich einig, dass spezielle Präventionsangebote gezielt für Jugendliche aus dem arabischen Raum notwendig sind. „Der Nahostkonflikt ist der entscheidende Punkt und muss an den Schulen entsprechend thematisiert werden“, sagt Mansour. Nur so könnten die Jugendlichen dafür sensibilisiert werden, Juden nicht als Feinde zu sehen.

Bereits jetzt können Lehrer an Berlinern Schulen Antisemitismus und den Nahostkonflikt ab der fünften Klasse behandeln. Doch der vorliegende Fall zeigt: Antisemitische Vorfälle gehören immer noch zum Alltag auf Berliner Schulhöfen und werden oft nicht einmal gemeldet. Senatorin Scheeres sagt: „Wir sind auf die Meldungen der Schulen angewiesen und wünschen uns eine hohe Sensibilität im Umgang mit Vorfällen.“ Strafanzeige gegen Schüler nach antisemitischen Vorfällen