Für die Grüne Woche werden Kühe Hunderte Kilometer nach Berlin transportiert. Der Messetag einer Kuh.

Für Limone begann die Grüne Woche noch vor dem Morgengrauen. Vier Tage vor Eröffnung, um halb sechs Uhr morgens, trabte sie von der Laderampe. Genügend Zeit sollte sie bekommen, um sich an ihr neues Zuhause zu gewöhnen: Halle 3.2, Stand 140. Limone ist eine von 14 Schaukühen auf dem Erlebnisbauernhof der Grünen Woche. Für die Messe hat sie einen langen Weg auf sich genommen. 607 Kilometer sind es von ihrem Heimathof bis zum Berliner Messegelände.

Aber kann sich so eine Fleckviehkuh aus dem hügeligen Niederbayern an so etwas gewöhnen: Hunderttausende Messebesucher, Messehallenluft, kreischende Schulkinder, Fernsehteams, Lautsprecher, aus denen Melkrobotervertreter ihre Ware anpreisen, mit Sätzen wie: „Wir denken Landwirtschaft von der Kuh her“? Und wie geht es den vielen anderen Tieren auf der Messe? Tierschützer sagen: Mit dem propagierten Tierwohl hat das nichts zu tun. Tierärzte und Messebetreiber sehen das gelassener.

Von einer lokalen Warenbörse zur Weltleitmesse

Nerven wie Drahtseile - Mit Kindern auf die Grüne Woche

Es ist Freitag 12.57 Uhr. Limone genießt die Streicheleinheiten. Rund 15 Kinder mit orangefarbenen Kappen wuseln am Futterstand. Limone streckt ihre Zunge in Richtung der aufgeregten Kinderhände. Es gibt Heu mit Maissilage, einem Maifutter. Das schmeckt wie Sauerkraut, erklärt Arnd-Kristian Lauenstein, der sich auf dem Erlebnisbauernhof um das Wohl der Tiere kümmert. Er sagt: „So groß ist der Unterschied zu ihrem Heimathof gar nicht“. Man wolle auf den Besuchern der Grünen Woche keine Heile-Welt-Landwirtschaft zeigen, die es so in Deutschland fast nur noch auf Reklamebildern gibt. „Wir zeigen moderne Rinderhaltung“, sagt Lauenstein. Und die wird bestimmt von Melkkurven, Robotern und Effizienzrechnungen.

Melk-App und Geschrei: Limone nimmt’s gelassen

Limone, geboren am 27. Januar 2013, Kennziffer 67209, genetisch hornlos, wurde wie andere Fleckviehkühe so gezüchtet, dass ihr statt Hörnern so etwas wie eine große Beule auf der Stirn wächst. Das verhindert Verletzungen im Stall, und fördert die Effizienz. Durchschnittliche Jahres-Milchleistung 7800 Kilogramm, Fettgehalt 4,2 Prozent, Eiweiß 3,7 Prozent. Schwanger. Daten, die auch „Lely Astronaut“ sofort erkennt. So heißt der Melkroboter, den Limone auf der Messe dreimal am Tag aufsucht. Er lockt sie mit Kraftfutter an, erkennt sie am Transponder der ihr um den Hals baumelt. Dann saugt sich der Roboter mit vier Melkaufsätzen am Euter fest, pumpt die Milch in einen großen Kühlbehälter und sendet Daten auf an die Cow-App. Auf dem Smartphone kann dann der Landwirt sofort erkennen, ob Limone genug Milch gibt, oder ob sich bei ihr eine Krankheit anbahnt. Technik fördert Tierwohl – dies wollen die Betreiber des Erlebnisbauernhofs den Besuchern vermitteln.

Stefanie Pöpken sieht das etwas anders. „Wenn in modernen Laufställen mit Melkrobotern gearbeitet wird, dann heißt das auch, dass die Tiere kaum oder gar nicht mehr auf die Weide kommen“, sagt die studierte Landwirtin von der Tierschutzorganisation ProVieh. Und: „In Messehallen haben die Tiere nichts zu suchen.“ Warum, das könne man bei genauerem Hinsehen in Halle 25 beobachten. Während der Grünen Woche werden dort 271 Pferde, vier Kamele, 53 Rinder und Schafe, sieben Ziegen und andere Tiere präsentiert. Besonders, so Pöpken, setzt der Messetrubel den Schafen zu: „Die liegen nur da und hecheln.“ Es sei viel zu warm für die Tiere, der Trubel viel zu groß. Auch den Reitpferden mache das zu schaffen. So habe sie bei einer Stute deutliche Stresssymptome beobachtet. „Das kann zu Darmverschlingungen, Koliken und im schlimmsten Fall bis zum Tod des Tieres führen“, sagt die Tierschützerin.

Jede Veränderung bedeutet für die Tiere auch Stress

So weit kann es auf der Grünen Messe nicht kommen. Ein Amtsveterinär ist rund um die Uhr vor Ort, kontrolliert die Tiere mehrmals am Tag. Zusätzlich befinden sich laut Messeleitung immer noch ein bis drei weitere Tierärzte auf dem Gelände. Siegfried Moder, Präsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte, blickt aus wenigen Metern Entfernung auf Limone – und gibt Entwarnung. Sie und an die sieben weitere Fleckenkühe wälzen sich gelangweilt auf dem Stallboden. „Solange die so gelassen wiederkäuen, ist alles in bester Ordnung“, sagt Moder.

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Er gibt zu: So eine Messe bedeutet Stress für eine Milchkuh wie Limone. „Am besten für so einen Wiederkäuer ist: gar keine Veränderung“, sagt der Tierarztpräsident. Aber die Grüne Woche solle Konsumenten Verständnis für die Arbeit von Landwirten vermitteln. Und dafür, dass Tierwohl seinen Preis hat. Das sei das bisschen Stress für Limone Wert. Die fährt noch am letzten Messetag zurück nach Niederbayern.