Senat beziffert Kosten des Volksentscheids sehr viel höher als die Initiative. Die sammelt jetzt Unterschriften

    Unterm Strich steht eine Zahl, und sie ist ziemlich groß geraten: Knapp 2,2 Milliarden Euro soll es kosten, alle Forderungen des „Volksentscheid Fahrrad“ umzusetzen. Das hat die Verkehrsverwaltung des Senats in ihrer Kostenschätzung ermittelt, die am Dienstag vorgestellt wurde. Es ist das Siebenfache dessen, was der „Volksentscheid Fahrrad“ in seiner Kalkulation veranschlagt. Doch die Initiative setze nun mal „hohe Anforderungen in Ablauf und Standards“, sagte Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) und machte abermals deutlich, was er davon hält, Radverkehr per Gesetz zu erzwingen: nicht viel.

    Innerhalb von sieben Jahren, so heißt es im Entwurf des Radverkehrsgesetzes, soll Fahrradfahren in Berlin sicherer und komfortabler werden. Dafür sollen 100 Kilometer Radschnellwege und 200.000 Abstellplätze gebaut, Grüne Wellen eingerichtet werden und einiges mehr. Laut Senat ist die Vielzahl an Forderungen innerhalb des kurzen Zeitraums aber nur unter enormem Aufwand mit Milliardenkosten umsetzbar. Mindestens. Denn manche Kostenfaktoren, wie etwa der Personalaufwand anderer beteiligter Behörden, seien gar nicht abschätzbar und wurden nicht mit einberechnet.

    So beziffert der Senat die Kosten:

    Zwei Meter breite Radwege an allen Hauptstraßen: 1,4 Milliarden Euro

    100 Kilometer Radschnellwege: 325 Millionen Euro

    200.000 neue Fahrradabstellplätze: 126 Millionen Euro

    Fahrradstaffeln für Polizei und Ordnungsämter: 110 Millionen Euro

    Grüne Welle auf 50 Straßenabschnitten: 10 Millionen Euro

    350 Kilometer Fahrradstraßen mit Vorrang für Radler: 6,6 Millionen Euro

    Die Grünen halten die Kalkulation für „unseriös“. Der Senat beziffere die Kosten von Radschnellwegen mit 3,25 Millionen Euro pro Kilometer – doppelt so teuer wie in Nordrhein-Westfalen und dreimal teurer als in Dänemark. Auch Heinrich Strößenreuther, Initiator des Volksentscheids, bezeichnete die Kostenschätzung des Senats als „zu hoch“. Die eigene Schätzung, in der die Initiative auf 320 Millionen Euro kommt, wolle man in absehbarer Zeit öffentlich machen. Verwendet wurden nach eigenen Angaben die Kostensätze, die der Senat auf mehrere Anfragen der Grünen hin offengelegt hatte.

    Auch der Senat ist überzeugt, dass sich das Gesetz deutlich günstiger umsetzen ließe, nämlich für rund eine Milliarde Euro. Aber nur dann, wenn der Zeitraum großzügiger bemessen würde – auf 20 bis 25 Jahre. In der zeitlichen Begrenzung von sieben Jahren befürchten die politisch Verantwortlichen unter anderem einen Verlust von Synergieeffekten. Als Beispiel wird die Hardenbergstraße genannt. Dort wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) eine Tunneldecke erneuern. Aus planerischer und finanzieller Sicht sinnvoll wäre es, Bauarbeiten für den Radverkehr gleichzeitig zu erledigen. Doch die BVG baut erst in sechs bis sieben Jahren, zu spät für das Radverkehrsgesetz. Strößenreuther hingegen sieht kein Problem mit Synergien. Große Aufträge, wie den Bau von 100 Kilometern Radschnellwegen, auf einmal auszuschreiben, sei günstiger, als eine kleine Maßnahme nach der anderen.

    Beide Seiten machen sich gegenseitig Vorwürfe

    Es sind viele Emotionen im Thema, in den letzten Wochen hatte es immer wieder Scharmützel gegeben. Die Initiative und der Senat werfen sich gegenseitig vor, nicht zu Gesprächen bereit zu sein. Strößenreuther und Co. verlangen, dass der Senat vorab sagt, was er für den Radverkehr zu tun gedenkt. Die „wachsweiche“ Radverkehrsstrategie könne es auf jeden Fall nicht sein. Gaebler hingegen lässt durchblicken, dass er das Gesetz für unausgegoren hält. Beispiel: die 200.000 Stellplätze. Viel zu viele, bis 2030 würden 78.000 reichen. Und man dürfe nicht vergessen, dass Zehntausende Parkplätze wegfielen.

    Auf der anderen Seite hat Gaebler eine zentrale Forderung der Initiative aufgegriffen: Radwege müssen schneller gebaut werden. Eine externe Radbaugesellschaft soll in Planung und Umsetzung „den Hut aufhaben“ und Bezirke sowie Behörden entlasten. Vorbild dazu könnte der landeseigene Betrieb „Grün Berlin“ sein, der Radwege in Parks baut.

    Der „Volksentscheid Fahrrad“ kann derweil mit dem Sammeln der Unterschriften beginnen. 20.000 sind für die erste Stufe, den Antrag für ein Volksbegehren, nötig. Gerne hätte man bereits über Pfingsten damit angefangen, doch die nötige Kostenschätzung des Senats verzögerte sich. Wegen der Komplexität, heißt es in der Berliner Verkehrsverwaltung. Mit Absicht, heißt es bei der Initiative.

    Am Mittwochabend wurden die ersten Unterstützer am Brandenburger Tor geworben, danach startete der „Ride of Silence“: eine Gedenkfahrt durch die Stadt, um an die Berliner Fahrradtoten zu erinnern. Letztes Jahr waren es zehn. Dieses Jahr bereits sieben.