Anschlag in Berlin

Senator verteidigt Lücken bei Überwachung von Amri

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Ulrich Kraetzer
Anis Amri auf den Fahndungsbildern

Anis Amri auf den Fahndungsbildern

Foto: dpa

Innensenator Andreas Geisel und die Polizei wehren sich gegen Kritik an der lückenhaften Überwachung von Anis Amri.

Der Anfang klang vielversprechend. Man werde „tatkräftig zur Aufklärung beitragen“, sagte der Staatssekretär der Innenverwaltung Torsten Akmann (SPD). Innensenator Andreas Geisel (SPD) schlug ähnliche Töne an. Es gebe im Fall des Attentäters Anis Amri ja noch „scheinbare Widersprüche“. Das ließ aufhorchen. Denn offene Fragen und Widersprüche – ob scheinbar oder ganz handfest – gibt bei der Aufklärung der Rolle der Behörden im Fall Amri tatsächlich. In Nordrhein-Westfalen wird das Behördenhandeln in dem Fall bald sogar einen Untersuchungsausschusses beschäftigen.

In Berlin, wie auch im Bund, versuchen die Abgeordneten dagegen, Auskünfte in den „normalen“ Ausschüssen zu gewinnen. Am Montag hatten sie dazu gleich in zwei Gremien Gelegenheit: bei einer Sondersitzung des Innenausschusses im Bund und bei einer regulären Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus.

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Bei der Berliner Ausschusssitzung blieben am Ende viele Fragen offen – nicht zuletzt die, ob sich Verwaltung und Polizei nicht gründlicher hätten vorbereiten können. Vor allem der Leiter des polizeilichen Landeskriminalamtes (LKA), Christian Steiof, blieb oft unpräzise. Einige Fragen, so naheliegend sie auch waren, konnte er gar nicht beantworten. „Ich bin schon ein Stück weit irritiert“, sagte denn auch die Grünen-Politikerin Canan Bayram, die diese Kritik – wäre sie noch in der Opposition – vermutlich schärfer formuliert hätte. Mit Niklas Schrader von der Linken zeigte sich ein weiteres Mitglied einer Regierungsfraktion unzufrieden. „Wir erwarten, dass Sie die Informationen, sofern diese nicht der Geheimhaltung unterliegen, öffentlich machen, damit wir die Aufklärung vorantreiben können“, sagte Schrader.

Zweifel an der polizeilichen Informationspolitik gab es schon vor der Ausschusssitzung. Dabei ging es unter anderem darum, wann und wie intensiv der seit März 2016 als islamistischer „Gefährder“ eingestufte Amri von der Polizei observiert wurde. Bis zum 21. September vergangenen Jahres – so dachten bis vor Kurzem Abgeordnete und Beobachter der Medien. Denn in einer vom Bundesinnenministerium veröffentlichen Chronologie zum Behördenhandeln im Fall Amri heißt es: „... am 21.9.2016 endet auch die Überwachung des Amri“.

Die Formulierung wirkt eindeutig – und auch in den ausführlichen Erörterungen in den bisherigen Sitzungen des Innenausschusses hatten Innenverwaltung und Polizei an dieser Version keinen Zweifel aufkommen lassen. Tatsächlich aber beendete die Polizei die Observation und die Auswertung einer Überwachungskamera vor Amris Lieblingsmoschee, dem IS-Treffpunk „Fussilet-Moschee“, bereits am 15. Juni – drei Monate früher als bis dahin angenommen. Die Polizei informierte darüber nicht aus eigenen Stücken – sondern weil ein Gericht die Behörde nach einer Auskunftsklage des RBB dazu gezwungen hatte.

Stirnrunzeln bei den Abgeordneten

Es könne nicht sein, dass Journalisten Informationen bekämen, die den Parlamentariern vorenthalten worden seien, kritisierten nun Abgeordnete im Innenausschuss. Außerdem wollten sie wissen, aus welchem Grund die Polizei die Observation beendete. Staatssekretär Akmann: Weil der Verdacht, Amri könne eine Straftat oder gar einen Anschlag vorbereiten, durch die bis dahin laufenden Maßnahmen der Polizei nicht erhärtet werden konnte. LKA-Chef Steiof bemühte wenige Minuten später allerdings einen anderen Zungenschlag. „Die Ressourcenlage spielte natürlich auch eine Rolle“, sagte er. Und: „Die Tischdecke ist zu klein, um alles im Griff zu haben.“ Heißt: Die Polizei hatte für die Fortführung der Überwachung keine Leute mehr.

Die Entscheidung, die Observation zu beenden, traf die Polizei laut eigener Aussage in eigener Zuständigkeit. Ob sie die Generalstaatsanwaltschaft, die sich von den Maßnahmen Erkenntnisse in einem damals laufenden Ermittlungsverfahrgen gegen Amri erhoffte, darüber informierte? Das wisse er nicht, sagte LKA-Chef Steiof – und erntete Stirnrunzeln.

Was der LKA-Chef nicht sagen konnte, ist nach Informationen der Berliner Morgenpost eigentlich bekannt: Die Polizei behielt ihre Entscheidung, Anis Amri nicht mehr „unter Wind“ zu halten, für sich, so heißt es in Justizkreisen. Das würde ins Bild passen. Denn die Staatsanwaltschaft erwirkte noch im Spätsommer 2016 einen Gerichtsbeschluss zur Fortführung der Observation. Hätte der zuständige Bearbeiter gewusst, dass die Polizei die Maßnahme zu dem Zeitpunkt längst eingestellt hatte – er hätte sich den Aufwand wohl erspart.

Die treffendste Zusammenfassung über den Versuch, den Fall Amri im Innenausschuss aufzuhellen, formulierte gegen Ende der Sitzung der Abgeordnete Benedikt Lux. „Ich will mal kurz festhalten, dass heute nicht viel neues herausgekommen ist“, sagte der Grünen-Politiker. Die Abgeordneten seien „gut beraten, weiter kritisch nachzubohren“. Das wollen sie auch machen, versichern alle. Einen Untersuchungsausschuss, bei dem sie nicht auf die Auskünfte der Behörden angewiesen wären, sondern selbst die Akten pflügen könnten, wollen zurzeit aber nur die FDP und die AfD. Die CDU hält sich die Möglichkeit aber ausdrücklich offen. Man wolle erst sehen, wie die Aufklärung im Innen-, Verfassungsschutz- und Rechtsausschuss vorankommt, sagte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Burkard Dregger.