Es lag schon etwas Wehmut in der Stimme, als Andreas Geisel am Dienstagmittag vor die Medienvertreter trat. Für den 50-Jährigen dürfte dies eine seiner letzten Amtshandlungen als Senator für Stadtentwicklung gewesen sein. Im Koalitionspoker hat seine Partei, die SPD, zuvor das Ressort an die künftig mitregierenden Grünen und Linken abtreten müssen.
Geisel soll stattdessen das von allen anderen verschmähte Innenresort übernehmen. Dabei hatte Geisel erst vor knapp zwei Jahren das Amt des Stadtentwicklungssenators von Michael Müller (SPD) voller Ehrgeiz übernommen. Zuvor war er Bezirksbürgermeister von Lichtenberg und kannte gerade aus dieser Sicht die vielen Probleme auf den Handlungsgebieten Wohnen und Verkehr. Entsprechend ambitioniert war sein Start im Dezember 2014.
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Die Stadt wächst und viele U-Bahnen sind überfüllt
Nun, knapp zwei Jahre später, blieb Geisel die wenig dankbare Aufgabe, einen Fortschrittsbericht zum Stadtentwicklungsplan Verkehr vorzustellen. Was jedoch im gewissen Sinne eine kleine Bilanz seiner kurzen Amtszeit auf diesem Gebiet ist. Der Bericht hat indes den Stand von 2015, inzwischen ist schon fast wieder ein Jahr rum. Er gehörte nun zu den Punkten, die in der letzten Phase einer inzwischen längst abgewählten Regierung noch pflichtschuldig, aber ohne weitere Konsequenzen für die Nachfolger abgearbeitet werden. In der offiziellen Mitteilung des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin heißt es dann auch, der Fortschrittsbericht habe gezeigt, dass „sich fast alle für die Legislaturperiode vorgesehenen Maßnahmen in der Realisierung befinden oder bereits umgesetzt wurden.“
Als wenn es in den vergangenen Jahren und Monaten weder Klagen über überfüllte U-Bahnzüge und verspätete BVG-Busse noch Beschwerden über eine ineffektive Verkehrslenkungsbehörde in der Stadt gegeben hätte. Auch die öffentlichkeitswirksame Initiative für einen Rad-Volksentscheid, die ihren guten Nährboden in einem desolaten Radwegenetz und unfallträchtigen Kreuzungen hat, fand in dem Bericht offenbar keinen besonderen Widerhall.
Von der Realität überholt
Das meist nur kurz als SteP Verkehr bezeichnete Grundsatzpapier ist so etwas wie ein roter Faden, der das Handeln davon Verkehrspolitikern und Verwaltungen bestimmen sollte. Doch, so konstatierte Geisel, sind wesentliche Prämissen des 2011 beschlossenen Plans von der Realität längst überholt.
So gingen die Verkehrsplaner vor gut sechs Jahren zum Beispiel noch von einem Stagnieren der Bevölkerungszahl und gar einer Abnahme des Verkehrs in der Stadt aus, weil immer mehr Stadtbewohner das Rentenalter erreichen. Doch stattdessen hat Berlin seit 2011 fast 200.000 Einwohner hinzubekommen.
Pkw-Bestand in Berlin hat zugenommen
Auch der Pkw-Bestand hat nicht ab-, sondern um fast 43.000 Fahrzeuge zugenommen. Insgesamt sind fast 1,2 Millionen Autos in der Stadt unterwegs, was zu einer weiteren Zunahme des automobilen Individualverkehrs führte. Angesichts der politischen Debatten der vergangenen Wochen betonte der scheidende Verkehrssenator seine Auffassung, dass das Auto in der Stadt weiter seine Berechtigung habe.
„Eine alleinige Fokussierung der Verkehrspolitik auf den Fuß- und Radverkehr wird dem nicht gerecht“, sagte er. Der Anteil des Autos am Berliner Gesamtverkehr ist seit 2011 gesunken, allerdings nur leicht von damals 33 auf 30 Prozent. Auch die Motorisierungsrate geht in der Hauptstadt weiter zurück. Kamen 2011 noch 331 Autos auf 1000 Einwohner, so waren es 2015 noch 326. Zum Vergleich: In Hamburg gibt es 475, in München etwa 550 Pkws je 1000 Einwohner.
Geisel: Wir brauchen modernere und mehr Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs
Den vergleichsweise geringen Pkw-Bestand führt Geisel vor allem auf die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin zurück. Doch der stößt angesichts stetig wachsender Fahrgastzahlen immer mehr an seine Grenzen. „Vor allem in der Rushhour ist es voll“, räumte Geisel ein. Entspannung kann es nur geben, wenn Busse und Bahnen öfter und mit einem größeren Platzangebot fahren. Doch dafür fehlen den Nahverkehrsanbietern, allen voran den landeseigenen Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), eine ausreichende Zahl von Bussen und Bahnen. „Wir brauchen modernere und vor allem mehr Fahrzeuge“, sagte Geisel. Benötigt werde ein Kapazitätszuwachs um etwa 20 Prozent. Für diesen Zuwachs wird nun jedoch Geisels Nachfolgerin sorgen müssen. „Ich werde das mit Interesse verfolgen“, kündigte der SPD-Politiker schon mal an.
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