Bilder trotz Fotoverbot

Diese Skizzen zeigen Nächte in Berghain und KitKatClub

| Lesedauer: 6 Minuten
Paulina Czienskowski

In den angesagtesten Berliner Clubs ist Fotografieren verboten. Felix Scheinberger hat Szenen aus Berghain und KitKatClub gezeichnet.

Was in einigen Berliner Clubs hinter den Türen passiert, davon wird nichts visuell nach außen getragen. Denn im KitKatClub oder Berghain herrscht Fotoverbot. Da gibt es immer wieder die Erzählungen mystischer Geschichten, weshalb Massen aus allen Ländern der Welt die Hauptstadt besuchen. Darkrooms, wummernde Bässe, die die Eingeweide vibrieren lassen, Drogen und schwitzende Körper, die sich ungeniert und halb nackt aneinanderreiben. Felix Scheinberger (47) Professor für Zeichnen an der Fachhochschule Münster, lebt in Berlin und gibt diesem Nachtleben im Buch „Hedo“ nun ein gezeichnetes Gesicht. Eine Welt voll Fetisch und Hedonismus.

Wie muss man sich das vorstellen: Sie saßen nachts neben Halbnackten und haben die gezeichnet?

Felix Scheinberger: Ich benutze ein kleines Skizzenbuch nicht größer als ein Taschenbuch, ein paar Stifte und manchmal sogar einen mini Aquarellkasten. Damit falle ich kaum auf.

Fühlte sich da niemand beobachtet?

Natürlich haben es einige bemerkt. Wenn ich sie zeichne, muss ich sie natürlich anschauen und das merken Menschen in der Regel. Manche kamen dann direkt zu mir und wir haben kurz darüber gesprochen, was ich da mache.

Wenn einem Handys abgenommen oder Kameralinsen abgeklebt werden, wie gut fanden Ihre auserkorenen Modelle dann, dass sie gezeichnet wurden?

Es gab nur ein, zwei Situation, wo die Porträtierten zwar sagten, ihnen gefalle, was ich zeichne, aber in einem Buch wollten sie sich trotzdem nicht abgebildet sehen. Viele haben ja ein ganz bürgerliches Leben neben dem, was sie in so einer Nacht privat ausleben. Das sind ja ganz bewusst gewählte Freiräume und die würden schon ein wenig konterkariert, wenn allzu viel Privates nach draußen dringt. Nicht alles, was man mag, mag man auch mit Eltern oder Arbeitskollegen besprechen. Und nicht alles, was in Clubs gut aussieht, gehört in Facebook. Aber insgesamt ist meine Zeichnerei immer recht positiv aufgenommen worden. Zeichnungen sind eben einfach keine Fotos.

Ein Zeichner malt eine Nacht im Berghain
Zeichner malt eine Nacht im Berghain und KitKatClub

Erkennt man die einzelnen Porträtierten denn überhaupt so genau – es hat ja sicher niemand stundenlang Modell gestanden, es war dunkel und tumultig?

Ich denke schon, dass man viele der Personen wiedererkennen kann, oder könnte, so man Sie kennt. Andererseits ist es ja kein Buch mit seriellen Porträts. Wenn ich zeichne, geht es mir oft mehr um meinen Eindruck und meine Emotion als um eine wissenschaftlich exakte Wiedergabe. So schaue ich nicht immer wieder auf das Papier und gleiche ab. Dafür fehlt die Zeit in diesen flüchtigen Situationen. Ich konzentriere mich währenddessen eher auf den Eindruck der Menschen oder die Situation, die ich fokussiere, um nichts aus dem Auge zu verlieren. Das hat auch mit der Arbeitsweise zu tun: Skizzen sind sehr schnelle Zeichnungen. Da sind fünf Minuten viel Zeit.

Wie gut kann da eine Abbildung werden?

Die Leute halten natürlich nicht still wie bei einem Kurs für Aktmalerei. Sie sind oft nur ganz kurz im Bild und gehen irgendwann weg. Aber der Reiz des Buches ist ja nicht das Abbildhafte. Es ist viel mehr die Authentizität des Augenblicks, das, was ich meine, wesentlich an der Szene ist. Ich will nicht zeigen, wie perfekt und technisch korrekt ich zeichnen kann. Die jeweilige Zeichnung lebt eher von der Situation, in der sie entstand und durch die sie aufgeladen wurde. Meine Skizzen sind, so würde ich sagen, in etwa so unverfälscht wie ein Polaroid, ein verwackelter Schnappschuss der sich auf das Wesentliche konzentriert.

Unverfälscht – Sie haben im Nachhinein also nie nachgebessert?

Nein, nie. „Hedo Berlin“ sind Auszüge aus meinen Skizzenbuch. Die Seiten, wie sie sind, sind genau wie sie vor Ort entstanden sind. Tatsächlich ist das auch die Idee des Buches. Es ist ein Skizzenbuch der Nacht, so rockig, wie es tatsächlich vor Ort war. Nichts ist nachbearbeitet. Alles ist spontan entstanden und genau so geblieben. Für mich war das ebenfalls eine neue Arbeitsweise. Normalerweise geht man als Illustrator ja viel planerischer vor und bemüht sich um Perfektion. „Hedo Berlin“ dagegen ist zwar vielleicht nicht immer perfekt – dafür aber echt und authentisch.

Wie häufig waren Sie für das Buch in Clubs unterwegs?

Ich gehe selbst gerne aus, auch mal länger. Mein Skizzenbuch habe ich sowieso immer dabei, es ist mittlerweile fast wie angewachsen. In dem Buch sind Skizzen aus den Jahren zwischen 2012 bis 2016 abgebildet.

Was ist das Faszinierende am Verborgenen?

Das Berghain, der KitKatClub oder Insomnia, Clubs in denen ich hauptsächlich war, sind geschützte Räume, in denen Menschen ihren individuellen Bedürfnissen Platz geben, was sie sonst in der Form nicht tun können. Übrigens geht es dabei nicht nur darum, Sex in der Öffentlichkeit zu haben oder um Fetisch – zum Beispiel Gummi, Leder, was auch immer. Vielen geht es vor allem um die Atmosphäre des Freiraums. Wir alle sind ja im „wirklichen Leben“ unterschiedlich stark Regeln und Verpflichtungen unterworfen und dies macht sicher einen guten Teil der Faszination der Szene aus.

Das klingt nach Klischee.

Natürlich gibt es bestimmte Klischees. So begegnen einem in der Tat ab und an Kategorisierungen, aber sobald man sich tiefer damit beschäftigt, werden die Klischees obsolet. Mir ging es vor allen um die Menschen.

Felix Scheinberger: Hedo Berlin, Jaja Verlag, 28 Euro

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