Berlin. Die Berliner Arbeitssenatorin will das Heimarbeitsgesetz aus den 50er-Jahren den Anforderungen des Web-Zeitalters anpassen.

Ein Logo-Design für fünf US-Dollar (4,50 Euro) oder acht Vorschläge für 105 Dollar – Die Preise auf der Online-Plattform „Fiverr“ treiben jedem gelernten Kommunikationsdesigner in Berlin die Tränen in die Augen. Das Internet ist zum Ort von Dumpingpreisen für Dienstleistungen aller Art geworden: nicht nur für Grafik, sondern auch für Werbetexte, Datenbankpflege, Softwaretests oder Umfragen. Das will die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit jetzt ändern und hat dazu eine Expertise erarbeitet. Berlin als Gründerhauptstadt will auf diesem Gebiet Pionierarbeit leisten.

Das Phänomen des Crowdworking – also das Arbeiten in der Masse der Internetnutzer – ist nicht neu und geht auf die Anfänge der Indus­trialisierung zurück: Heimarbeit. Auch später, etwa in den Wirtschaftswunderjahren, wurden einfache Arbeiten, die vor allem Fingerfertigkeit erforderten, zu Hause erledigt: das Zusammensetzen von Produkten, das Verarbeiten von Lebensmitteln, Textilarbeiten. Die Heimarbeiterinnen konnten sich zwar ihre Zeit selbst einteilen, Familie und Beruf in Einklang bringen, doch die Bezahlung war schlecht.

Der Gesetzgeber erkannte hier bereits früh Regelungsbedarf zum Schutz der Beschäftigten: beim Arbeitsschutz, bei den Sozialleistungen, bei der Bezahlung. Das erste deutsche Hausarbeitsgesetz wurde im Jahr 1923 beschlossen. 1951 verabschiedete der Bundestag das Heimarbeitsgesetz, das aber in den vergangenen Jahren in Vergessenheit geriet. Erst das Internet und seine freiberuflichen Klickarbeiter haben dem Thema wieder Aktualität verschafft.

Die Idee hinter Plattformen wie Fiverr ist es, Mikrojobs für mindestens einen „Fünfer“ anzubieten – daher der Name. Niedergelassene Designer nehmen dafür ein Vielfaches. Wenn die „Crowdworker“ genannten Klickarbeiter im Netz ihre Dienste anbieten, geschieht das faktisch in einem rechtsfreien Raum.

99designs verlangt mindestens 279 Euro

So weit wie „Fiverr“ gehen andere Plattformen nicht. Bei „99designs“ etwa kostet ein Logo mindestens 279 Euro – einschließlich eines Wettbewerbs. Gibt eine Firma ein Design in Auftrag, können sich Grafiker bewerben. Der Auftraggeber wählt schließlich seinen Lieblingsentwurf aus. Der Designer erhält das Honorar – abzüglich einer Provision für die Internetplattform, wobei nur die prämierten Arbeiten bezahlt werden. Die Designer der abgewiesenen Konzepte gehen leer aus. Bislang wurden in mehr als 500.000 Designwettbewerben über 125 Millionen Euro an die Community ausgezahlt.

Die Berliner Designerin Miriam Horn (Agentur Formlos.Berlin) hält solche Honorare für ruinös und Ausdruck einer geringen Wertschätzung der Arbeit. Die Tagessätze von „Formlos“ liegen bei 680 Euro. „Häufig brauchen Kunden mehr als nur ein Logo“, sagt sie. Es gehe darum, eine visuelle Idee zu entwickeln, die zur Identität des Unternehmens oder der Persönlichkeit des Auftraggebers passt. Ein solcher Prozess dauere oft eine Woche. Und dann kostet so etwas schon mal 5000 Euro und nicht nur fünf Euro. Die Haltung zu den Crowdworkern aus dem Internet ist in der Grafikerbranche umstritten. „Wenn ein Blogger mit wenig Geld ein Logo braucht, dann ist eine Arbeit aus der Internetcrowd okay“, sagt sie. „Aber für eine Marke ist das nicht die richtige Lösung.“ Horn gehört dem Bundesverband der Deutschen Kommunikationsdesigner an, der sich für die Rechte des Berufsstandes einsetzt.

„Es fehlen bedeutsame Schutzrechte und die Möglichkeiten der sozialen Absicherung“, erklärt Senatorin Dilek Kolat (SPD) im Vorwort der Expertise mit dem Titel „Faire Arbeit in der Crowd“. Sie will das Thema mit dem Bundesarbeitsministerium und im Bundesrat diskutieren. Dabei soll es um die Frage gehen, ob der Gesetzgeber das Heimarbeitsgesetz in Richtung Crowdworking novellieren kann oder soll. Ein Forschungsprojekt der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt) wird diesen Prozess unterstützen.

Ein zu lösendes Problem ist ihre Bezahlung. In einer Studie des Zen­trums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gaben 78 Prozent der Befragten an, weniger als 1500 Euro netto zu verdienen. Crowdworker sind hier bislang allein dem Kleingedruckten der Internetplattformen ausgeliefert. Onlinefirmen mit Sitz in Deutschland sollten sich hier an deutsches Recht halten, schlägt die Studie vor. Sie empfiehlt, sich dabei an der Struktur des Heimarbeitsgesetzes zu orientieren, „um dieser Arbeitsform eine anerkannte Chance zu geben“.

Automaten könnten bald kleine Texte verfassen

Unterdessen ist die Zukunft des Crowd­working fraglich. Denn auch digitale Arbeit unterliegt dem Wandel. Und so könnten viele Jobs wie das Testen von Software, das Verfassen kleiner Texte oder die Datenbankpflege demnächst von Automaten übernommen werden. Die Studie sieht dennoch „Chancen und Potenziale“ für die digitale Arbeit. Solche Plattformen könnten sich als kleine oder mittlere Unternehmen in Berlin stabilisieren, vermutet die Verwaltung. Sie mahnt aber eine „juristische, beziehungsweise gesetzgeberische Initiative auf Bundesebene“ an.

Und was sagen die Beschäftigten zu ihrer Arbeitssituation? In einer Studie des Berliner Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft war der Faktor Spaß das mit mehr als 70 Prozent (Kreativarbeiter) und 95 Prozent (Programmierer) das am häufigsten genannte Motiv für das Crowdworking.