In den Winternächten wird es eng in Notunterkünften für Obdachlose. 820 Schlafplätze gibt es für geschätzt 3000 bis 6000 Obdachlose.
„Wind und Kälte sind noch erträglich“, sagt Christian (38). Selbst die Minustemperaturen in den Nächten. Solange er sich bewegen könne. „Am schlimmsten ist es, wenn es regnet“, sagt er. Wenn alles nass wird. Dann hilft auch Bewegung nicht mehr. Für Notfälle trägt er in seinem Rucksack Ersatzkleidung mit sich, trockene Unterwäsche. Christian lebt seit mehr als fünf Jahren auf den Straßen von Berlin. Mit Nachnamen will er nicht benannt werden. Tagsüber verkauft er Zeitungen am Hauptbahnhof. Nachts schläft er meistens am Washingtonplatz. „Da ist unsere Fläche“, sagt er. Zu sechst zelten sie dort. Sie versuchen, ohne Hilfe durch die Nächte zu kommen. Mit dem Gaskocher machen sie ihr Essen. Manchmal ertragen sie auch das nicht mehr.
An diesem Abend sitzt Christian in der Notübernachtung der Berliner Stadtmission: Lehrter Straße, nicht weit vom Hauptbahnhof. Vor ihm dampft Suppe auf dem Tisch. Hinter ihm schieben sich andere Besucher in Richtung Essensausgabe. „Was brauchen Sie? Essen? Bett? Sind Sie krank?“, fragen Helfer. Christian bleibt über Nacht in der Notübernachtung. Ein Jugendgästehaus. In den Wintermonaten werden bis Ende März die Zimmer hier geräumt. Auf dem Boden sind zwölf Isomatten ausgelegt, Decken verteilt. „Manche schnarchen, manche sind betrunken“, sagt Christian. „Alles besser als draußen abfrieren.“
Unsichtbar - Obdachlose über das Leben auf der Straße
820 Schlafplätze fürTausende Obdachlose
In den Winternächten wird es eng in Berliner Notunterkünften für Obdachlose. 820 Schlafplätze für geschätzt 3000 bis 6000 Obdachlose soll es derzeit laut Berliner Senatsverwaltung für Soziales geben. Dazu kommen bis zu 20.000 Wohnungslose, die in Einrichtungen mit begrenzter Aufenthaltsdauer leben. Im Januar waren die Notunterkünfte in ganz Berlin zu 100 Prozent ausgelastet. In der Lehrter Straße schliefen laut Berliner Stadtmission schon in den Monaten November und Dezember durchschnittlich 165 Menschen pro Nacht. Konzipiert ist die Notübernachtung für 121 Menschen, finanziert durch die Stadt Berlin. Der Rest läuft über Spenden.
Auch an diesem Abend stehen um neun Uhr Dutzende Besucher am Eingang. Nur einzeln dürfen sie durch die Tür. Zwei Helfer suchen Jacken und Taschen nach Alkohol und spitzen Gegenständen ab. Auch nach Kleiderläusen. Manche kommen mit Grippe, manche mit Krätze. „Die schicken wir zum Arzt, versuchen sie in unseren Pflegezimmern unterzubringen“, sagt Ann-Kristin Pirschel, Koordinatorin für Ehrenamtliche. Vier Pflegebetten gibt es hier. Eigentlich bräuchten sie mehr. „Ein Arzt kann Medikamente verschreiben“, sagt Ortrud Wohlwend, Sprecherin der Berliner Stadtmission. „Wenn jemand aber eine Erkältung hat, braucht er auch ein warmes Bett.“
Warum so viele Menschen auf der Straße leben müssen
Viele Obdachlose schlafen trotzdem draußen. Kommen nur zu Essensausgaben, wärmen sich auf. Wolfgang Koch (57) zum Beispiel. Seit 23 Jahren lebt er auf Berliner Straßen. Notübernachtungen mag er nicht. „Die Menschen dort kann ich nicht brauchen“, sagt er. Es ist der nächste Morgen. Koch steht in der Schlange zur Essensausgabe an der Bahnhofsmission am Zoo. In einer Tasche trägt er eine Isomatte, zwei Decken, ein Radio. In diesen Nächten legt er sich meistens auf Bänke in U-Bahnstationen wie am Alexanderplatz. Ein bis zwei Stunden liegt er dort, sagt Koch, bis einer kommt und ihn wegscheucht. „Man muss viel schlafen, damit man diese Monate erträgt.“ Früher nutzte er auch den Bahnhof Schillingstraße. Doch der ist momentan wegen Bauarbeiten geschlossen. Geöffnet für Obdachlose sind nachts die Bahnhöfe Südstern und Strausberger Platz.
„Ob Spende oder Mitarbeit – wir sind für jede Hilfe dankbar“
Berlin zog Anfang Januar erste Konsequenzen, ließ zusätzliche Notunterkünfte einrichten. 65 Plätze mehr gibt es seitdem. Eine neue Unterkunft etwa liegt in Neukölln. „Der erste Gast kam vier Tage zu früh“, erzählt Siegfried Klaßen, Geschäftsführer von Kubus. In Zusammenarbeit mit der Bürgerhilfe Kultur des Helfens eröffnete die gemeinnützige Gesellschaft eine Kältehilfestation an der Teupitzer Straße 39.
Kommentar: Solidarität mit den Schwächsten!
Finanziell unterstützt wird die Schlafunterkunft durch das Bezirksamt Neukölln. Mit einer Zuwendung von 17 Euro je Bett pro Nacht seien aber nur die Kosten für das Personal, die Räumlichkeiten und Nebenkosten abgedeckt. „Ob Spende oder Mitarbeit – wir sind für jede Hilfe dankbar“, sagt Klaßen. Vor allem warme Sachen und Schuhe sowie Hygieneartikel, wie Shampoo, Toilettenpapier oder Einweghandschuhe, seien noch Mangelware. „Gerne hätten wir mehr Betten angeboten“, gesteht Klaßen. Doch die Räume gaben nicht mehr als 25 Betten her. Ein neues Gebäude mit Platz für mindestens 100 Menschen wird derzeit im Bezirk gesucht.
Wo es Hilfe gibt
Ärzte: Medizinische Versorgung bietet die Berliner Stadtmission (Lehrter Straße 68) mit vier Krankenbetten. Hilfe gibt es auch im Gesundheitszentrum der Jenny De la Torre Stiftung (Pflugstraße 12, Friedrichshain).
Kältehilfe: Auf der Webseite der Kältehilfe finden Internetnutzer einen Überblick über Schlafmöglichkeiten in Berlin. Nach Bezirken sind Einrichtungen gelistet, die für Obdachlose zur Verfügung stehen.
Kältebusse: Ab 18 Uhr steht der Wärmebus des Deutschen Roten Kreuzes zur Verfügung (Tel. 0170 / 910 00 42), ab 21 Uhr der Kältebus der Stadtmission (Tel. 0178 / 523 58 38).