Kultcafés

Das ist der neue Herr im Berliner Kultcafé Kranzler

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Patrick Goldstein

Foto: Sergej Glanze / Glanze/Berliner Morgenpost

In Prenzlauer Berg sperrte er sein Café für Kinderwagen. Jetzt übernimmt Ralf Rüller Berlins Traditionslokal.

Eines der berühmtesten Cafés Berlins hat einen neuen Chef. Am 4. Dezember eröffnet Ralf Rüller das umgebaute Kranzler. Gut 200 Gäste können zukünftig in der Rotunde mit den markanten Leuchtbuchstaben sowie auf Sonnendeck und Terrasse wie einst bei Kaffee und Kuchen den Blick auf Leben und Leute an der Kreuzung Kurfürstendamm und Joachimsthaler Straße genießen. Und diesmal darf bei Rüller wirklich jeder hinein.

Das Kranzler wird die dritte Filiale seines Edel-Kaffeehauses „The Barn“. Die Dependance an der Schönhauser Allee wurde deutschlandweit berühmt, als Rüller 2014 einen Poller in die Tür stellte, um Kinderwagen abzuwehren. Vor neun Monaten sorgte er wieder für Aufsehen, als im Lokal eine Mutter aufgefordert wurde, ihr Baby nicht im Gastraum zu stillen. Die Frau startete eine Petition und schrieb an die Bundesfamilienministerin. Im Internet gab es einen Shitstorm. „Aber der Umsatz ist gestiegen wie nie“, sagt Rüller. „Denn es gibt viele Gäste, die genau unsere ungestörte Ruhe suchen.“

Auf dem Dach eines englischen Modegeschäfts

Das Kranzler will er zum neuen offenen Haus am Kurfürstendamm machen. „Ich erwarte die Angestellten aus den Bürohäusern, Touristen, Leute, die beim Shoppen pausieren, und Kreative, die mit ihren Laptops kommen, weil sie nicht allein daheim arbeiten wollen.“

Die Neueröffnung ist Teil einer großen Umgestaltung des denkmalgeschützten Gebäudes, das dem norwegischen Staatsfonds sowie der Versicherungsgruppe Axa gehört. Nach 15 Jahren war im Februar 2016 das Modeunternehmen Gerry Weber unter dem Kranzler ausgezogen. Fort sind auch ein Schuhgeschäft und ein Telefonladen. Die rund 3000 Quadratmeter übernimmt die britische Modekette Superdry, um dort ihr weltweit größtes Geschäft zu eröffnen.

Das Kranzler wird an Ralf Rüller untervermietet. Im Innenhof sollen Sitzsteine durch Holzbänke ersetzt werden. Wohl ab 2017 werden Glasvorbauten und Wintergärten entfernt und im Hof Anbauten geschaffen, die für weitere 800 Quadratmeter Verkaufsfläche sorgen.

Auf die Eröffnung des ersten Kranzlers 1825 Unter den Linden und den Beginn der Kudamm-Ära 1932 folgt nun ein Geschäft, das Heißgetränke verkauft, die es auch für unterwegs geben wird. Bei manchem hat das einen Kulturschock ausgelöst. Rüller, der seit 2008 in Berlin lebt, hat damit kein Problem. Er versteht sein Geschäft nicht als Coffeeshop, sondern als Anbieter von Spezialitätenkaffee.

Die Kaffeebohnen besorgt Rüller selbst - aus aller Welt

Den Trend hat Rüller in London kennengelernt, wo er zehn Jahre lebte. Massenware setzen Anbieter dort handverlesene Kaffeesorten entgegen. „Der Siegeszug internationaler Coffeeshops war für uns wichtig“, sagt Rüller. „Das hat bei den Kunden die Portemonnaies geöffnet.“

Für den Ankauf seiner Bohnen reist er nach Kenia, Äthiopien, Guatemala, El Salvador und jüngst Brasilien. Gekauft wird bei kleinen Farmen. Mitunter besteht Rüller darauf, nur Ware aus bestimmten Lagen des Anbaugebiets zu bekommen. Er röstet den Kaffee selbst, erachtet Zucker und Milch als unnötigen Zusatz und verzichtet in seinen Geschäften darauf, Bilder an die Wände zu hängen: „Nichts soll vom Erlebnis des Kaffees ablenken“, findet er.

Die Radikalität betreibt er mit Kalkül. Rüller hat bei einer großen deutschen Bank Karriere gemacht: „Was man in einer kleinen Stadt eben so macht, um da rauszukommen.“ Er lebte in Japan, betreute Firmenkunden in England. „Ich habe zigmal erlebt, wie Spekulationsblasen geplatzt sind“, sagt der Mann, dessen Bart eher klassisch als hip, und dessen Dresscode mit Rucksack und Holzfällerhemd weniger szenig als handfest ist. „Meine Antwort auf die Übermacht der großen Ketten lautet: spezialisieren und verkleinern“, so der Ex-Banker.

Das Beste aus Mutters Kochbuch

Mit der Strategie sei er in den Ostbezirken nicht allein. Dort gebe es auch die Kundschaft, die das schätzt. Den Kaffeefimmel jetzt am Kudamm zu etablieren, begreift er als eine Art Export. Die alten Damen, die früher das Stammpublikum des Kranzlers ausmachten, sind dem Café schon fortgelaufen, als es im Jahr 2000 umgebaut wurde. Doch allein auf Naturkost, Biomilch, Spezialcereal und Bier mit Kaffeegeschmack will sich Rüller nicht verlassen.

Statt Sahnetorte gibt es in seinem Kranzler das Beste aus Mutters Kochbuch. „Sie war Spandauerin, die im Krieg an den Niederrhein kam.“ Der Geruch ihres Kuchens war zu Hause so prägend wie der Duft aus der Kaffeemaschine, die der Vater morgens um fünf Uhr anstellte, bevor er zum Dienst bei der Post ging. Einen Aufbruch mit Kaffee plant nun auch Rüller junior. Am Kurfürstendamm.