Nimmt man sich ein wenig Zeit und schlendert durch das Viertel am Hackeschen Markt, offenbart die Gegend reichlich Kontraste. Sterile Neubauten reihen sich an restaurierte Häuser. Andere drohen zu verfallen. Ihre Fassaden sind übersäht mit Einschusslöchern: Überbleibsel aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Massiv wirkt der hohe Plattenbau neben den neu errichteten Gebäuden aus Glas und Metall. Zwischen ihnen ragt der Fernsehturm in den grauen Himmel.
Die Zeit aber, sich die Auffälligkeiten der Architektur anzuschauen, haben nur die wenigsten Leute. Im Laufschritt eilen die Menschen am frühen Morgen zur Arbeit, in die Schulen oder Kitas. Andere suchen orientierungslos nach den Sehenswürdigkeiten, die in ihren Reiseführern empfohlen werden.
Auf Anwohner trifft man im Bezirk mit den höchsten mittleren Angebotsmieten der Stadt nur selten. Wer hier leben möchte, zahlt nach dem Wohnmarktreport 2017 eine Kaltmiete in Höhe von 13,80 Euro pro Quadratmeter.
Dass die Preise hier höher sind, als in anderen Bezirken, sei nichts Neues, sagt Julia Wagner. Die 36 Jahre alte Mutter eines neun Monate alten Sohnes wohnt seit zehn Jahren an den Hackeschen Höfen. „Es ist natürlich ein beliebter Ort, vor allem bei den Touristen“, sagt sie. Die gute Lage treibe die Preise entsprechend nach oben. Für ihre 95-Quadratmeter-Wohnung zahlt Wagner eine Warmmiete von 1300 Euro. „Ich denke, bei der Größe ist der Preis gerechtfertigt“, sagt sie.
Dauerhaft wohnen möchten sie und ihr Mann hier trotzdem nicht. „In den letzten Jahren wurde die Gegend zunehmend touristisch“, sagt die Diplomingenieurin. Modegeschäfte und Designer-Läden hätten die kleinen Restaurants und Bars verdrängt. Rückzugsorte finde man in dem viel besuchten Straßen kaum. „Deshalb haben wir uns entschieden, in eine zentrale, aber ruhigere Umgebung zu ziehen“, sagt Julia Wagner.
Wo die Mieten in Berlin steigen - und wo sie sinken
Seniorin Sabine aus der Sophienstraße blieb von dem rapiden Anstieg des Mietspiegels in dem Bezirk verschont. Seit 1984 lebt die Rentnerin, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte, in der Wohnung an der Spandauer Vorstadt. Wie viel sie monatlich zahlt, will die 70-Jährige nicht verraten. Nur: „Ich habe noch einen alten Mietvertrag.“
So viel Glück wie sie, hätten aber nicht alle gehabt, sagt die Rentnerin. Im Laufe der Jahre habe sich in dem Quartier um den Hackeschen Markt viel getan: Häuser wurden abgerissen, andere neu gebaut und saniert. „Viele, die noch zu DDR-Zeiten hier lebten, konnten sich die Mieten irgendwann nicht mehr leisten“, sagt die Seniorin.
Heute lebten im Viertel eher reichere Menschen, sagt sie. Dass der Kiez mit den zahlreichen Hotels und Ausgehmöglichkeiten auch viele Touristen anzieht, findet auch sie nicht nur positiv. Für die Alteingesessenen seien vor allem der Lärm, der Müll und das oft rücksichtslose Verhalten der jungen Stadtgäste eine Belastung.
Spandauer Stadtrand: Kampf gegen den Niedergang
Rund ums Einkaufszentrum an der Obstallee herrscht reges Leben. Junge Frauen mit Kopftüchern, Männer in großgemusterten Hosen, Rentner mit Rollatoren und auffallend viele Rollstuhlfahrer sind unterwegs. Das Staaken-Center ist Mittelpunkt des Wohngebiets Heerstraße-Nord, einer Großsiedlung aus den 70er-Jahren am Stadtrand in Spandau. Hier sind die Mieten niedrig wie nirgendwo in Berlin. 5,97 Euro netto/kalt weist der aktuelle Wohnkostenatlas für das Postleitzahlgebiet 13593 aus. Schon 2015 war das Gebiet um das Neubauquartier mit einer durchschnittlichen Kaltmiete von 5,76 Euro Schlusslicht. Seit Jahrzehnten gilt die Gegend als Problemkiez.
Rund um die bunt gestrichenen Häuser der Rudolf-Wissell-Siedlung leben viele Arbeitslose, Rentner und Alleinerziehende. 40 Prozent der 18.000 Einwohner haben Migrationshintergrund. Nennenswerten Leerstand gibt es im Kiez lange nicht mehr.
Viele, die sich die hohen Mieten in der Innenstadt nicht mehr leisten können, sind in die Neubausiedlung an der Heerstraße im Ortsteil Staaken gezogen. Wie Meinhardt Alexander. Als die Mutter vor sechs Jahren starb war die Drei-Zimmer-Wohnung am Siemensdamm für den Russlanddeutschen und seine Frau nicht mehr bezahlbar. Beide zogen an die Obstallee. Der 59-Jährige repariert im Kiezladen an der Sandstraße Fahrräder der Nachbarn und erledigt mit vier anderen Männern kleine Holzarbeiten. „Das würde ich gern bis zur Rente machen“, sagt Alexander. Doch für ihn läuft die Maßnahme des Jobcenters im März aus.
Kommentar: Warum die Mieten in Berlin ungebremst steigen
Das Gute im Stadtteil seien die vielen Hilfs- und Freizeitangebote, findet auch eine lebhafte Seniorin, die ihren Namen aus Furcht vor Kriminellen nicht nennen will. „Heute gehe ich noch basteln und morgen zum Yoga“, sagt sie strahlend. Die 79-Jährige ist vor neun Jahren in ein Seniorenwohnhaus an der Maulbeerallee gezogen, als sie die Wohnung am Charlottenburger Lietzensee nicht mehr bezahlen konnte. „Aber hier ist es überall so schmutzig“, klagt sie. Spreche sie jemanden an, werde sie oft nicht verstanden. „Die kleinen Kinder müssen dann übersetzen“, sagt die Rentnerin.
Im Stadtteilladen des Centers sitzen fünf Frauen und ein Mann beim Deutschkurs. Die Kirche und der Gemeinwesenverein Heerstraße-Nord bemühen sich seit Jahrzehnten um die Bewohner. Es gibt kostenlose Jazzabende und Zumba für Eltern und Kinder. Dazu Beratungen in nahezu allen Lebenslagen. Seit 2005 ist der Verein auch Träger eines Quartiersmanagements. Das Ziel: den Kiez vor weiterem Niedergang zu bewahren.